Mobilität in Großstädten:Lauter Fahrrad-Hauptstädte im Autoland

Illustration Fahrradfahren

Deutsche Metropolen als Fahrradstädte: Tut die Politik genug, damit das tatsächlich wahr wird?

  • Neben Berlin und München will auch Hamburg eine Fahrradstadt werden.
  • Fahrradexperten blicken mit Misstrauen auf die Pläne.
  • Dabei gibt es in einen großen Bedarf. In Deutschland existieren mehr Fahrräder als Autos und die Branche setzt Milliardenbeträge um.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es kann lustig sein, durch Hamburg zu radeln. Jedenfalls an einem der seltenen Tage, an denen der Norden in diesem Jahr eine Art Sommer zu bieten hat. Manche Leute schaffen es sogar mit dem Fahrrad ins Büro, zum Beispiel am Westufer der Binnenalster entlang Richtung Zentrum. Da liegt auf der einen Seite der See mit seinen Ruderbooten, Segelschiffen und Ausflugsschippern, sehr idyllisch. Auf der anderen Seite stehen die Villen von Bewohnern, die zu den laut Statistik 42 000 Millionären der Freien und Hansestadt zählen und schicke Fahrzeuge vor ihren Anwesen parken. Dazwischen verlaufen außer Schotterpfaden für Fußgänger und Jogger auch ein Radweg sowie eine extra umgebaute Straße, auf der Hollandräder und Porsches seit ein paar Monaten irgendwie nebeneinander herrollen sollen.

Das Experiment nennt sich Fahrradstraße, funktioniert je nach Geschmack ordentlich bis chaotisch und gehört zu diesem Großprojekt, das Hamburg zum Radler-Biotop erheben soll. Kurz vor der Wahl ließ der Senat den edlen Harvestehuder Weg verbreitern, die Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde senken und weiße Symbole für Fahrräder auf den Asphalt malen. Die Fahrradstraße zeige, dass man es mit der Förderung des Fahrradverkehrs ernst meine, erläuterte der SPD-Staatsrat Andreas Rieckhof. "Albtraum", zeterte dagegen der Unternehmer Klaus-Michael Kühne, "Schildbürgerstreich". Der Hamburger Kühne residiert zwar in der Schweiz, baut in dem Revier aber ein Luxushotel. Und der Streit war nur der Anfang dieser Debatte um die Fortbewegung für 1,7 Millionen Menschen, denn auf Seite 36 des rot-grünen Koalitionsvertrags steht nun fett gedruckt: "Hamburg wird Fahrradstadt."

Hamburg will seine Fahrradfahrer-Quote verdoppeln

Auf 25 Prozent wollen SPD und Grüne den Anteil der Radfahrer am gesamten Verkehr bis zu den 2020er-Jahren steigern. In weniger als einem Jahrzehnt soll also jede vierte Hamburger Fahrt mit Pedalen absolviert werden - ein sportliches Ziel. Zurzeit sind die Radfahrer mit ungefähr 12,5 Prozent am Fortkommen der Hamburger beteiligt, bundesweit sind es etwa 15 Prozent. "Systematisch zu einer Fahrradstadt machen" werde man Hamburg, verkündete der populäre SPD-Bürgermeister Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung. Vorher hatte er allerdings vom Straßenbau geschwärmt.

So ähnlich kennt man das auch aus anderen Teilen Deutschlands. Der Berliner Senat hatte Berlin vor einigen Jahren ebenfalls zur Fahrradstadt ernannt. Das Münchner Rathaus sieht München "auf dem Weg zur Radlhauptstadt". Auf ein paar Zeilen schaffte es das Velo sogar in das Bündnispapier der schwarz-roten Bundesregierung: "Wir wollen den Anteil des Fahrradverkehrs als umweltfreundliche Mobilitätsalternative weiter steigern." Die Koalitionäre erinnern an die "Ziele des Nationalen Radverkehrsplans 2020" und schließen mit der Empfehlung, "dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen", heißt es da.

Von den Alpen bis zum Meer ist von mehr Radwegen die Rede, von mehr Radstellplätzen, von mehr Leihrädern. Sogar städtische "Fahrradkoordinatoren" gibt es. Das klingt gut, wäre der Luft und der Gesundheit zuträglich und soll Staus und Parkplatzchaos entschärfen. Das Problem ist bloß, dass Fahrradfahrer vor allem in den Metropolen wie gehabt eher schlecht vorankommen. Fragt man Dirk Lau vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) nach den Plänen seines Wohnorts Hamburg, dann antwortet er: "Das wird euphorisch verkauft, und in der Realität ändert sich wenig."

Münster, Karlsruhe und Freiburg liegen vorne

Der ADFC ist das Gegenmodell zum ADAC, nur mit deutlich weniger Macht und Geld. Grundsätzlich ist Deutschland ja eher Autoland, mit Autobahnen, auf denen vielerorts schneller gefahren werden darf als irgendwo sonst auf der Welt. Sportwagen sind in Hamburg besonders zahlreich im Einsatz. Andererseits besitzt die Hälfte der Einwohner kein Auto, weil man keines braucht, keines will oder sich keines leisten kann. In Berlin hält sich nur jeder Dritte ein Fahrzeug.

Alles in allem besitzen die Deutschen mehr Fahrräder als Pkw, der Umsatz der Fahrradbranche geht in die Milliarden - aber die fahrradfreundlichsten Großstädte liegen woanders. Beim sogenannten Modal Split, der berechnet, welche Strecken die Bevölkerung mit einem bestimmten Verkehrsmittel zurücklegt, sind beim Fahrrad Amsterdam und Kopenhagen Spitze. Im ADFC-Fahrradklimatest unter deutschen Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern wiederum war vergangenes Jahr Münster die Nummer eins, gefolgt von Karlsruhe und Freiburg.

Berlin und Hamburg? Weit abgeschlagen!

München ist Zwölfter, zwischen Bielefeld und Mainz. Der Hamburger ADFC-Sprecher Lau erinnert lobend an den früheren Münchner OB Christian Ude, der so wie der einstige Bremer Bürgermeister Henning Scherf häufig auf dem Rad zu sehen war. Berlin wird als Nummer 30 geführt, die Verwandlung zur Fahrradstadt zieht sich hin. Und Hamburg? Abgeschlagen auf Rang 35, vor Köln und hinter Düsseldorf.

Einen Masterplan kann Lau trotz löblicher Ansätze nicht erkennen. "Das ist halbherzige Radverkehrsförderung." Er erinnert an elf bei Unfällen getötete Hamburger Radfahrer 2014. Die Klagen der Radler ähneln sich fast überall: zu enge Wege, die ausbremsen, zerschnitten von Straßen; Radfahrer haben es eilig. Autofahrer sind ihnen oft zu aggressiv, wobei manche Radfahrer ähnlich humorlos Fußgängern zu Leibe rücken, mit Klingel statt Hupe, so dass Ungeübte in Deckung hechten. Tempo-30-Zonen gibt es relativ wenige, führende Kreise aus Industrie und Politik sind dagegen. Zu weiteren Feinden des Radfahrers zählen Parker in zweiter Reihe, Baustellen und das Wetter. Dazu kommt eine Epidemie von Fahrraddiebstählen.

Misstrauen gegenüber den Fahrradplänen

Der Fahrradverteidiger Lau misstraut auch den Hamburger Fahrradplänen für Olympia 2024, denn falls Hamburg 2017 tatsächlich die Sommerspiele zugesprochen bekommen sollte, dann würden erst mal sieben Jahre städtebaulicher Ausnahmezustand folgen. Er hat eher den Verdacht, dass mit den Versprechen für die Radler die Ehre der Grünen gerettet werden sollte, denn bei den Koalitionsverhandlungen setzten sich weitgehend die wirtschaftsnahen Genossen durch. Wobei das Hamburger Ressort für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, das sich um das Prestigethema Fahrrad kümmert, kein Grüner leitet, sondern der parteilose Frank Horch. Der war vorher Präsident der Handelskammer. Dirk Lau sagt: "Mit Scholz und Horch wird es keine Verkehrswende und keine Fahrradstadt geben, solange sie auch den privaten Kfz-Verkehr in der Stadt attraktiver machen wollen."

Der Bürgermeister Scholz rudert übrigens, und der Senator Horch segelt. Nur Scholz' grüne Stellvertreterin Katharina Fegebank war mal Triathletin und radelte bei der Sternfahrt für eine umweltfreundlichere Verkehrspolitik kürzlich vorneweg.

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