Berlin:Hertha spielt Fußball, Kalou schießt Tore

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Der Auftaktsieg in einem hitzigen Duell in Augsburg beinhaltet erstaunliche Erkenntnisse.

Von Javier Cáceres, Augsburg

Eines der schönsten Fußball-Fotos dieses Sommers zeigt Herthas Mittelstürmer Solomon Kalou bei der Strafarbeit. Im Training schießt er auf ein leeres Tor. Kein Gegenspieler, kein Torwart, nur er und der Ball. Der Ball, muss man dazu wissen, war da nicht sein Freund. Im Gegenteil: Ein Twitterer kam gar auf die Idee, vergebene Torchancen in einer standarisierten Einheit namens "Kalou" zu messen, mit der Steigerungsform "Kilokalou" (kKou). Bislang hat sich diese Anregung international nicht durchsetzen können, und ob es je passieren wird, ist fraglich. Denn in den ersten beiden Pflichtspielen der neuen Saison hat Kalou je einen Treffer erzielt - beim Pokalsieg in Bielefeld und am Samstag beim mühsamen 1:0 der Hertha in Augsburg. "Das war ein Männer-Sieg", sagte Herthas Trainer Pal Dardai: "Herausgearbeitet, herausgeschwitzt."

Wegen der Zittermomente, die Hertha in der Schlussphase zu überstehen hatte und dank seines famosen Keepers Thomas Kraft auch überstand, war das zwar eine große Wahrheit. Aber eben auch nur eine halbe. In Augsburg spielte sich nämlich auch eine Neuigkeit ab, die es verdient gehabt hätte, per Breaking News verbreitet zu werden: "Zum womöglich ersten Mal im 21. Jahrhundert spielt Hertha: Fußball!"

Der Beitrag von Trainer Pal Dardai ist unverkennbar

Natürlich ist diese Hertha noch weit davon entfernt, eine Revolution anzuzetteln. Doch wenn man sich vor Augen führt, wo sie neulich noch stand (zum Beispiel in Bielefeld), so hat das Team von Trainer Pal Dardai einen gewaltigen Schritt nach vorn getan. Anders als in der Schlussphase der vergangenen Saison war Hertha in Augsburg nicht nur in der Defensive solide und solidarisch, konzentriert und kompakt. Die Berliner weckten - potzblitz! - mit ihrem Spiel nach vorne auch eine ganze Reihe positiver Assoziationen. Sie ließen den Ball gut, schnell und ziemlich direkt laufen, sie waren im Aufbau geduldig und konsequent, sie bewegten sich in der Gruppe gut über den Platz.

Von Beginn an traten die Gäste selbstbewusst auf, strebten erkennbar nach dem Sieg und operierten oft fern des eigenen Strafraums. Obwohl die Hertha durch Kalou nur per Elfmeter traf (48.), war die beeindruckende Neuigkeit, dass sie erstmals seit Ewigkeiten mit drei Mittelfeldspielern kombinierte, die den Ball zu spielen wissen: der Schweizer Feingeist Valentin Stocker, der wegen seiner Körpergröße unkonventionell wirkende Jens Hegeler - und Zugang Vladímir Derida, ehedem SC Freiburg. Dass Augsburg nach der Führung und je einer gelb-roten Karte gegen beide Teams besser ins Spiel kam, führte Trainer Dardai wohl nicht ganz zu Unrecht darauf zurück, dass in den Köpfen vieler Spieler noch Spurenelemente der Vorsaison zu finden sind. "Das 1:0 hat uns blockiert", sagte der Ungar. Doch die Frage ist: War das in Augsburg wirklich ein Anfang?

Wenn dem so war, wird es nicht mehr lange dauern, bis Dardai in der stets ein wenig zur Schrille neigenden Hauptstadt zum Béla Guttmann des Berliner Westends erklärt wird - in Anlehnung an den Fußball-Weisen seiner Heimat. Dardais Beitrag zur neuen Hertha ist unverkennbar. Weil der Verein klamm ist, muss er mit derselben Belegschaft auskommen, die im vergangenen Jahr fußballerisch so enttäuschte. Die Berliner werden wohl auch Verteidiger Nico Schulz an Borussia Mönchengladbach abgeben und konnten bisher nur zwei Zugänge begrüßen, den ablösefreien Mitchell Weiser vom FC Bayern (zurzeit verletzt) sowie Darida. Als er gefragt wurde, ob Hertha mehr Qualität habe, sagte Stürmer Kalou: "Wir haben mehr Selbstbewusstsein."

Das trifft auch auf ihn zu. Nirgends war das besser zu erkennen als in der Sequenz, die der Ausführung des Strafstoßes voranging: Kalou sagte mit seinem ganzen Körper, dass seine Entscheidung, den Elfmeter auszuführen, keinen Widerspruch dulde. Er nahm den Ball, ging zum Punkt und verwandelte trocken. Der Mann, den sie neulich noch zu Übungszwecken auf ein leeres Tor schießen ließen, strotzt vor Selbstwertgefühl und lebt in einem beneidenswerten inneren Gleichgewicht. Er verneinte dann auch, als man ihn fragte, ob er, der immerhin Afrika-Meister sowie Champions-League- und mehrmaliger FA-Cup-Sieger war, es als demütigend empfunden habe, aufs leere Tor zielen zu müssen. "Man lernt immer etwas dazu. Mein Motto ist: Nie klagen. Arbeiten".

Er freue sich aber, dass Hertha nun offensiver sei: "Es ist einfacher, wenn man vier, fünf, sechs Chancen pro Spiel hat statt nur eine oder zwei." Mittlerweile überlege er, ob er auf Nationalmannschaftseinsätze für die Elfenbeinküste verzichtet, sich auf Hertha konzentriert, "ich bin ja nun auch 30". Gern würde er 15 Tore schießen in dieser Saison, sagte er, und fügte scherzend hinzu: "Wenn ich jedes Wochenende treffen sollte, wäre ich sehr angetan." Die Berliner wohl auch.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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