Genossenschaften:Der Traum vom gemeinsamen Haus

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Ein Wohnpark in München. (Foto: Jessy Asmus/ SZ.de)
  • Wohnraum wird knapp und teuer, gerade im Inneren Berlins. Genossenschaften könnten Alternativen zu Luxusbauvorhaben sein.
  • Der Möckernkiez ist ein Projekt in Berlin, dessen Mitglieder Wohnungen bauen wollen - autofrei, generationenübergreifend und kinderfreundlich.
  • Das Beispiel zeigt, in welche Schwierigkeiten ein ambitioniertes Vorhaben geraten kann - auch in anderen Städten.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Die Lage? Ein Traum! 464 Wohnungen mit Blick auf den Park am Gleisdreieck im begehrten Berliner Bezirk Kreuzberg. Hier, im "Möckernkiez", soll keine Luxusanlage entstehen, sondern ein selbstverwaltetes Wohnprojekt - geplant von einer Genossenschaft und ihren idealistischen Mitgliedern. Ökologisch und autofrei soll die Anlage werden, mehreren Generationen die Möglichkeit zu solidarischem Wohnen bieten, mit Kita, Freizeiteinrichtungen und Bio-Supermarkt. Sieben bis elf Euro Erstbezugsmiete pro Quadratmeter sollten für die Wohnungen anfallen, gestaffelt nach Lage und Ausstattung.

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(Foto: N/A)

Plan und Realität: Die Wohnhäuser des Berliner Projekts Möckernkiez im Entwurf...

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(Foto: Jürgen Hanel/imago)

...und nach dem Baustopp.

Der Möckernkiez ist ein Modellprojekt im angespannten Berliner Wohnungsmarkt, wo günstiger Wohnraum im Inneren der Stadt knapp wird. Gerade in den guten Lagen entstanden in den vergangenen Jahren in vielen Metropolen Deutschlands teure Eigentumswohnungen für Gutverdiener, die oft den Charakter der begehrten Viertel veränderten. "Gentrifizierung" - also die Aufwertung von Innenstadtvierteln und die Verdrängung von Alteingesessenen - ist längst ein politischer Kampfbegriff.

Projekte wie der Möckernkiez versprechen Linderung. In vielen Städten blüht gerade die Idee der Wohnungsbaugenossenschaft, die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt, neu auf. Die Mitglieder finanzieren dabei mit eigenem Kapital ein Vorhaben oder zahlen Anteile in eine bereits bestehende Genossenschaft ein. Anschließend bezahlen sie eine moderate Miete für die Wohnungen. Genossenschaften arbeiten nicht gewinnorientiert, sondern sind allein den Mitgliedern verpflichtet. Das Beispiel Möckernkiez zeigt aber leider auch, in welche Schwierigkeiten ein ambitioniertes Vorhaben geraten kann, selbst wenn es eigentlich alle toll finden: die Mitglieder, die Politik, die Anwohner, die Medien. Denn bei dem einstigen Vorzeigeprojekt ging vieles schief.

Die Mitglieder müssen Eigenkapital aufbringen. Das schafft nicht jeder

Aber der Reihe nach: 2007 finden sich die ersten Bauwilligen zusammen, gründen unter Beifall der im Bezirk zuständigen Politiker und unter Einbeziehung der anliegenden Stadtteile einen Verein und schließlich die Genossenschaft. Einiges an Eigenkapital müssen die Mitglieder bereits einbringen: 920 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, dazu kommt später noch die Miete. Die ist dann aber - so versprechen es Genossenschaften ihren Mitgliedern - stabil und den Dynamiken des Immobilienmarktes entzogen. Viele Möckernkiez-Genossen begeistert aber vor allem der soziale und ökologische Ansatz des geplanten Viertels. 2010 erwirbt die Möckernkiez eG schließlich das drei Hektar große Grundstück am Gleisdreieck-Park.

Die Genossenschaft ist so überzeugt von der Idee, dass sie im Jahr 2014 aus eigenen Mitteln mit dem Bau beginnt, obwohl es noch keine Kreditzusage für den Teil der geschätzten 80 Millionen Euro Kosten gibt, den sie nicht von den Einlagen der Mitglieder bestreiten kann. Dann kommt die böse Überraschung: Keine Bank ist bereit, einen Kredit zu gewähren. Was Mitglieder und Politik überzeugt, etwa die günstigen Mieten, reicht den Banken offenbar nicht.

Im Herbst 2014 muss die Baustelle stillgelegt werden. Inzwischen geht die Genossenschaft von insgesamt 120 Millionen Euro Kosten aus. Und die Mitglieder stehen vor der Wahl: Entweder sie gehen auf die Banken zu, ändern das Konzept. Oder das Projekt stirbt - was für sie nicht nur finanzielle Verluste bedeuten würde, sondern auch, dass sie erneut auf Wohnungssuche gehen müssten. Mit Problemen haben Vorhaben wie diese auch in anderen Städten zu kämpfen. Die Hamburger Genossen zum Beispiel, die im "Arbeitskreis Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften" organisiert sind, haben 2014 weit weniger Wohnungen gebaut als geplant. "In begehrten Lagen gibt es kaum noch Grundstücke", sagt die Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises, Petra Böhme. "Und Unternehmen, die dort teure Eigentumswohnungen errichten, können höhere Preise bezahlen als wir." Eine Hürde, die der Möckernkiez in Berlin noch nehmen konnte.

Immerhin würden städtische Grundstücke in Hamburg nicht automatisch an den Meistbietenden vergeben, sagt Böhme - sondern an den, der das beste Gesamtkonzept hat: Angebote für den Kiez, Kita, sozialer Wohnungsbau. Günstige Kredite vergibt die Hamburgische Investitions- und Förderbank. "Hamburg ist eigentlich ein guter Markt", sagt Böhme daher. Probleme bereiteten vielen Genossenschaften allerdings die hohen Auflagen für Neubauten: Wärmedämmung, Belüftung, hohe Energiestandards: "Das ist sehr kostenintensiv, trotzdem sollen die Mieten niedrig sein."

Von ähnlichen Herausforderungen berichtet auch Christian Stupka aus München. "Nach dem Krieg hat kaum eine der traditionellen Genossenschaften neu gebaut, sie haben stattdessen ihre Bestände verwaltet", beschreibt er die Szene. In Genossenschaften seien Mitglieder häufig schwer vom Neubau zu überzeugen. Viele von ihnen haben ja bereits eine Wohnung in der Genossenschaft und sind damit zufrieden - wozu also investieren? Stupka gründete daher 1993 mit einigen Mitstreitern die Genossenschaft "Wogeno", die seither mehr als 500 Wohnungen erworben oder neu gebaut hat. An ihre Mitglieder schüttet sie aktuell 3,2 Prozent Dividende aus.

Wenn alles gut geht, sollen die Bauarbeiten noch 2015 wieder beginnen

Als größten Knackpunkt für den Neubau nennt Stupka ebenfalls die Grundstückpreise. "In München sind auf dem freien Markt die Grundstückskosten inzwischen höher als die Baukosten", sagt Stupka. Und lobt die Politik der Stadt München im gleichen Atemzug: 20 Prozent der städtischen Grundstücke gehen dort allein an Genossenschaften. Auf weiteren 30 Prozent fördert München Projekte, die günstige Mietwohnungen und Mehrwert für die Stadtteile versprechen. Einen guten Grundstock an Eigenkapital braucht es natürlich, damit sich eine Genossenschaft gründen kann, sagt Stupka. Selbst für städtische Förderdarlehen müssten es 25 Prozent der gesamten Kosten sein. Banken auf dem freien Markt verlangten bis zu 40 Prozent. Das ist natürlich gerade für die neuen Genossenschaften, die noch keine Wohnungen im Bestand haben, schwierig. Damit solch ein Projekt an diese Kredite kommt, muss es ein für die Kreditgeber überzeugendes Konzept haben, sagt Stupka. Helfen könnten gerade den kleineren Neugründungen staatliche oder kommunale Bürgschaften.

Die Möckernkiez eG muss nun sehen, ein ebensolches Konzept vorzulegen. Konsequenzen aus der Misere gab es schon: Der alte Vorstand wurde ausgetauscht, der Aufsichtsrat bekam einen neuen Vorsitzenden, die Genossen sind zu Einschnitten bereit. Viele empfinden diese als schmerzhaft. Zwei Teilgrundstücke, auf denen ein Hotel und Gastronomie entstehen sollen, werden gerade verkauft. Eine Absichtserklärung mit einem Interessenten sei bereits unterschrieben, sagt der neue kaufmännische Vorstand der Genossenschaft, Frank Nitzsche. Der Kaufvertrag hänge natürlich davon ab, ob es doch noch Kredite von einer Bank gibt. Auch da zeigt sich Nitzsche zuversichtlich, vor allem, seit die Möckernkiez-Genossen auf einer Mitgliederversammlung beschlossen haben, die Erstbezugsmieten um 10,7 Prozent zu erhöhen. Außerdem soll es Förderdarlehen von den Mitgliedern an die Genossenschaft geben - allerdings auf freiwilliger Basis. "Manche Leute stoßen jetzt schon an ihre Grenze, die wollen wir natürlich nicht verlieren", sagt Nitzsche.

Wenn alles gut geht, sollen die Bauarbeiten noch in diesem Jahr wieder beginnen. Noch einmal 22 Monate soll es dauern, bis für die Mitglieder der Traum von der Mehrgenerationen-Öko-Siedlung wahr wird. Anders als geplant. Aber immerhin wahr.

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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