Leichtathletik:Der Zauber wirkt

115 zu 92: Der einstige Läufer Sebastian Coe bezwingt den einstigen Stabhochspringer Sergej Bubka. Die Inthronisierung als Leichtathletik-Präsident wird von vielen Hoffnungen begleitet - und von einigen Zweifeln.

Von Johannes Knuth, Peking

Sebastian Coe redete über Flugzeuge. Über 700 000 Meilen, die er um die Welt geflogen war, um sich als Präsidentschaftskandidat des Leichtathletik-Weltverbands IAAF vorzustellen, er erzählte von der Stewardess, die ihm besorgt mitgeteilt hatte: "Wissen Sie, das ist ein wenig ungesund." Coe besitzt die Gabe, einen Raum voller fremder Menschen mit Intimität zu füllen, er öffnet dann hier und da den Vorhang zu seinem Seelenleben. Er erzählte, dass er den ersten Moment nach der Wahl mit seiner Frau teilen werde, "sie soll mal wieder sehen, wie ich eigentlich aus- sehe". Coe, sagte das scheidende Council-Mitglied Helmut Digel, könne mit einer Eleganz über Dinge sprechen, dass alle begeistert sind: "Keiner fragt hinterher, über was er eigentlich gesprochen hat." Wie ein Magier. Und der hatte seinen Zauber gerade eindrucksvoll vorgeführt.

Lord Sebastian Coe, 58, ist seit Mittwoch der sechste Präsident der IAAF. 115 Delegierte stimmten in Peking für den Olympiasieger Coe, 92 für den Olympiasieger Sergej Bubka, 51. Der unterlegene Ukrainer gratulierte artig, er bleibt Vizepräsident, ein Trostpreis. Coe soll derweil die von Dopingverdächtigungen, Korruptionsvorwürfen und Zuschauerschwund zerrüttete Leichtathletik wieder zusammenbauen, renovieren, wie auch immer. Mit ihm, das hörte man am Mittwoch oft, werde es schon besser als unter Vorgänger Lamine Diack. Viele prominente Athleten wie Paula Radcliffe oder Valerie Adams gratulierten dem Engländer auf Twitter, manche Fanpost war mit dem digitalen Etikett #NewEra beklebt, eine neue Ära sei gerade angebrochen.

Sebastian Coe of Britain elected president of the ruling athletic

"Lamine wird sicherlich mein spiritueller Präsident bleiben": Sebastian Coe (rechts) über seinen Vorgänger (links).

(Foto: Wu Hong/dpa)

Kurze Rückblende, fünf Minuten vor der Krönungsmesse. Beide Kandidaten sprechen ein letztes Mal zum Wahlvolk, mancher Delegierter ist hier schon von seiner Haltung abgedriftet. Bubka ist als Erster dran. "Die Leichtathletik ist mein Leben", beginnt er, man werde den Sport gemeinsam "zu neuen Höhen führen". Dann wird es interessant. Das größte Problem, auf den der Sport pralle, sagt er, sei Doping. "Wir müssen saubere Athleten schützen", sagt Bubka, er dreht die Lautstärke ein wenig auf, "wir müssen unsere Stärken vereinen." Höflicher Applaus. Dann ist Coe an der Reihe. "Mister President, liebe Freunde", sagt er, "ich sehe hier so viele Freunde, erinnere mich an viele Kämpfe, die wir über die Jahre gemeinsam gekämpft haben. Ich frage heute nicht nach der Macht, ich will die Macht mit Euch teilen." Dann verspricht er jedem Verband 200 000 Dollar Dividende, alle vier Jahre, er überbietet Bubkas Offerte (120 000) in letzter Sekunde. Alter Trick aus der Zauberschule der Sportfunktionäre, hex hex. Die Delegierten applaudieren kräftig.

Kurz nach der Wahl brach dann die Zeit der Deutungen an, sie konnten kaum unterschiedlicher ausfallen. Digel war erbost, nicht nur, weil es DLV-Präsident Clemens Prokop, sein designierter Nachfolger, nicht ins Council, das Parlament der globalen Leichtathletik, geschafft hatte. Die jüngsten Dopingvorwürfe der ARD, vor allem gegen Kenia, Russland, sagte Digel, "die können nicht einfach ad acta gelegt werden, wie es in diesen Tagen geschehen ist". Er hatte da Coe im Sinn, vor allem aber die Abgeordneten, die in Coes Parlament gewählt wurden: Prinz Nawaf Bin Mohammed Al Saud, dem Digel unlautere Methoden vorwarf (siehe Nebentext); oder Ahmad Al Kamali aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, "der hat in vier Jahren im Council nicht einen sinnvollen Satz gesagt. Hier erhalten Kandidaten Stimmenmehrheiten, die wahrlich nicht für Anti-Doping-Politik stehen", so Digel. Und Coe? Dass der Brite das Dopingproblem in seiner Ansprache ausgeklammert hatte, sagte Digel, "das war vor diesen Mitgliedern sehr klug. Die fragen: Was wird dieser Präsident für mein Land tun?"

Wechsel nach 16 Jahren

Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes

1912 bis 1946: Sigfrid Edström (Schweden)

1946 bis 1976: Lord Burghley (Großbritannien)

1976 bis 1981: Adriaan Paulen (Niederlande)

1981 bis 1999: Primo Nebiolo (Italien)

1999 bis 2015: Lamine Diack (Senegal)

ab 19.8.2015: Sebastian Coe (Großbritannien)

Aber was kann man von einem Präsidenten erwarten, der das dringlichste Problem seiner Zunft ausklammern muss, um ins Amt gehoben zu werden? Sebastian Coe bat kurz darauf zur Audienz. Seine Frau begleitete ihn, dazu Diack. Der 82-Jährige hatte zuvor sämtliche Kritikpunkte abgebürstet: die Dopingverdächtigungen ("Die Zeitungen haben unseren Sport in ein Monster verwandelt"), die WM-Vergabe 2021 an Eugene, ohne Bieterverfahren, vorbei an Kandidat Göteborg ("Sorry, my swedish friends"); Diack hatte sogar Walentin Balachnitschew den Finanzbericht vortragen lassen, der Schatzmeister wollte seinen Posten im Zuge von Korruptionsvorwürfen eigentlich ruhen lassen. Kontrovers wurde es nur, als der Delegierte aus Mauretanien gegen das neue, elektronische Wahlsystem opponierte. Er wolle mit Zetteln wählen, "ich vertraue dem System nicht", rief er. "Wenn Sie dem System nicht vertrauen, ist das Ihr Problem", sagt Diack.

Dann war Coe dran, es waren seine ersten Worte vor der Presse als gewählter Präsident. Er sagte: "Lamine wird sicherlich mein spiritueller Präsident bleiben." Coe sprach dann über Vertrauen. "Wir brauchen das Vertrauen der Leute, die ins Stadion gehen und zuschauen, wir brauchen das Vertrauen der Eltern, die ihre Kinder für den Sport begeistern, der Medien, der Sponsoren."

Ein guter Anfang wäre vielleicht eine transparente Anti-Doping-Politik. Als Coe gefragt wurde, wie er seine geplante, unabhängige Dopingfahndung aufbauen wolle, da dimmte der Lord die Stimme herunter. "Ich werde da jetzt keine Details schildern. Dafür ist es zu früh." Ob er sein Amt als Präsident der British Olympic Association noch behalten könne? "Es ist zu früh, eine definitive Antwort zu geben", sagte Coe erneut, "mein Leben ist kompliziert. Ich habe ein Team, das sich darum kümmert und Anpassungen vornehmen wird, falls nötig." Und dass er den Sportartikelhersteller Nike berate, dass er eine globale PR-Agentur führe, die mit dem Sport Geschäfte mache? Da verrutschte dem Lord plötzlich das Lächeln. "Meine Rolle bei CSM steht ja nur auf fünf Webseiten. Und ich bin seit 1978 bei Nike, das ist ja eine brandneue Beziehung", blaffte er zurück.

Am Donnerstag beschließt die IAAF ihren Kongress, am Samstag übernehmen die Athleten. Sie werden im stickigen Peking die Kohlekraftwerke abschalten, der Bürgermeister hat auch versprochen, den Verkehr einzudämmen. Wenn es am Samstag losgeht, soll der Himmel blau sein. Es soll so aussehen, als sei alles in Ordnung.

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