Gehacktes Seitensprung-Portal:Warum der Spott über die Ashley-Madison-Nutzer widerlich ist

A photo illustration shows the Ashley Madison website displayed on a smartphone in Toronto

"Life ist short. Have an affair." Jetzt hat Ashley Madison selbst eine Affäre am Hals. Und was für eine.

(Foto: REUTERS)

Sensibelste Daten von Millionen Menschen stehen im Netz, darunter sexuelle Vorlieben und Fantasien. Darüber darf man nicht lachen.

Kommentar von Simon Hurtz

Waldsterben, Wanderlust, Weltschmerz, Wunderkind - ein paar besonders lautmalerische deutsche Wörter haben sich in der englischsprachigen Welt etabliert. Darunter auch: Schadenfreude. Wenn der Platz im Internet endlich wäre, dann würde es derzeit überquellen vor lauter Schadenfreude.

Hacker, die sich selbst als "Impact Team" bezeichnen, haben im Juli mehr als 30 Millionen Nutzerdaten von Ashley Madison erbeutet und nun veröffentlicht. Ashley Madison ist ein Portal für Seitensprünge, der Slogan lautet: "Das Leben ist kurz. Gönn' Dir eine Affäre." Darunter sind Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Wohnorte, Kreditkarteninformationen und sexuelle Vorlieben. Detaillierte sexuelle Vorlieben. Intimer geht es nicht.

Kübelweise Spott und Häme

Die Reaktion: Spott und Häme. Kübelweise. "Endlich trifft es mal die Richtigen", freuen sich viele. Wer Geld dafür bezahle, seinen Partner zu betrügen, der habe es nicht anders verdient. Da werden einzelne Männer identifiziert, etwa ein evangelikaler Familien-Aktivist, der offenbar Dauerkunde bei Ashley Madison war und sich jetzt öffentlich als "größten Heuchler aller Zeiten" selbst kasteit. Da wird sich über die unfassbare Dummheit lustig gemacht, dass sich Männer mit ihren dienstlichen E-Mail-Adressen anmeldeten. Da empört sich die New York Times nicht etwa über die Bloßstellung von Millionen Menschen, sondern über die Tatsache, dass man sich als Amerikaner jetzt für Zehntausende hohe Regierungsbeamte und US-Militärs fremdschämen müsse, die es nicht mal fertig gebrachten hätten, sich für Ehebetrug eine anonyme E-Mail-Adresse zuzulegen.

Moment mal: Kriminelle dringen in Computersysteme ein, sammeln dort Gigabyte-weise sensibelste private Informationen, erpressen anschließend die Betreiber der Website und stellen die Datensätze schließlich doch ins Netz. Und statt die Täter zu verdammen, stellt man die Opfer an den Pranger?

Die Hacker sind zynische Kriminelle

Alles, was man über das Impact Team wissen muss, steckt in diesem einen Satz: "Ärgerlich für die Kunden, dass sie betrügerische Dreckssäcke sind und keine Diskretion verdienen." Damit haben die Hacker ihr Vorgehen gerechtfertigt. Um dann noch einen draufzusetzen: "Das Leben geht weiter. Lernt eure Lektion und tut Buße. Für den Moment ist es peinlich, aber ihr werdet darüber hinwegkommen." Das ist Zynismus pur. Diese Daten haben das Potential, Existenzen zu vernichten. Ehen werden zu Bruch gehen, Millionen Menschen leben nun in ständiger Angst vor öffentlicher Schande, Erpresser lachen sich ins Fäustchen.

Um ein paar Dinge klarzustellen: Ashley Madison ist eine dubiose Seite, hinter der schmierige Menschen mit einem widerlichen Geschäftsmodell stecken. Wer die Seite nicht mehr nutzen wollte, konnte seine Daten für 19 Dollar angeblich restlos löschen lassen, sich quasi freikaufen. Tatsächlich kassierten die Betreiber nur das Geld, ohne die Nutzerprofile zu entfernen. Ashley Madison warb mit einem nahezu ausgeglichenen Geschlechterverhältnis. Tatsächlich suchten dort fast ausschließlich Männer nach einem Seitensprung, etliche der weiblichen Profile sollen gefälscht gewesen sein.

Ashley-Madison-Nutzer sind Opfer und tragen keine Mitschuld

Man kann und sollte diese Geschäftspraktiken verdammen. Man kann auch darüber diskutieren, ob es moralisch verwerflich ist, für Seitensprünge zu bezahlen - oder ob die Entrüstung nicht seltsam puritanisch und heuchlerisch daherkommt. So oder so darf das niemals eine Rechtfertigung sein, um Menschen derart bloßzustellen. Das Impact Team nimmt für sich in Anspruch, moralisch im Recht zu sein. Es gibt White-Hat-Hacker, die Schwachstellen aufdecken und die betroffenen Unternehmen darauf hinweisen, um "bösen" Hackern zuvorzukommen. Es gibt Grey-Hat-Hacker, die zwar illegal vorgehen, damit aber nur auf Sicherheitslücken aufmerksam machen wollen und die Daten nicht zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.

Das Impact Team ist weder weiß noch grau, es ist schwarz. Die Logik der Mitglieder ist ähnlich verquer wie bei "The Fappening", als im vergangenen Jahr Tausende Nacktbilder von amerikanischen Prominenten ins Netz gestellt wurden - angeblich, um auf Sicherheitslücken in Apples iCloud hinzuweisen. Auch damals glaubten manche, die Opfer mitverantwortlich machen zu können: Wer Nacktbilder im Netz speichere, müsse damit rechnen, dass er Opfer eines Hacks werde. Und wer überfallen wird, weil er keine Pistole bei sich trägt, ist selbst schuld? Was für eine absurde Argumentation!

Die Doppelmoral widert an

Natürlich ist es naheliegend, jetzt über die Doppelmoral der bloßgestellten Ashley-Madison-Nutzer zu spotten. Natürlich fällt es schwer, besagten erzkonservativen Evangelikalen zu verteidigen, der jahrelang Treue in der Ehe predigte und alle Andersdenkenden verdammte. Doch die Doppelstandards der Hacker sind genauso frappierend. Man kann sich nicht als Moralapostel aufspielen, die vermeintlich "betrügerische Dreckssäcke" zu Verantwortung ziehen, um dann bei seinem eigenen Handeln jegliche moralischen Maßstäbe vermissen zu lassen.

Letztendlich produziert der Angriff fast nur Verlierer: Die Hacker haben sich selbst als verantwortungslose Kriminelle entlarvt, die Betreiber von Ashley Madison sehen sich mit einer Sammelklage der Betroffenen konfrontiert, Millionen Menschen zittern um ihre Beziehung und ihr öffentliches Ansehen. Freuen dürften sich nur Scheidungsanwälte und Klatschreporter.

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