Bodo Ramelow:"Wir brauchen Menschen, die hierbleiben und arbeiten"

Zwischenbilanz von Rot-Rot-Grün in Thüringen

"Ich nehme die Ängste ernst": Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow.

(Foto: picture alliance / dpa)

Flüchtlinge aus armen Ländern in Südosteuropa sollten leichter Arbeitsvisa erhalten, sagt Thüringens Ministerpräsident Ramelow. Ein Gespräch über "ideologisch Verbeulte" und die Mitschuld des Westens an Völkerwanderungen.

Von Oliver Das Gupta, Erfurt

Thüringen muss bis zu 150 Flüchtlinge pro Tag aufnehmen. Dort hetzen, wie in Sachsen, Rechtsextremisten immer häufiger gegen Migranten. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) erhält Morddrohungen wegen seiner Flüchtlingspolitik.

SZ: Herr Ramelow, haben Sie Angst?

Bodo Ramelow: Nein, habe ich nicht. Das Thema ist ja nicht neu, aber ich nehme es nicht auf die leichte Schulter. In Thüringen wächst die Gewaltbereitschaft unter Rechtsextremisten. Die Nazis wollen Thüringen als Aufmarschgebiet nutzen. Wir haben einen sprunghaften Anstieg von braunen Kundgebungen.

Warum ausgerechnet Thüringen?

Die home base des Nationalsozialistischen Untergrunds war nun mal in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in Teilen von Bayern. Wir tun nicht so, als ob der NSU vom Mars gekommen wäre. Thüringen hat die Aktivitäten des NSU, aber auch die möglichen Verfehlungen der Sicherheitsorgane gründlicher aufgearbeitet als alle anderen.

Rechtsextremisten in Sachsen und Thüringen nehmen bei ihren Straftaten oft Bezug auf die NSU-Terrorgruppe. Wie kann man solche Leute zur Besinnung bringen?

Ideologisch Verbeulte kriegt man selten zur Besinnung. Man kann ihnen nur signalisieren, dass man sie auf dem Schirm hat. Sie müssen wissen, dass wir sehen, wenn sie bei Facebook oder anderen Internet-Foren aktiv sind und dort Stimmung gegen Flüchtlinge machen.

Was verstehen Sie unter "Stimmung machen"?

Vorletzte Woche haben Rechtsextremisten gegen 180 Flüchtlinge gehetzt, die in einem Ort in Thüringen in Zelten untergebracht waren. Sie riefen zu Demonstrationen auf und verwendeten Worte wie "anzünden", "verbrennen" und Ähnliches. Wir dürfen die Angst in den Orten nicht wachsen lassen. Wir müssen uns denen, die Angst verbreiten, entgegenstellen.

In Orten wie Freital und Heidenau machen Teile der Bevölkerung gemeinsame Sache mit Rechtsextremen. Was läuft da schief in Ostdeutschland?

Sie sprechen von Orten in Sachsen, in Thüringen läuft das anders: Sobald sich hier so etwas abzeichnet, fährt ein Mitglied meiner Landesregierung hin.

Damit bekommen Sie die Situation in den Griff?

Das behaupten wir doch nicht. Aber wir ermutigen diejenigen, die Zivilcourage haben, die sich den Nazis verweigern und sich vor die Flüchtlinge stellen und sagen: keinen Schritt weiter. Wir beziehen Feuerwehrvereine und Kirchen ein. In einigen Orten funktioniert das, in anderen wird geschwiegen.

Angela Merkel nennt die Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte "unwürdig". Ist das angemessen?

Wichtiger als das Reden ist das Handeln. Ich möchte die Kanzlerin massiv ermuntern, die Bundesländer finanziell zu unterstützen. Die Hälfte der Kosten sollte der Bund tragen. Thüringen bekommt bis zu 150 Flüchtlinge pro Tag, andere Länder noch viel mehr. Unsere Bediensteten haben eine extrem hohe Arbeitsbelastung. Und alle wissen, es werden noch mehr Menschen kommen.

Die CSU spricht inzwischen von einer "Völkerwanderung".

Ich spreche auch von einer Völkerwanderung auf dem ganzen Globus, aber die CSU redet vor allem eine Krisenstimmung herbei. Mir geht es um etwas anderes. Zu uns kommen die Menschen aus Staaten, an deren Scheitern wir eine Mitschuld tragen. Wir ernten jetzt die Früchte einer Außenpolitik, die der Westen kollektiv zu verantworten hat, weshalb wir jetzt Verantwortung übernehmen müssen. Für mehrere Flüchtlingswellen ist der Westen mitverantwortlich: Despoten wie Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi wurden militärisch entfernt, aber dafür sind Irak und Libyen nun kollabierende, gescheiterte Staaten. Deutschland hat vor mehr als 20 Jahren voreilig Kroatien und Slowenien anerkannt und dadurch die Kriege im damaligen Jugoslawien forciert. Und nun wundern wir uns, dass die Leute aus den verarmten Staaten wie Serbien und Albanien zu uns kommen.

"Die Politik muss den großen Wurf wagen"

Die Anerkennungsquote von Asylsuchenden aus Südosteuropa tendiert in Deutschland gegen null. Was spricht dagegen, abgelehnte Menschen zeitnah abzuschieben?

Wir müssen die Verfahren für alle Flüchtlinge verkürzen. Bei manchen dürfte das ganz schnell gehen: Einem Syrer kann man doch per se den Flüchtlingsstatus geben. Und den anderen müssen wir eine Perspektive geben, sonst lösen wir das Problem nicht. Selbst wenn wir diese Staaten zu sicheren Herkunftsländern deklarieren, ändert sich dort noch gar nichts. Europa wird keine Ruhe haben, solange wir am Rande der EU dauerhaft Armutsländer haben. So viele Zäune kann keiner bauen.

Wie könnte eine politische Lösung aussehen?

Die Politik muss den großen Wurf wagen. Deutschland braucht ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht und gleichzeitig ein Zuwanderungsrecht. Dann könnten wir endlich sauber unterscheiden: Menschen, die aus politischen Gründen flüchten, erhalten Asyl. Und Menschen, die hier arbeiten wollen, hätten die Chance, nach Deutschland zu kommen und einen Job zu finden.

Was würde sich für Albaner, Serben und Montenegriner konkret ändern?

Es sollte die Möglichkeit geben, leichter an Arbeits- und Ausbildungsvisa zu kommen. Wir brauchen Menschen, die hierbleiben und arbeiten.‎ Und die Länder selbst brauchen Entwicklungsperspektiven.

Sollen diese Menschen sich auch in Thüringen ansiedeln?

Auch mein Bundesland braucht Zuwanderung. Wir brauchen in den nächsten zehn Jahren 280 000 Facharbeiter. Wir reden von einem Bundesland, das in den letzten 20 Jahren 350 000 Menschen durch Abwanderung verloren hat. Woher sollen die denn sonst kommen? Es gibt in Thüringen Ausbildungszentren und Berufsschulen, die zu einem Drittel leer stehen. Wir haben aktuell 5000 Lehrstellen nicht besetzt.

Eine verstärkte Zuwanderung wird die Ängste verstärken.

Das nehme ich ernst, ich meckere auch nicht, wenn jemand Fragen stellt. Es gibt Abstiegsängste. Aber was bleibt uns anderes übrig, als: erklären, erklären, erklären. Dass wir Zuwanderung brauchen, und dass man davor keine Angst haben muss.

Eine schwierige Aufgabe in einem Bundesland, in dem der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung bei nicht einmal drei Prozent liegt.

Was man nicht kennt, fürchtet man eher. Deswegen müssen wir uns gerade intensiv um diejenigen kümmern, die keinen Job mehr finden. Das klappt, wenn wir zusätzliches Geld in die Hand nehmen und es würde sich lohnen. Ein 50-jähriger Bauarbeiter, der sich seine Knochen kaputt gemacht hat, kann nicht mehr auf dem Bau arbeiten. Aber er kann junge Leute ausbilden - auch solche, die aus Syrien oder dem Kosovo stammen.

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