Aufstieg im Beruf:Chef wider Willen

A man sitting behind a desk

Nicht jedem liegt die Rolle als Führungskraft.

(Foto: Fuse/Getty Images)
  • Wer seinen Job gut macht, wird oft irgendwann Führungskraft. Doch nicht jedem liegt die Rolle als Chef.
  • Betroffene erzählen, was sie an ihrer Führungsposition gestört hat - und wie sie mit dem Problem umgegangen sind.

Von Sigrid Rautenberg

Kai hat die Nase voll. So hatte er sich das Chefsein nicht vorgestellt. Dabei lief es anfangs wirklich gut. Als der damalige Abteilungsleiter in Rente ging, wurde Kai sein Nachfolger. Anderthalb Jahre war er bereits Stellvertreter gewesen und dadurch gut auf seine erste Führungsaufgabe vorbereitet. Das sechsköpfige Team war eingespielt und harmonisch.

Doch dann wurde in seiner Firma, einem Verlag, umstrukturiert, Kai bekam eine zweite Abteilung dazu. Seitdem stimmt die Chemie im vergrößerten Team nicht mehr. Besonders der Umgang mit komplizierten Mitarbeitern kostet ihn viel Kraft, sein Pensum ist trotz Überstunden kaum zu bewältigen. Mittlerweile ist der Abteilungsleiter so frustriert, dass er am liebsten in seine alte Fachposition zurückwill, einfach nur wieder Bücher machen.

Seinen Vorgesetzten kann er sich nicht offenbaren, zumal auch keine entsprechende Stelle frei ist. Einer Kollegin, die eine vergleichbare Leitungsstelle gar nicht erst annehmen wollte, wurde gekündigt. Seine Führungsposition empfindet Kai als Strafe, längst nicht mehr als Privileg. Ihm bleibt nur, das Unternehmen zu wechseln. Doch dass der Schritt zurück innerhalb des Unternehmens gelingt, ist eine Seltenheit.

Andrea konnte immerhin bleiben. Ihre Geschichte ist symptomatisch für die Probleme von Teilzeit-Führungskräften. Die Verwaltungsbeamtin bei der Deutschen Rentenversicherung war kaum fünf Jahre nach ihrer Ausbildung zur Hauptsachbearbeiterin befördert worden und weisungsbefugt für fünf Kollegen. Der Karrieresprung war ihr wichtig, die Arbeit machte Spaß. Dann kam ihre Tochter zur Welt.

Nach zweieinhalb Jahren in Elternzeit war ihr altes Team aufgelöst. Mit nur einer halben Stelle bekam Andrea ein neues Team. Was dann folgte, nennt sie einen Spießrutenlauf: Wichtige Informationen wurden ihr vorenthalten, das Gerede hinter ihrem Rücken wurde unerträglich. Ihre Vorgesetzte fand auch keine Lösung. Nach sechs Monaten stellte Andrea einen Antrag auf Rückernennung. Zwei Azubis brachten ihr schließlich die neue Ernennungsurkunde nach Hause, die alte nahmen sie mit. Eine alleinige Teamleitung in Teilzeit ist in ihrer Behörde mittlerweile nur noch ab 30 Wochenstunden erlaubt.

Manchmal gibt's doch noch ein Happy End

Dass Chefsein nicht unbedingt ein Traumjob ist, zeigt auch die Geschichte von Tim, in der - wie oft - die Firmenleitung einen ihrer besten Fachleute zum Manager machte. Tims Unternehmen, ein mittelständischer technischer Dienstleister, war in der Insolvenz von einem branchenfremden Investor gekauft worden. Als technischer Leiter hatte Tim eine strategisch wichtige Position inne. Die große Fachexpertise qualifizierte ihn aus Sicht der neuen Eigentümer zum idealen neuen Geschäftsführer. Zögerlich erklärte Tim sich bereit, vor allem, weil er seine verbliebenen Kollegen nicht hängen lassen wollte.

Jetzt ist es seine Aufgabe, neue Kunden zu suchen oder die viel zu knappen Budgets zu verwalten. Er musste Gehälter kürzen und hört sich Sätze zu seinen ehemaligen Kollegen sagen, für die er seine eigenen Vorgesetzten früher gehasst hat. Ende des Jahres soll Schluss sein mit dem ungeliebten Chefjob. Tut sich intern nichts Neues auf, wird Tim kündigen. Doch wieder eine reine Fachposition zu finden, dürfte gar nicht so einfach sein. Dazu sei er mittlerweile nicht mehr tief genug im Fachlichen drin.

Noch immer kommt es selten vor, dass Menschen eine Führungsposition aufgeben und dann im selben Unternehmen eine Fachlaufbahn einschlagen. Denn um wieder dorthinzukommen, braucht es zum einen ein Angebot und zum anderen eine Unternehmenskultur, die das Abgeben einer Führungsposition nicht als Versagen ansieht. Zwar sind alle Firmen auf exzellente Fachleute angewiesen - dennoch machen viele den Fehler, ihre Experten ins General Management zu befördern.

Der Rückversicherer Munich Re scheint es ernst zu meinen mit der Fachkarriere. Für die Kalkulation etwa von Katastrophenrisiken werden Experten unterschiedlichster Fachrichtungen gebraucht. Joachim Hammer ist als Referatsleiter Personalentwicklung auch zuständig für die Fachkarriere. Die Durchlässigkeit zwischen Fach- und Führungskarrieren werde bei ihnen stark gelebt, sagt Hammer. Auch die Entwicklungsmöglichkeiten und die Vergütungssystematik seien inzwischen gleichwertig. "Wir haben bewusst eine breitere Definition von Karriere - nicht nur nach oben oder in Richtung Führung. Gerade unsere Fachexperten müssen über den Tellerrand hinausblicken können und ihr Wissen für das Geschäft umsetzen."

Keine Lust auf Personalverantwortung

Hjörtur Thrainsson hat die höchste Stufe der Fachlaufbahn bei der Munich Re bereits erreicht. Der gebürtige Isländer ist für die Risikomodellierung von Naturkatastrophen zuständig. Er gehört zu einer Handvoll sogenannter Leitender Fachexperten und damit zum oberen Management. Thrainsson hat sich ganz bewusst für eine Fachkarriere entschieden. Auf Mitarbeitergespräche und die ganze mit Personalverantwortung verbundene Administration hatte er einfach keine Lust. Der 52-Jährige liebt die fachliche Arbeit. Und empfindet es als Luxus, sich ganz darauf konzentrieren zu können.

Sich selbst nicht als Verlierer zu sehen und bewusst auf eine prestigeträchtige und besser bezahlte Führungsposition zu verzichten - dazu braucht es Selbstbewusstsein. Aber dann gibt's manchmal doch noch ein Happy End, wie in Karstens Fall. Der Sozialpädagoge macht nach vielen Jahren in Führungspositionen in Jugendeinrichtungen und Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern wieder das, wofür er ursprünglich angetreten ist: mit Jugendlichen arbeiten. Seit 2011 ist der 49-Jährige als Schulsozialarbeiter an einer Berliner Brennpunktschule beschäftigt. Er fühlt sich gebraucht und wertgeschätzt wie lange nicht - als Mensch, nicht in seiner Funktion. Sich einzugestehen, dass er kein Chef mehr sein will, hat viele Jahre gedauert.

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