Essay:Grüne Märchen

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Der Sturm bringt das Plastik: In der Bucht von Manila suchen Kinder im angeschwemmten Müll nach verkaufbaren Resten. (Foto: Romeo Ranoco/Reuters)

Es kann nicht so weitergehen wie bisher: Mit der Lüge vom nachhaltigen Wachstum hält die Green Economy alle bei Laune, die sich nicht einschränken wollen - also uns.

Von Kathrin Hartmann

Aufgepasst: "In jedem Jahr produziert unsere Gesellschaft rund 288 Millionen Tonnen Plastik, das sich anders als Holz, Glas, Papier oder Metall nicht zersetzt oder biologisch abbaut. Stattdessen gelangt der Plastikabfall direkt in die Weltmeere und verschmutzt und bedroht die Tier- und Pflanzenwelt." Diese beiden Sätze stammen nicht von Greenpeace. Sondern von der Homepage eines Celebrity-Magazins, das normalerweise weder Genügsamkeit predigt, noch das große Öko-Gewissen anmahnt, sondern den Lifestyle der Reichen zelebriert, mit all ihren Kleidern, Privatjets, Villen und Yachten.

Die Kurzmeldung wird aber nicht von verstörenden Bildern verendeter Meerestiere oder Müllteppichen von der Größe Mitteleuropas begleitet, die sich aus den 288 Millionen Tonnen Plastik bilden, die in den Weltmeeren umhertreiben. Stattdessen sieht man ein Foto des Popstars Pharrell Williams. Er trägt den obligatorischen Vivienne-Westwood-Hut, der ihm das Etikett "Stilikone" eingebracht hat. Jetzt darf er sich ein weiteres Label anheften: "Weltretter". Denn Williams hat für das Label G-Star die Linie "Raw for the Ocean" entworfen, die erste Jeans-Kollektion aus recyceltem Plastik aus dem Pazifik (auch die SZ berichtete). Wer sich für eine "Raw for the Ocean"-Jeans entscheidet, ist also kein Fashion-Victim, sondern ein Umweltaktivist, der sieben Plastikflaschen aus dem Meer gefischt hat. Je mehr Jeans über die Ladentheke wandern, desto besser, scheint es. G-Star will damit neun Tonnen Plastik fischen und gleichzeitig 30 Prozent Baumwolle einsparen. Schwuppdiwupp hat der "Happy"-Sänger ein Horrorszenario in eine gute Nachricht verwandelt: Der Müll im Meer ist jetzt nützlich.

Die Meeres-Jeans ist mehr als ein Marketing-Gag oder einfaches Greenwashing, dem ethische Konsumenten aufsitzen, die mit dem Kauf grüner Produkte oder einer Ökogebühr als Ablasszahlung für den Fernflug die Welt retten wollen. Sie ist ein Paradebeispiel für die Ideologie der Green Economy. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich die Idee, Wachstum und Naturzerstörung mithilfe neuer Technologien voneinander zu entkoppeln. Ganz so, als wären die guten und die schlechten Effekte des Kapitalismus wie Lokomotive und Waggon, die man mit den richtigen Handgriffen einfach voneinander trennen könnte. Gerade weil in den vergangenen Jahren sämtliche Strategien zu einer nachhaltigen Entwicklung in den reichen Ländern gescheitert sind, klammern sich Politik und Gesellschaft an diese Illusion.

Die Devise: kein Verzicht, keine Einschränkungen, Ende der Schuldgefühle

Glaubt man grünen Technik-Aposteln, dauert es nicht mehr lange, bis man guten Gewissens zum Wochenend-Shopping nach New York fliegen kann. Denn das Flugzeug fliegt mit Treibstoff aus Algen und die Sitzbezüge werden essbar sein. Man kann sie eines Tages vielleicht sogar mit Vitaminen anreichern und den Armen servieren - samt gentechnisch verändertem Beilagensalat, der einen Impfstoff gegen Tropenkrankheiten enthält. Der Armut entronnen, werden sie mit Elektro-Autos aus ihren Hüttendörfern hinausbrummen, die bloß Plantagen für nachwachsende Rohstoffe den Platz wegnehmen, hinein in die Wohnanlage aus Passivhäusern mit Solarstrom und Dachgewächshaus.

Diese Öko-Science-Fiction stammt nicht aus "Daniel Düsentriebs Geheimnotizen". Es sind die Visionen von Ingenieuren, Konzernen, Politikern, reichen Weltrettern wie Bill Gates oder Pharrell Williams, und dem Verfahrenstechniker Michael Braungart. Der hat mit dem US-Designer William McDonough das "Cradle-to-Cradle"-Prinzip erfunden, demzufolge alle Produkte wieder vollständig in den Stoffkreislauf zurückkehren können. Wir müssen also nicht weniger produzieren, sondern eher mehr - aber in technischen und biologischen Kreisläufen. Der Mensch soll sich nicht mehr als Schädling verstehen, sondern als Nützling, der mit seinem Konsumverhalten etwas Sinnvolles tut.

Braungart ist ein beliebter Interviewpartner, verbreitet er doch die von westlichen Mittelschichten gern vernommene Botschaft, dass wirtschaftliches Wachstum und Hyperkonsum nicht nur völlig unproblematisch sind, sondern sogar gut für die Welt - solange sie mittels technischer Innovationen nur intelligent gemacht sind. Während Umweltschützer mit ihrem immer gleichen Schrei nach Verzicht vor allem schlechtes Gewissen erzeugen, lautet Braungarts Devise: kein Verzicht, keine Einschränkungen, Schluss mit den Schuldgefühlen. Das klingt so viel besser! Braungart hat auch die essbaren Flugzeugsitzbezüge entwickelt, die sich bezeichnenderweise in der First Class des Langstreckenflugzeugs Airbus A380 befinden. Eine so spektakuläre Erfindung kaschiert die Tatsache, dass Fliegen die klimaschädlichste Art der Fortbewegung überhaupt ist.

Auch die Ozean-Jeans täuscht darüber hinweg, dass mehr und mehr Plastik produziert, konsumiert und weggeworfen wird und der Müllteppich im Meer deshalb nicht schwinden, sondern wachsen wird. Das Problem der Modeindustrie ist ja nicht, dass es nicht genug nachhaltige Rohstoffe gäbe, sondern dass in immer kürzeren Abständen immer größere Kleidermengen hergestellt werden - was nicht nur zu großen ökologischen Schäden führt, sondern auch zu miserablen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken (in denen, nebenbei, auch die meeresrettende Jeans hergestellt wird). Wachstum ist immer verbunden mit Rohstoff- und Energieverbrauch, ganz egal, wie innovativ es gemacht ist. Beides ist nicht ohne Naturzerstörung zu haben. Wäre eine Entkopplung wirklich möglich, wäre dies ein echtes grünes Wunder: nämlich das Perpetuum mobile.

Die grüne Technikeuphorie ist nicht nur antiaufklärerisch, sondern auch antipolitisch. Denn sie verwandelt wichtige gesellschaftliche Fragen, wie wir gut und gerecht auf diesem Planeten zusammenleben können, in eine rein technische Angelegenheit: Als sei das wachstum- und konsumorientierte System, das für die ökologischen und sozialen Schäden verantwortlich ist, völlig in Ordnung und müssten allenfalls ein paar Fehler korrigiert werden. Solange man daran glauben kann, dass es für jedes Problem die richtige technische Lösung gibt, auf die eines Tages schon jemand kommen wird, muss sich strukturell auch nichts ändern. Dass der Menschheit doch immer noch was eingefallen sei, um die selbst gemachten Probleme zu lösen, ist das wirkmächtigste Märchen, das die Green Economy erzählt.

Dabei wissen wir doch eigentlich ganz genau, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Warum glauben wir, dass wir drängende Probleme aussitzen können, bis uns die grünen Daniel Düsentriebe retten? Sind wir wirklich so naiv? Oder sind wir so zynisch geworden, dass wir uns mit dem Weltelend abgefunden haben, und betreiben lieber Besitzstandswahrung?

Ulrich Brand, Professor für International Politik in Wien, beschreibt den gesellschaftlichen Zustand seit 2008 als "multiple Krise": Arbeitslosigkeit, Armut, Finanzkrise, Hunger, Erosion der biologischen Vielfalt, Klimawandel, Rohstoffknappheit und so weiter haben so drastische und überwältigende Dimensionen angenommen, dass sie lähmend und überfordernd wirken. Scheinbar machtlos unsichtbaren Kräften ausgeliefert, verharren wir im Dämmerzustand zwischen Angst vor der Apokalypse und Hoffnung auf Erlösung.

Der Klimawandel als Feind von außen, der das scheinbar funktionierende System bedroht

Der belgische Geograf Erik Swyngedouw, Professor an der Universität Manchester, hat sich damit beschäftigt, wie zum Beispiel der Klimawandel von Politik und Wirtschaft als solche Apokalypse inszeniert und entpolitisiert wird. Obwohl die Politiker von Gipfel zu Gipfel vorgeben, die Rettung des Klimas stehe ganz oben auf der Agenda, ließen sie gleichzeitig dessen strukturelle Ursache - nämlich den Kapitalismus mit seinem Wachstumsdiktat und Rohstoffhunger, der fortwährend Ungerechtigkeit produziert - außer Acht. Stattdessen würden sie den Klimawandel wie einen Feind von außen behandeln, der das scheinbar funktionierende System bedroht. Der Eindringling könne also nur von innen heraus, mit den Mitteln des Kapitalismus, bekämpft werden. "Mit anderen Worten: Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, sodass sich nichts wirklich ändern muss", schreibt Swyngedouw.

Die Green Economy, die so dröhnend optimistisch daherkommt, ist aus dieser Perspektive eine schale Durchhalteparole nach dem Motto "Anpacken statt jammern". Nichts anderes als das neoliberale Märchen der Alternativlosigkeit, mit der uns die Politik seit Jahren sämtliche Entscheidungen verkauft und gesellschaftliche Debatten über alternative Systeme im Keim erstickt. Weltrettung als spektakulärer Ideenwettbewerb - als wären Krisen ein großes Rätsel, das gelöst werden muss. Und zwar von denen, die von dem zerstörerischen System profitieren: Eliten und Großkonzerne. Während gleichzeitig viele Bürger den Glauben daran verloren haben, wirklich etwas ändern zu können.

Die fatale Vorstellung, man könne höchstens an ein paar Stellschräubchen drehen, um minimale Dinge zu verbessern - ein bisschen besser ist ja doch besser als nichts -, führt im Großen zum gesellschaftlichen Stillstand. Zu einer "Diktatur der Gegenwart", wie sie der Sozialpsychologe Harald Welzer beschreibt: Wir finden uns mit den Folgen des Kapitalismus ab. Und nur logisch: Wenn man sieht, wie ignorant die Politik zum Beispiel mit dem wachsenden Protest gegen TTIP umgeht, ermutigt das nicht zum Engagement des Einzelnen.

Doch daraus zu folgern, dass es nichts mehr bringt, sich in die großen Fragen der Politik einzumischen und stattdessen lieber Ökoflugmeilen zur Weltenrettung zu sammeln, wäre fataler Unsinn.

Gesellschaftliche Veränderungen sind immer erkämpft worden - nie erkauft. Dafür braucht es keine Ozean-Jeans und essbare Flugzeugsitzbezüge, sondern Mut, Solidarität, Entschlossenheit, ein freies Denken und den unbedingten Glauben daran, dass wir es sind, die die Veränderungen bewirken können, die wir uns wünschen. Ja, wer denn auch sonst?

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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