Schlepperkriminalität:Entsetzen über Flüchtlingstragödie in Österreich

  • Auf der Autobahn 4 im Burgenland sind in einem Lkw bis zu 50 tote Flüchtlinge entdeckt worden.
  • Ob die Menschen beim Transport erstickt sind, wie in verschiedenen österreichischen Medien vermutet wurde, wollte die Polizei zunächst nicht bestätigen.
  • Der Lkw wurde zur Bergung der Leichen in eine nahegelegene Veterinärdienststelle gebracht. Dort musste der Wagen zuerst gekühlt werden.
  • Innenminister de Maizière forderte einen härteren Einsatz gegen Schlepperbanden, Österreich will Kontrollen im Grenzraum verstärken.

Auf der Autobahn 4 im Burgenland in Österreich wurden in einem abgestellten Lkw mehrere Tote gefunden. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um Flüchtlinge handelt. Wie viele Menschen tot sind, kann sie derzeit nicht sagen. "Wir können davon ausgehen, dass möglicherweise 20 Personen zu Tode gekommen sind, es können auch 40 bis 50 sein", sagte Hans Peter Doskozil, Landespolizeidirektor der LPD Burgenland auf einer Pressekonferenz. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte: "Es ist ein Lastwagen voller Leichen."

Ob die Menschen beim Transport in dem Kühllaster erstickt sind, wie in verschiedenen österreichischen Medien vermutet wurde, wollte Doskozil zunächst nicht bestätigen. Die Verwesung sei bereits weit fortgeschritten gewesen, als der Lkw gefunden wurde. Wie lange die Menschen tot sind und wie sie gestorben seien, könne er deshalb noch nicht sagen.

Lkw kam aus Ungarn

Der Wagen fuhr ersten Ermittlungen der Polizei zufolge am frühen Mittwochmorgen in Ungarn los, östlich der Hauptstadt Budapest. Am frühen Vormittag befand er sich vor der österreichischen Grenze und fuhr Laufe des Tages Richtung Neusiedl im Burgenland, wo er später gefunden wurde. Auf die Frage, warum der Kühllaster auf der von Schleppern vielbefahrenen "Balkanroute" nicht kontrolliert wurde, antwortete Doskozil: "Hier passieren täglich 3000 Lkws, eine lückenlose Kontrolle ist nicht möglich."

Bergung der Leichen beginnt

Zudem läuft nun die Bergung der Leichen. Der Lkw wurde dafür in eine Veterinärdienststelle im etwa 20 Kilometer entfernten Nickelsdorf gebracht. Vor Ort hätte man die Ladefläche nicht untersuchen können, weil der Lkw zuerst gekühlt werden müsse, sagte Polizeidirektor Doskozil auf einer weiteren Pressekonferenz am frühen Donnerstagabend. Im Laufe des Freitags sollen die Leichen identifiziert und in die Gerichtsmedizin nach Wien verbracht werden.

Die kriminaltechnischen Arbeiten könnten allerdings noch Tage dauern, sagten die Ermittler. Die Leichen würden auch auf Fremdeinwirkung untersucht. Ein Krisenstab wurde eingerichtet.

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(Foto: SZ.de)

Fahndung nach den Schleppern

Das weiße Fahrzeug ist mit Bildern von Nahrungsmitteln bedruckt, hat ungarische Nummernschilder und gehörte ursprünglich zu einem slowakischen Geflügelproduzenten. Die Firma wies jedoch jede Verbindung zu der Tragödie zurück, das Auto sei 2014 verkauft worden, die Schlepper haben es zweckentfremdet. Deren Ziel sei nicht bekannt, die hintere Tür offen gewesen, so die Polizei. Das Führerhaus war verlassen. Der Fahrer ist wohl geflüchtet. Gemeinsam mit den ungarischen Kollegen suche man nun nach ihm. Details können man bislang noch nicht bekannt geben, er sei aber wohl mit einer "slowakischen Firmenkonstellation verschachtelt", sagte der Polizeisprecher.

Fundort liegt in der Nähe der ungarischen Grenze

Entdeckt wurde der 7,5-Tonner bei Mäharbeiten, die Autobahninspektion Parndorf hatte daraufhin am Donnerstagmittag die Kollegen alarmiert. Das Fahrzeug dürfte schon mindestens seit Mittwoch auf dem Pannenstreifen zwischen Neusiedl am See und Parndorf gestanden haben. Aus dem hinteren Teil trat bereits Verwesungsflüssigkeit aus, so die Polizei.

Der Fundort liegt in der Nähe der ungarischen Grenze etwa 40 Kilometer südöstlich von Wien. Täglich strömen Tausende Flüchtlinge über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn weiter nach Westeuropa. Die meisten davon stammen aus Syrien. Bereits am Dienstag hatte die Polizei auf der A4 drei Schlepper gefasst, in der Nacht auf Donnerstag wurde bei Bruck an der Leitha ein Flüchtling von einem Auto erfasst und schwer verletzt, berichtet der österreichische Standard.

Österreich will Kontrollen verstärken

Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte: "Heute ist ein dunkler Tag. Diese Tragödie macht uns alle betroffen." Der innereuropäischen Schlepperei müsse ein Ende bereitet werden. Schlepper seien keine sanftmütigen Fluchthelfer, sondern nur am Profit interessiert. Österreich werde die Kontrollen im Grenzraum und in internationalen Zügen verstärken.

Auch die europäische Ebene sei gefordert. "Es ist nicht nur wichtig, dass Österreich gegen Schlepper vorgeht, sondern dass das auch alle anderen 27 Mitgliedstaaten machen", sagte Mikl-Leitner. In Wien treffen sich Politiker derzeit zur Westbalkan-Konferenz - unter ihnen auch Kanzlerin Angela Merkel. "Wir sind alle erschüttert von der entsetzlichen Nachricht", so Merkel. Dieser Vorfall zeige erneut die Dringlichkeit der Flüchtlingsfrage. "Das mahnt uns das Thema Migration im europäischen Geist, im Geist der Solidarität anzugehen und Lösungen zu finden."

"Es gibt keine Zauberlösung"

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nannte den Schutz der immer größeren Zahl von Flüchtlingen in Europa eine "moralische und rechtliche Pflicht". Die Europäische Union arbeite an neuen Vorschlägen für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Dazu gehöre eine gemeinsame Liste von sicheren Herkunftsländern. "Es gibt keine Zauberlösung", sagte Mogherini. Aber der Weg für eine Verbesserung der Situation sei bekannt.

In Nürnberg forderte derweil Bundesinnenminister Thomas de Maizière einen härteren Einsatz gegen Schlepperbanden: "Dass dort viele, viele Menschen ersticken, weil verbrecherische Schlepper an diesen Menschen und an den unwürdigen Transportbedingungen Geld verdienen, macht mich wütend und fassungslos." Er bot den österreichischen Behörden deutsche Hilfe an, um Täter und Hintermänner zu fassen.

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