China:Der Schein siegt

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Das Fälschen hat in China eine sehr lange Tradition. Ein Rundgang durch das Land zeigt: Wirklich niemand ist vor chinesischen Hochstaplern sicher - nicht einmal die Chinesen selbst.

Von Kai Strittmatter

In China konnte man schon vor Jahren seine Fritten bei King Burger und McKentucky bestellen, und eine Dose Heimeken bei Pizza Huh trinken. Wie diese Woche herauskam, kann man neuerdings sein Geld auch bei Goldman Sachs anlegen, einem Finanzinstitut mit Sitz in Shenzhen in der Provinz Guangdong, das zwar orthografisch mit dem amerikanischen Original in einer Liga spielt, aber eben auch bloß eine Kopie ist. Ausgerechnet Guangdong, auch als "Kanton" bekannt. "Die Chinesen sind sehr raffiniert in der Imitation", schrieb einmal ein Reisender aus Portugal. "Was auch immer aus Europa sie in die Hände bekommen, das imitieren sie bis zur Perfektion. In der Provinz Kanton haben sie Dinge so exakt nachgeahmt, dass sie sie im Rest des Landes als europäische Waren verkaufen." Der Autor dieser Zeilen, ein Dominikanerpater namens Domingo Navarette, war in China unterwegs: von 1659 bis 1664.

Billyregale in Kunming

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(Foto: REUTERS)

Kunming ist eine Stadt am Rand des Reiches. Dort wurde im Frühjahr 2011 die fast perfekte Kopie eines Apple-Stores entdeckt. Dann eine zweite und eine dritte, und am Ende des Monats hatten die Behörden 28 falsche Apple-Läden geschlossen. Ein paar Monate später, im August desselben Jahres tauchte plötzlich dieser Laden auf: Ein Möbelhaus, vier Stockwerke, viel blaue Schrift auf gelbem Grund, fertig eingerichtete Schauzimmer und, klar, Mini-Bleistifte. Bloß in der Kantine keine Köttbullar sondern geschmortes Schweinefleisch mit Ingwer. Willkommen bei "11 Möbel".

Österreich in Guangdong

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(Foto: REUTERS)

Das idyllische Örtchen Hallstatt liegt im Salzkammergut. Eine Kirche, ein See, knapp 900 Bewohner. Hallstatt Nummer Zwei hat auch eine Kirche und einen See, dazu eine britische Telefonzelle und ein paar Palmen, sieht aber sonst aus wie das Original. Naja, fast: Seitenverkehrt haben sie es aufgebaut, hier in der Provinz Guangdong im Süden Chinas. Der Ort soll reiche Immobilienkäufer locken. Die original Hallstätter fühlten sich erst veräppelt, dann geschmeichelt, am Ende reisten sie zur Eröffnung an. "Fesch haben sie es gemacht", wurde der Bürgermeister zitiert, der echte.

Wellness-Schloss in Dalian

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(Foto: N/A)

Die Chinesen lieben das Schloss Neuschwanstein. Sieht nämlich aus "wie das im Film". Oder "das in Amerika". Wie alles, was sie lieben (Eiffelturm, Weißes Haus, Arc de Triomphe), haben sie es zu Hause nachgebaut. Viermal so groß, viermal so bequem, viermal so luxuriös. Steht in der Hafenstadt Dalian und gehört zur "Starwood"-Hotelkette. Neben der kantonesischen Küche kann man dort deutsches Bier und deutsche Würstl bestellen. Danach geht's ins "Kaiser Spa", wohin, wie jeder weiß, unser Märchenkönig sich zu Yoga und Sauna zurückzog. Mit Meerblick, klar.

Latte in Wuxi

Chinesen essen Reis. Stimmt. Und mindestens so gerne Nudeln. Die besten Nudeln der Welt, handgeschlagen, handgezogen, handgeknetet. Die Chinesen trinken Tee. Stimmt. Und mindestens so gerne Kaffee. Espresso. Latte. Cappuccino. Seit ungefähr zehn, fünfzehn Jahren. Leider nicht den besten Kaffee der Welt. Meistens den bei "Starbugs". Oder: "Starsbuck". Gerne auch: "Buckstars". Wenn es sein muss: "Sunbucks". Manchmal bei "USAbugs". Aber nur wenn es wirklich, wirklich gar nicht anders geht dann - na gut - eben auch in Wuxi bei "SFFCCCKS".

Peking in Chongqing

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(Foto: AP)

Zaha Hadid, die Londoner Stararchitektin iranischer Abstammung ist eine viel beschäftigte Frau. In China hatte sie eine Weile fast ein Dutzend Projekte gleichzeitig laufen. In Peking baute sie das Galaxy Soho, ein Hochhausensemble geformt wie eine Gruppe Kieselsteine. Nur um 2012 festzustellen, dass ein Chongqinger Bauherr ihren Entwurf ebenfalls baute. Unter dem Namen "Meiquan 22nd Century". Nicht nur zur gleichen Zeit , sondern sogar noch schneller als sie. "Wir wollen nicht kopieren, wir wollen übertreffen", beteuerten die Chongqinger Architekturpiraten.

Prinzenparade in Nanjing

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(Foto: AP)

Das Bild entstand bei einer Hochzeit am 18. April 2011 in Nanjing am Langen Fluss. Das Brautpaar wünschte sich eine Kopie der königlichen Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton. Also gab es Pferde, es gab eine Kutsche und es gab die Garden der Königin samt Säbel und Bärenfellmütze. Das Ganze 50 Menschen und zwei Pferde und kostete umgerechnet 7600 Dollar. Das Beste: Bräutigam Wang Xueqian kriegte sein Fest nicht nur um einiges billiger als Prinz William, er war auch elf Tage früher dran. Nimmt man's genau, war seine Hochzeit das Original.

China ist noch immer Weltmeister in den Disziplinen Imitation und Raubkopie, und nicht immer lässt sich den Piraten dabei Kreativität absprechen. Chinesen konnten ein iPhone 6 schon erstehen, Monate bevor die Apple-Chefs es selbst in der Hand hielten, und während Harry-Potter-Fans weltweit nach Erscheinen des siebten Bands in Depressionen verfielen ob des Endes der Serie, durften chinesische Leser sich an gleich mehreren Folgebänden erfreuen ("Harry Potter und der Leopardendrache", zum Beispiel). Mitunter zeitigte die Profitgier der Produktpiraten auch erfreuliche Nebeneffekte; Generationen von Chinesen lernten günstig westliche Pop- und Filmkunst kennen: Billiger kam der Westen selten an Soft Power.

Großbritannien oder China? Ein Brautpaar in Nanjing wünschte sich eine Kopie der königlichen Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton. (Foto: AP)

2010 veröffentlichte die UN-Behörde für Drogen und Kriminalität eine Untersuchung, derzufolge 70 Prozent der weltweit beschlagnahmten Raubkopien aus China stammten. Was natürlich auch daran liegt, dass China längst die Fabrik der Welt ist: Praktisch alle Marken lassen hier produzieren. Die Regierung führt so regelmäßig wie erfolglos Feldzüge gegen die Fälscher, die im Dschungel des Online-Shoppings ein noch ergiebigeres Ökosystem gefunden haben. Allerdings: Auch Chinas Konsumenten scheinen allmählich des Nachgeahmten überdrüssig zu sein. In einer vor Kurzem veröffentlichten Umfrage in 15 chinesischen Städten erklärten neun von zehn Befragten nicht den Preis, sondern die Echtheit eines Produkts zum wichtigsten Kriterium beim Einkauf, vor einem Jahr waren es nur 78 Prozent. Das mag am steigenden Wohlstand der Städter liegen, aber auch daran, dass ihnen die Fälscher mittlerweile ihr Heiligstes vermiesen: das Essen. Die letzten Jahre machten gefälschte Eier (aus Gips und Gummi) ebenso Schlagzeilen wie gefälschtes Lammfleisch (eine Mischung aus Fuchs und Ratte).

Mit der Skepsis der Konsumenten wächst das Geschick der Hochstapler. Man fälscht nicht mehr nur iPhones, man baut sich gleich den Apple-Store. Nachdem der Schwindel bekannt wurde, schritt auch hier die Regierung ein. Bloß: Sie selbst ist in Sachen Falschetikettierung nicht das beste Vorbild. Diese Woche verkündete das Propagandablatt Global Times, China sei "die größte Demokratie der Welt". Gegen so einen Gaunerstreich sind auch die 28 falschen Apple-Stores in Kunming Peanuts.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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