Krawalle in Heidenau:Ich will kein Ossi mehr sein

Rechter Aufmarsch in Heidenau

Teilnehmer eines rechten Aufmarsches in Heidenau.

(Foto: dpa)

Dunkeldeutschland - gegen dieses Vorurteil hat unsere Autorin ihre sächsische Heimat immer verteidigt. Bis sie wegen der Krawalle nach Heidenau zurückkehrte.

Von Antonie Rietzschel

"Ui, du bist ja ein kleiner Ossi!" Diesen Satz brüllt mir der Typ auf der Party in Bremen im Suff entgegen. Ich nippe stumm an meinem Bier. Er sagt: "War doch nur Spaß." Ein zweiter Typ fordert: "Schwätz mal ein bissel Sächsisch." Als ich stumm bleibe, versucht er es selber. Ich hätte nicht gedacht, dass man diesen Dialekt noch schlimmer machen kann.

Acht Jahre ist das her. 2007 zog ich aus einem sächsischen Dorf bei Pirna und Heidenau zum Studium nach Bremen. Und war auf einmal das, was ich nie in mir gesehen hatte: der Ossi, das Zonenkind, Dunkeldeutschland.

Ich war drei Jahre alt, als die DDR unterging, die Mauer fiel. Und 21 Jahre später war da auf einmal eine Mauer, die ich nicht gebaut hatte. Sie bestand aus dummen Späßen, dummen Fragen, Unwissenheit. Viele meiner Kommilitonen waren noch nie im Osten. Sie kannten Trabbi, Pioniere, Stasi und Polytechnische Oberschulen. Wie es tatsächlich war, dort aufzuwachsen, wussten sie nicht.

Ich erzählte es ihnen, versuchte, meine Heimat so gut es ging zu erklären und sie zu verteidigen - vor allem gegen das Vorurteil, bei uns seien alle Nazis.

Leider hingen die NPD-Plakate zu hoch

Meine Eltern leben noch in dem kleinen Dorf bei Heidenau. Sie haben sich schnell berappelt in den neunziger Jahren - mein Vater baute seine eigene Firma auf, meine Mutter ihren eigenen Laden. Ossi/Wessi, das war in meiner Kindheit und Jugend kein Thema. Ich erzählte meinen neuen Freunden im Westen auch gern, dass meine Mutter mich einmal fragte, ob wir nachts gemeinsam NPD-Plakate von den Laternenpfählen schneiden sollen. Leider hingen sie zu hoch.

Seit den schweren Krawallen in Heidenau erzählen viele junge Menschen wieder von ihrer Jugend in Sachsen. Von Rechtsextremen, die zum Alltag gehörten und linke Jugendliche jagten. Und ja, es war schlimm. Der Sohn einer Kollegin meiner Mutter wurde nach einer Party von einem Rechtsextremen krankenhausreif geschlagen. Während des Gerichtsverfahrens hatte meine Mutter Angst, dass ihr die Scheiben eingeworfen werden. Ich selbst engagierte mich in einer Anti-Nazi-Organisation. Rechtsextremismus ist bis heute mein Fachgebiet als Journalistin. Daran ist meine Herkunft schuld. Ich finde das traurig.

Doch ich habe damals auch erlebt, wie sich erfolgreich Widerstand formierte. Für Rechtsextreme ist es mittlerweile unmöglich, dass sie zum 13. Februar durch Dresden laufen dürfen und den Tag der Bombardierung der Stadt während des Zweiten Weltkriegs missbrauchen können. Dank der großen Zahl an Gegendemonstranten ist der größte Neonaziaufmarsch in Europa Geschichte.

2013 fuhr ich vor der Bundestagswahl nach Pirna. Wir arbeiteten an einer Reportagereihe über Orte der politischen Extreme. In der sächsischen Schweiz ist es fast schon Tradition, dass die NPD einen hohen Stimmenanteil erhält. In Pirna war die rechtsextreme Partei kurz davor, ein Bürgerhaus in der Nähe einer Schule zu eröffnen, und drohte, Nachhilfeunterricht zu geben. Initiativen, der Bürgermeister oder die Sächsische Zeitung informierten, ohne Panik zu verbreiten. Viel Aufmerksamkeit, das wollen die Rechtsextremen. Die Leute waren klug genug, sie ihnen nicht zu geben.

Die Stimmung empfand ich so: Ja, die Rechtsextremen sitzen in Stadt- und Kreisräten, es gibt eine konstante Zustimmung bei Wahlen. Verbockt hat das vor allem die sächsische Landespolitik, die das Problem nicht ernst nahm und es damit möglich machte, dass sich diese rechtsextreme Strukturen überhaupt entwickeln konnten. Gleichzeitig gibt es engagierte Menschen, die die Nazis ganz gut im Griff haben. Zur Eröffnung des NPD-Bürgerhauses standen lauter braune Mülltonnen vor dem Haus. Als die NPD vergangenes Jahr aus dem Landtag flog, fuhr ich wieder gern nach Hause und sprach dort Sächsisch. Obwohl ich woanders lebe, wollte ich doch irgendwie dazugehören.

Ich war zu lange weg

In den vergangenen anderthalb Jahren konnte ich mir nach und nach immer besser vorstellen, nach Hause zurückzukehren, den Hof meiner Eltern zu übernehmen. Doch dann kam Pegida, kam Freital - und schließlich Heidenau. Dort bin ich sieben Jahre zur Schule gegangen.

Zwei Tage nach den Krawallen vor der Erstaufnahmeeinrichtung fuhr ich hin. Ich stand vor einem Mob von 200 Menschen, darunter jede Menge Neonazis, und ließ mich anbrüllen: "Lügenpresse", "Volksverräter". Ich dachte: Wo kommt ihr plötzlich wieder her? Noch schlimmer waren aber die Alten, die direkt vor der Flüchtlingsunterkunft standen und im tiefsten Sächsisch vor sich hin geiferten. Der Prozentsatz an Männern, die sich angeblich in dem Flüchtlingsheim befanden, wurde sekündlich höher: "Die sin scharf of unsre Frauen", brüllte einer. Ich schaute in die Runde und sah verbrauchte Gesichter. "Wir wolln hier keene westdeutschn Verhältnisse", sagte einer.

Mir wurde klar, dass ich naiv gewesen war. Ich war zu lange weg, um das früher zu bemerken. Besuchte ich meine Eltern, war ich entweder auf dem Hof oder in Dresden-Neustadt, einer kleinen alternativen Insel. Wie konnte ich da in Anspruch nehmen, für den ganzen Osten zu sprechen, als ich versuchte, ihn zu verteidigen?

In Heidenau wurde mir klar, dass ich ihn nicht einmal verstehe. Ich verstehe nicht, was es mit den Flüchtlingen zu tun hat, dass "Wessis" nach der Wende Ostbetriebe abgewickelt haben. Ich verstehe nicht, was die Menschen mit "westdeutschen Verhältnissen" meinen.

Wieder stehe ich vor einer Mauer, und diesmal habe ich sie selbst gebaut. Ich stehe auf der einen, die Daheimgebliebenen auf der anderen Seite. Ich spreche kein Sächsisch mehr, nicht mal zum Spaß. Ich zweifle, ob ich hier wirklich leben möchte. In einer Region, der die Jungen den Rücken kehren. In der die Bewohner immer älter werden und nicht kapieren, dass sie Menschen von außerhalb brauchen. Egal ob aus dem Westen oder aus Syrien.

Als ich von Heidenau zurück nach München fuhr, hielt ich an einer Tankstelle. Drinnen saßen an einem Tisch fünf junge Männer in Thor-Steinar-Klamotten, die sich bei Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreuen. Sie tranken ihr Bier und verhielten sich ganz so, als ob ihnen der Laden gehören würde. Ich war noch nie so froh, wieder ins Auto steigen und meine Heimat verlassen zu können.

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