Luft und Liebe:"Fettsack!" - "Dumme Kuh!"

Jedes Paar tut es auf seine eigene Art: Streiten ist wichtig und gut für die Beziehung. Wenn man es richtig macht.

Violetta Simon

Streiten ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wer sich nicht streitet, kann sich auch nicht einigen. Wenn sich Kinder im Sandkasten um die Sandförmchen zoffen, üben sie im Grunde nur für den Ernstfall: die Partnerschaft. Denn dann wird Streiten überlebenswichtig - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

streit

Anbrüllen ist ok. Aber bitte keine Du-Botschaften!

(Foto: Foto: iStockphoto)

Wer seinen Ärger über den Partner nicht rauslässt, schadet nämlich nachweislich seiner Gesundheit. Der Psychologe Ernest Harburg von der Universität von Michigan hat nachgewiesen, dass in Beziehungen, in denen beide Partner ihren Unmut übereinander ständig hinunterschlucken, die Sterblichkeit doppelt so hoch ist wie bei Paaren, die sich offen die Meinung sagen.

Viele Paare haben im Laufe der Jahre eine ganz eigene Art zu streiten entwickelt. Ein berühmtes Beispiel für partnerschaftliche Kriegsführung findet sich in einem Dialog zwischen Liz Taylor und Richard Burton wieder, die in Edward Albees Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" das Paar Martha und George spielen:

Martha: "Du kotzt mich an." George: "Das war nicht sehr nett, Martha." Martha: "Das war nicht ... was?" George: "Nicht sehr nett." Martha: "... Mensch, du bist ein Waschlappen! Du hast keinen Funken ... keinen Funken ... na, was denn schon ...?!" George: ... "Mumm in den Knochen ...?" Martha: "Quatschkopf!" Stille. Dann lachen beide.

Man kann davon ausgehen, dass Martha und George die Sache nicht halb so witzig fanden, wie sie taten. Eigentlich müsste ihnen am Ende das künstliche Lachen im Hals stecken bleiben. Sie benutzen es jedoch, um die gegenseitigen Erniedrigungen zu überspielen und damit weitere Sticheleien zu ermöglichen.

Eine beliebte Form der Kommunikation zwischen Mann und Frau ist auch das Aneinandervorbeireden. Nicht erst seit Loriots "Frühstücksei" wissen wir, dass es sich dabei um eine überaus effektive Methode handelt, den anderen zu zermürben.

Er: "Das Ei ist hart!" Sie: (schweigt) Er: "Das Ei ist hart!!!" Sie: "Ich habe es gehört ..." Er: "Wie lange hat das Ei denn gekocht?" Sie: "Zu viele Eier sind gar nicht gesund!" Er: "Ich meine, wie lange dieses Ei gekocht hat ...?" Sie: "Du willst es doch immer viereinhalb Minuten haben ..." Er: "Das weiß ich ..." Sie: "Was fragst du denn dann?"

Heutzutage würde man solchen Menschen zu einem Besuch beim Paartherapeuten raten. Dort erfährt der Kommunikations-Neandertaler von einer wissenschaftlich fundierten "Streitkultur" und dass es dafür Regeln gibt.

Eine davon lautet zum Beispiel: Du-Botschaften vermeiden und immer schön respektvoll bleiben! "Du hast den Müll schon wieder nicht weggebracht" klingt bei weitem nicht so freundlich wie "Ich fände es gut, wenn der Müllbeutel nicht länger als nötig im Hausflur steht."

Die wunderbare 5:1-Formel: Fortsetzung nächste Seite ...

"Fettsack!" - "Dumme Kuh!"

Immer wieder liest man in Beziehungsratgebern außerdem, die Partner sollen ihre Gefühle für den anderen aktiv mitteilen. Sicherlich ein kluger Ansatz. Doch gilt das auch für jene Momente, in denen man sich wünscht, der andere möge sich innerhalb einer Sekunde in Luft auflösen, von einem Mähdrescher überfahren oder unter seiner Videosammlung begraben werden? Darf man so etwas überhaupt denken, geschweige denn aussprechen?

Ja, darf man! Wenn man eine weitere Regel in der Paarkommunikation beachtet: die sogenannte 5:1-Formel von John Gottman. Der Paartherapeut aus Seattle, Washington hat herausgefunden, dass es weniger darauf ankommt, wie oft ein Paar streitet, sondern in welchem Verhältnis diese negative Kommunikation zur positiven steht. Die perfekte Mischung besteht nach Ansicht von Gottman, wenn auf einen Streit fünf Nettigkeiten kommen. Es ist also völlig in Ordnung, seinem Partner zwischendurch Beleidigungen an den Kopf zu werfen, solange man anschließend wieder lieb zu ihm ist.

Allerdings geht die Rechnung nicht immer auf: Es gibt Gemeinheiten, die lassen sich auf diese Art keineswegs aus der Welt schaffen. Helga zum Beispiel hatte den Sinn dieser Formel ganz offensichtlich missverstanden, als sie Bruno ins Gesicht sagte, er rieche unangenehm, sei viel zu stark behaart und außerdem zu fett. Anschließend wollte sie sich mit einem süßlichen Lächeln und ein paar Muffins aus der Affäre ziehen.

Bruno nahm Helga die Sache übel. Er verstand nun, warum die meisten Paare im Durchschnitt nur noch zehn Minuten miteinander sprechen. Wenn eine Frau den Mund aufmacht, gibt es automatisch Ärger. Wenn ein Mann ihr das ins Gesicht sagen würde, erst recht. Deshalb war es besser, die Kommunikation auf das Nötigste zu beschränken. Und so schwieg Bruno - was ihm bedeutend leichter fiel als ihr.

Versuch's mit Streitkultur

Auch Helga sah ein, dass sie es übertrieben hatte. Sie nahm sich fest vor, beim nächsten Mal die Regeln der Streit-Etikette zu befolgen. Beim Abendessen wagte sie einen Versuch - ohne Du-Botschaft, höflich und offen: "Meine Nase sagt mir, ich lebe mit einem Puma in einem Käfig. Das Wesen, mit dem ich mir die Wohnung teile, sieht jedoch aus wie eine Kreuzung aus Gorilla und Michelin-Männchen."

Bruno verstand kein Wort und kaute erst mal weiter. Helga war verunsichert. Vorsichtshalber schob sie noch ein paar positive Interaktionen nach: "Ich finde es bewundernswert, dass du bei deiner Ernährungsweise so alt geworden bist." Bruno lachte gequält, Helga fuhr fort: "Es ist schon erfreulich, dass auch Menschen mit deinem Humor noch etwas zu lachen haben." Fragender Blick von Bruno. "Ich weiß deine tolerante Art zu schätzen - sicher tun es drei Nettigkeiten auch, oder?", schloss Helga gereizt.

Jetzt hatte Bruno genug: "Was zum Teufel soll das?" "Ich versuche gerade, eine Streitkultur zu etablieren." "Und ich finde, du redest nur Stuss." "Ich wollte dir eben meine Meinung sagen, ohne dich zu beleidigen." "Pah! Du wolltest mich nur beleidigen, ohne dass ich es merke." "Denkst du, das habe ich nötig? Fettsack!" "Dumme Kuh! Und deine Muffins schmecken grässlich." Die beiden standen sich gegenüber und starrten sich schweigend an. Plötzlich fing Helga an zu prusten, schließlich klopften sich beide grölend auf die Schenkel.

Bruno und Helga haben nun ihre ganz eigene Streitkultur. Wenn die Luft mal wieder dick ist, beschimpfen sie sich erst und halten sich anschließend den Bauch vor Lachen. Paartherapeutisch vielleicht nicht perfekt. Aber im Gegensatz zu Martha und George wird ihnen das Lachen wenigstens niemals im Halse stecken bleiben.

Die Kolumne "Luft und Liebe" erscheint jeden Mittwoch auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/luftundliebe

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