Künstlertum:An der Grenze

Viele Künstler in Europa stecken im Teufelskreis von Selbstausbeutung und Prekarität. Warum können nur wenige von ihrer Arbeit leben?

Von Kito Nedo

Tauschgeschäfte gehören zur Spezialität der Künstlerin Antje Schiffers. Einmal schlug die Berlinerin der strategischen Unternehmensberatung Roland Berger einen Deal vor: "Gemälde gegen Beratung". Die Berater willigten ein. "Ressourcen und Standpunkte wurden geklärt, Kunden sortiert und Benchmarking-Gesichtspunkte bedacht", notierte die Künstlerin später in einem kleinen Künstlerbuch. Auch die Analyse-Ergebnisse: Die Consultants befanden die Komplexität der Arbeit des Schiffers-Unternehmens "problematisch". Sie stellten außerdem fest, dass die Künstlerin ihre Kunst zu billig verkaufe.

Lässt man Auktionsrekorde und Großkünstler mit ihren mittelständischen Produktionswerkstätten mal beiseite: Verkauft ein Großteil der Künstler ihre Arbeit (die selbst als Ware noch das Versprechen des Unverkäuflichen und Preislosen in sich trägt) womöglich unter Wert? Warum ist das so in einer Gesellschaft, die gewohnt ist, Wertschätzung auch finanziell ausdrücken?

In der Künstlerstadt Berlin bestimmen ökonomische Fragen rund um die Kunstproduktion immer stärker die stadtpolitischen Debatten. Das liegt unter anderem an steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten, die der seit den Neunzigerjahren gewachsenen Szene seit ein paar Jahren zu schaffen machen. Deshalb gibt es auch immer wieder Bestrebungen, die eigenen Interessen gemeinsam politisch durchzusetzen - soweit das eben unter Künstlern möglich ist. Seit 2012 schwelt etwa der Streit um die City-Tax-Erlöse, der derzeit wegen der bevorstehenden Verabschiedung des Berliner Doppel-Haushalts für 2016/17 erneut an Intensität gewinnt. Die Bettensteuer für Touristen erhebt Berlin seit dem vergangenen Jahr, und sie spülte nahezu 27 Millionen Euro in die städtischen Kassen. Für das laufende Jahr rechnet man schon mit ein paar Millionen mehr.

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(Foto: AG Zeit + In Sistere)

Seit dem Bekanntwerden der City-Tax-Pläne fordert die Berliner Koalition der Freien Szene - ein spartenübergreifender Zusammenschluss freischaffender Künstler, Musiker, Tänzer, Schauspieler und Literaten - die Hälfte der Einnahmen für die chronisch unterfinanzierte Freie Szene. Schließlich, so lautet das Argument, verdanke die Stadt diese Einkünfte vor allem der - von den Künstlern in überwiegend prekären Verhältnissen produzierten - kulturellen Attraktivität.

Für die schätzungsweise 10 000 in der Hauptstadt lebenden bildenden Künstlerinnen und Künstler vergibt die Berliner Kulturverwaltung jährlich zwölf sogenannte "Arbeitsstipendien für Bildende Kunst", die mit jeweils 12 000 Euro dotiert sind: Ein Tropfen auf den heißen Stein. In diesem Jahr kam ein kurzfristig aufgelegtes Programm für 34 "Arbeits- und Recherchestipendien aus City-Tax-Mitteln" - ausgestattet mit je 8000 Euro - zusätzlich hinzu. Nach Angaben des Berufsverbands bildender Künstler Berlin e.V. (bbk) bewarben sich in nur vier Wochen über 1300 bildende Künstlerinnen und Künstler für dieses neue Stipendium, dessen Ziel laut Kulturverwaltung die Förderung von "Vielfalt und Qualität in Berlin produzierter künstlerischer Arbeiten" durch die Unterstützung neuer Ideen und Ansätze sei. Wer das Stipendium erhält, darüber entscheidet eine siebenköpfige, hauptsächlich mit Künstlern besetzte Jury.

Sabine Reinfeld, Künstlerin

"Die große Frage ist, ob in der Politik das Verständnis für eine Initiative wie die Zeitstipendien vorhanden ist?"

Eine Fraktion der Berliner Künstler selbst schlägt ein anderes, breiter angelegtes Modell der Künstlerförderung vor. Eine Zeitstipendien-Initiative (www.zeitstipendien.de) fordert von der Lokalpolitik ein Programm mit jährlich 350 Einzelförderungen zu je 7000 Euro. Das würde die Stadt circa 2,5 Millionen Euro jährlich kosten. "Die Finanzierung ist machbar", glaubt der Künstler Ulf Aminde. "Die große Frage ist, ob in der Politik das Verständnis für eine Initiative wie die Zeitstipendien vorhanden ist", ergänzt die Künstlerin Sabine Reinfeld. Beide arbeiten seit 2010 unter dem Namen Insistere zusammen und haben eine "künstlerische Kampagne" für die Zeitstipendien gestartet. Seither wandelt Reinfeld als "Avatara Plenara Zeitstipendia" an Sitzungstagen durch die Lobby des Berliner Abgeordnetenhauses, um die Berliner Politiker von der Notwendigkeit des neuen Stipendiums zu überzeugen. "Wir fordern mehr Zeit, um Kunst zu machen", erklärt Reinfeld. Und Zeit wird knapp, wenn man seinen Lebensunterhalt nebenher mit anderen Jobs erwirtschaften muss. "Der Wunsch, etwas zu tun, was man liebt, kann einen anfällig für Ausbeutung machen", erklärt die Londoner Aktivistengruppe Precarious Workers Brigade in dem gerade von Minna Henriksson, Erik Krikortz und Airii Triisberg herausgegebenen Sammelband "Art Workers" (www.art-workers.org). Die Bereitschaft, alles zu tun, um Kunst zu produzieren - und Künstler lernen an den Akademien, ihre Kunst über alles andere zu stellen - bedeute auch, dass man befristete Arbeitsverhältnisse sucht, Teilzeitarbeit, Arbeit im Dienstleistungssektor, um Zeit für das Eigentliche zu gewinnen. Wird dies zum Dauerzustand, steckt man irgendwann im Teufelskreis von Selbstausbeutung und Prekarität fest.

Mit ihrem Breitenförderungsansatz stellt sich die Zeitstipendien-Initiative gegen die gängige Praxis der Elitenförderung. Dabei ist nicht ausgemacht, was ökonomisch sinnvoller ist. Das liegt im Wesen von Kunst und Kultur begründet. Der Berliner Autor und Wirtschaftsberater Holm Friebe definiert Kunst und Kultur als ein "hit driven business": Weil Kultur in ihrer Avantgardefunktion eine Suchbewegung für neue Ästhetiken und individualisierte Lebensstile darstelle, könne prinzipiell nicht vorhergesagt werden, welches Produkt und welche künstlerische Position floppt und welche sich als gültig und ergiebig erweise. Deshalb ist es laut Friebe auch unmöglich, künstlerische Produktion im Vorhinein durchzukalkulieren. "Die Mischung des gesamten Portfolios muss stimmen; der Versuch, Quersubventionierungen zu kappen, geht am Wesen eines solchen Marktes vorbei." Diese Logik beherzigen Venturekapital-Geber beim Aufpäppeln von Start-ups ebenso wie traditionelle Buchverlage, die nach diesem Prinzip ihre Programme gestalten.

Vor ein paar Jahren gab Chris Dercon, der designierte Intendant der Berliner Volksbühne, dem Kunstmagazin Monopol ein Interview. Dercon bezeichnete die "creative industries"-Rhetorik als Trick, "um das ökonomische Modell der kostenlosen Arbeit salonfähig zu machen". Unter Kreativwirtschaft könne man die "stille Übereinkunft der politischen Parteien" verstehen, "Selbstausbeutung zu stimulieren". Seitdem feststeht, dass der Belgier 2017 die Nachfolge von Frank Castorf als Intendant der Volksbühne antreten wird, begann das Interview in den sozialen Netzwerken erneut wie wild zu zirkulieren. Vermutlich auch deshalb, weil Museumsdirektoren hierzulande bislang nicht zu denjenigen zählten, die am Status quo der Künstlerarmut rüttelten. Täten sie es nun, wäre das tatsächlich etwas Neues.

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