Stress am Arbeitsplatz:Gefährliches Hirndoping

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  • In den Jahren von 2000 bis 2014 ist in Bayern die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Probleme um 86 Prozent gestiegen.
  • Immer mehr Arbeitnehmer dopen sich gezielt mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, um dem beruflichen Druck standhalten zu können.
  • Viele von ihnen bekommen die Pillen, die zumeist andere Krankheiten bekämpfen sollen, von einem Arzt verschrieben.

Von Dietrich Mittler, München

Mehr denn je sind psychische Erkrankungen der Grund dafür, dass Bayerns Arbeitnehmer in ihren Betrieben oder Dienststellen ausfallen. "Der Zuwachs der Fälle ist erstaunlich hoch", sagt Günter Köll, der für München zuständige Leiter der Krankenkasse DAK-Gesundheit. Stress im Alltag und gestiegene berufliche Belastungen seien die Hauptursachen für diese Entwicklung. "Die Menschen kommen überhaupt nicht mehr zur Ruhe - weder im Beruf, noch im Privatleben", hat die in München praktizierende Psychotherapie-Heilpraktikerin Iris Dawid beobachtet, die am Donnerstag gemeinsam mit Köll in München die Ergebnisse des aktuellen DAK-Gesundheitsberichts vorstellte, in dem die Kasse die Krankmeldungen ihrer Versicherten ausgewertet hat.

Die Zahlen sind alarmierend: In den Jahren von 2000 bis 2014 ist in Bayern die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Probleme um 86 Prozent gestiegen. In München gar um gut 96 Prozent - und das innerhalb von nur sechs Jahren von 2008 bis 2014. In Bayerns Landeshauptstadt machten sie im Vorjahr 19,7 Prozent der Krankheitsausfälle aus und haben somit die bislang dominierenden Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems vom ersten Platz verdrängt.

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München liegt unter dem Landesdurchschnitt

In anderen bayerischen Großstädten wie etwa Augsburg und Nürnberg stehen die psychischen Probleme zwar an zweiter Stelle - aber auch dort mit massiv steigender Tendenz. Als Insel der Seligen erscheint in dieser Hinsicht der Großraum Würzburg. Dort tauchen die psychischen Erkrankungen in der Statistik erst an vierter Stelle auf und bedingen lediglich 12,5 Prozent aller Krankheitsausfälle, nach Muskel-Skelett-Beschwerden (21,9 Prozent), Problemen mit den Atemwegen (13,3) und Verletzungen aller Art (13,1).

Was die psychische Gesundheit betrifft, liegt München erkennbar unter dem Landesdurchschnitt. Bei Problemen mit dem Atmungssystem zieht die Hauptstadt hingegen mit den Zahlen aus dem übrigen Bayern gleich, und bei anderen wichtigen Krankheitsarten geht es den Münchnern statistisch gesehen besser, was den Münchner DAK-Chef Günter Köll doch freut: "Die Münchner sind im Vergleich zum restlichen Bayern und auch im Vergleich zum Bundesgebiet ausgesprochen gesund", sagt er. Landesweit am wenigsten krank hätten sich aber die Starnberger gemeldet.

Immer mehr Arbeitnehmer schlucken Pillen

Doch es gibt Grund zur Sorge - und das gilt landesweit: Immer mehr Arbeitnehmer dopen sich gezielt mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, um dem beruflichen Druck standhalten zu können. Männer und Frauen stehen sich dabei in nichts nach, und doch gibt es hier Unterschiede. Männer greifen häufiger zu Medikamenten, um ihre Leistungskraft zu steigern. Frauen wiederum setzen eher Mittel ein, die ihre Stimmung aufhellen sollen. Das Fatale daran: Die dabei benutzten Medikamente dienen eigentlich ganz anderen Zielen - etwa der Bekämpfung von Depressionen, der Minderung des Bluthochdrucks oder zur Behandlung von ADHS-Fällen. Selbst Medikamente für Alzheimer-Patienten werden laut DAK zum sogenannten Hirndoping missbraucht - hier etwa zur Verbesserung der Gedächtnisleistung. Betablocker wiederum sollen zweckentfremdend Stress, Nervosität und Lampenfieber abbauen helfen.

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Mehr als sieben Prozent der Arbeitnehmer in Bayern , so heißt es im DAK-Gesundheitsbericht, habe wenigstens einmal Hirndoping betrieben - in Zahlen ausgedrückt sind das mehr als eine halbe Million Erwerbstätige. Die Kasse geht allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus, und demnach hätten bis zu 926 000 Menschen im Freistaat hochwirksame Medikamente zum Hirndoping missbraucht. Inzwischen wissen in Bayern offenbar mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer, dass dies möglich ist. Was sie nicht ahnen: Sie können sich durch den Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente strafbar machen, wie Heilpraktikerin Iris Dawid sagt.

Allerdings ist das noch ihre geringste Sorge: "Viele der Mittel führen in die Abhängigkeit, manche zur negativen Veränderung der Persönlichkeit - einige gar zu schweren körperlichen Schäden." Erstaunlich dabei: In fast 54 Prozent der Fälle kamen die befragten Arbeitnehmer durch ein ärztliches Rezept zu ihrem Dopingstoff.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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