Maybrit Illner zu Flüchtlingen:Ein bisschen Hippie

SPD-Chef Gabriel, der Bayer Söder und ein ominöser Slowake: Maybrit Illner will in ihrer Talkrunde zum Thema "Deutschland hilft. Doch wer hilft uns?" über den Tellerrand gucken. Ein wenig irre. Allein die Fragestellung.

Von Lars Langenau

Millionen Menschen sind entwurzelt. Fliehen vor Krieg, Gewalt, Diktatur, Unterdrückung, Naturkatastrophen, Hunger, Armut, Perspektivlosigkeit. Staatsbahnen stellen den Zugverkehr ein. Regierende reden über Missbrauch des Asylrechts. Regierende verwehren sich gegenüber Quoten. Ängste vor dem Fremden. Brandsätze auf Flüchtlinge. Empathie mit dem Leid. Herzliche Begrüßungen. Grenzen, die fallen. Stacheldraht, der neu ausgerollt wird. Die Welt ist aus den Fugen.

"Nicht lange diskutieren, sondern handeln", sagt die Kanzlerin und macht derzeit eine gute Figur. Angela Merkel will helfen. Hilft. Gereicht dem "C" im Namen ihrer Partei endlich mal zur Wirkung. Doch wer hilft Deutschland? Diese recht akademische Frage beschäftigt die Talkrunde von Maybritt Illner am Donnerstagabend im ZDF.

Sind die Deutschen wirklich ein Hippievolk, das sich mit der hunderttausendfachen Aufnahme von Flüchtlingen nur von seinen Gefühlen lenken lässt, wie es der britische Professor für Politik, Anthony Glees, behauptet?

Gleich zu Anfang regt sich SPD-Chef Sigmar Gabriel erst mal furchtbar auf. Findet es "unfassbar", was gerade in Europa passiert. Dass vor allem die osteuropäischen Länder angesichts der Flüchtlingsströme nicht ihren Aufgaben gerecht werden.

Gabriel warnt, dass Europa vor die Hunde gehen könne

Die Türkei sei mit zwei Millionen Flüchtlingen augenscheinlich heillos überfordert. Es sei ein humanitärer Akt, den Fliehenden jetzt zu helfen, sagt der SPD-Mann. "Eine der großen Errungenschaften Europas sind die offenen Grenzen", fügt er hinzu. Doch vielleicht gehe Europa jetzt vor die Hunde, wenn sich niemand an die Regeln hält. Schließlich seien bereits 60 000 Flüchtlinge schon in diesem Monat in Deutschland angekommen.

Seine Genossin Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Neukölln und Nachfolgerin des legendären Heinz Buschkowsky, sagt, dass man nicht so euphorisch sein solle. Integration koste Kraft und Geld. "Jeder Flüchtling kostet pro Monat 1000 Euro." Und manchmal scheitere Integration eben auch. So gebe es einen "Mythos der syrischen Ärzte". Ganze 21 sollen es in Berlin sein, behauptet die SPD-Frau. "Eine Generation später beklagen wir unsere Fehler von heute." Man müsse sich um die Menschen sorgen, und dazu zähle eben nicht nur warmes Essen und Kleidung in den Notunterkünften.

Dann werden Gabriels Attacken subtil, die Augen formen sich zu kleinen Schlitzen und er setzt zum Frontalangriff auf den slowakischen Politiker und Unternehmer Richard Sulík an. Der hatte sich allerdings auch schon vorher ziemlich unqualifiziert zu der Problematik geäußert. Es sei naiv zu denken, es könnten alle Menschen nach Deutschland kommen. So in dieser Richtung. Als würde das hier jemand denken. Und: Afrika verfüge über schier unerschöpfliche menschliche Ressourcen. Eine schlimme Wortwahl für einen Liberalen.

Mehr Zuwanderung als Geburten

Gabriel schießt inzwischen scharf und nicht mehr ganz so subtil zurück: "Sie wollen doch gar nicht diese Flüchtlinge aufnehmen" und "Sie werden die ersten Verlierer, wenn wir die Grenzen schließen. Dann bleiben die alle bei Ihnen." Der liberale Europaabgeordnete, der in Deutschland aufgewachsen ist, gerät ins Schwitzen. Er kritisiert, dass die deutschen Sozialleistungen die Menschen anzögen und prophezeit das Ende des Schengen-Abkommens, also ein Europa, in dem Grenzkontrollen wieder Alltag werden. Doch seine Argumentation verfängt nicht bei dem deutschen Wirtschaftsminister. Der Slowake wird vom Vizekanzler abgekanzelt. Der Mann hat keine Chance. Gabriel: "Sie müssen mitmachen, sonst werden gerade Länder wie Ihres verlieren."

Nun sekundiert Markus Söder. Noch ein wenig unklar auf welcher Seite. Auf der des Slowaken oder auf der Seite des Koalitionspartners in Berlin. Erst auf Seiten des Liberalen, indem er davor warnt, der ganzen Welt Zuflucht bieten zu wollen. Bayerns Finanzminister tritt staatsmännisch auf, wie ein Ministerpräsident in spe. Er zitiert den SPD-Granden Helmut Schmidt, der vor der massenhaften Zuwanderung warnt und ja immer irgendwie recht hat. Er konstatiert, dass es dieses Jahr in Deutschland mehr Zuwanderungen als Geburten geben wird.

"Warum deshalb das Asylrecht ändern?"

Söder kritisiert die Länge des deutschen Asylverfahrens: Niederlande zehn Tage, Schweiz teilweise nur 48 Stunden. Warum geht das hier nicht schneller? Dann aber steht er dem Sozialdemokraten zur Seite, geht mit Gabriel fast Hand in Hand. Mal abgesehen davon, dass Söder gleich das ganze Asylrecht, immerhin ein Grundrecht in Deutschland, verschärfen will. Gabriel wiederum stimmt seinem Kollegen aus Bayern in einzelnen Punkten zu, fragt dann aber: "Warum deshalb das Asylrecht ändern?"

Die Begrüßungseuphorie wird der Ernüchterung weichen, warnt ein Zuschauer. Gabriel antwortet sehr realistisch: Ja, man brauche auch Wohnungsbau, "aber bitte nicht nur für Flüchtlinge". Und: Man dürfe den Menschen nichts vormachen. Im kommenden Jahr werde nicht wieder alles gut sein - und es werde auch Konflikte mit den Neuen geben.

Jetzt ist es Zeit, dass auch DIHK-Präsident Eric Schweitzer auf eine europäische Lösung pochen darf, gleichzeitig aber auch eine riesige Chance für die alternde deutsche Gesellschaft sieht. Durch die frühe Ausbildung und Weiterbildung der Flüchtlinge, die bleiben werden. Die Wirtschaft sei sich ihrer Verantwortung bewusst. Der Mann der Industrie- und Handelskammer wirkt seltsam verkehrt in dieser Runde, zumal er mit einer Legende aufräumen mag: Denn etwa zwei Drittel der Flüchtlinge seien für den deutschen Arbeitsmarkt gar nicht qualifiziert.

"Deutschland in exzellenter wirtschaftlicher Verfassung"

Dann lässt Illners Redaktion einen 27 Jahre alten Syrer vor die Kamera, der ein wenig besser Deutsch kann als der Autor dieses Textes Arabisch (Bolbol - Nachtigall, Shawarma - Döner, Aleikum Salam - Ciao). Er ist ausgebildeter Elektroingenieur, der in Homs seine eigene Firma hatte und vor einem Jahr flüchtete. Warum Deutschland? "Ich liebe Deutschland, ich mag gerne Fußball spielen, die Clubs."

Wahid Al-Buni macht gerade ein Praktikum in Potsdam. Hat Furcht vor der Nichtanerkennung eines Papiers, das er nicht mehr im Original hat, aber die deutsche Bürokratie verlangt. Doofe Situation. Aber so bezaubernd Herr Al-Buni auch sein mag: Gab es da nicht noch bessere Beispiele?

"Nach der Willkommenskultur kommt die Mitmachkultur" fordert Söder da aber schon. Er redet wie Gabriel von der positiven Tatsache, dass die Massen an Flüchtlingen auf den "Höhepunkt der wirtschaftlichen Entwicklung" nach Deutschland kommen würden. "In Bayern haben wir Gemeinden mit nur zwei Prozent Arbeitslosigkeit." Vieles sei deshalb machbar und zu wuppen.

"Dieses Land ist in exzellenter wirtschaftlicher Verfassung", assistiert nun Gabriel ihm. Der oberste Sozialdemokrat verweist auf die Milliarden für den Ausbau der Kitas, für den Wohnungsbau, für die Solidarrente. Es sei eine Fehlinformation, dass gerade alles Geld nur in Richtung Flüchtlinge fließen würde.

"Vielleicht ist das ja auch alles ein riesiges Konjunkturprogramm für Deutschland", fügt die junge SPD-Stadtteilpolitikerin Giffey hinzu. Schließlich kämen viele Menschen gerade durch die Flüchtlingsströme in Arbeit und eine ganze Industrie entsteht gerade um diese Menschen. Vielleicht also alles doch gar nicht so schlimm?

Wer hilft uns? Diese Frage wurde nicht beantwortet. Ist halt irgendwie auch eine irre Frage. Ein bisschen Hippie. "Man kann hier einfach nicht zu einem Punkt kommen", sagt Illner nach einer Stunde. Punkt.

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