Konflikt mit Russland:Warum der Schuldenerlass für die Ukraine scheitern könnte

Konflikt mit Russland: Flohmarkt in Kiew. Die Lage ist äußerst angespannt. Die Schulden lasten nach wie vor schwer auf der Ukraine.

Flohmarkt in Kiew. Die Lage ist äußerst angespannt. Die Schulden lasten nach wie vor schwer auf der Ukraine.

(Foto: Gleb Garanich/AP)
  • Im Sommer schien es noch soweit: Die vier größten privaten Gläubiger beschlossen, der Ukraine Schulden in Milliardenhöhe zu erlassen.
  • Allerdings ist noch unsicher, ob es soweit kommt. Das Land befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise.

Von Cerstin Gammelin und Florian Hassel

Es klang wunderbar, als Finanzministerin Natalie Jaresko Ende August einen Schuldenschnitt bekannt gab. Die Ukraine habe sich mit den Gläubigern geeinigt, ihrem kriegserschütterten Land einige Milliarden Dollar Schulden zu erlassen. Tatsächlich aber ist der von Jaresko verkündete Deal noch längst nicht durchgesetzt.

Internationale Rentenfonds, geführt von der US-Gesellschaft Franklin Templeton, halten Staatsanleihen für 18 Milliarden Dollar. Die kann die Ukraine ebenso schwer zurückzahlen wie weitere Milliardenschulden. Schon Anfang 2015 - vor dem erneuten Absturz der Wirtschaft - schätzte der Internationale Währungsfonds (IWF) das Loch in Kiews Haushalt bis 2018 auf 40 Milliarden Dollar - ein Drittel einer jährlichen Wirtschaftsleistung. Zwar willigte der IWF im März ein, der Ukraine in diesem und den nächsten drei Jahren17,5 Milliarden Dollar zu leihen. Weitere 7,5 Milliarden sollen von Weltbank, EU und US-Regierung kommen.

Bedingung des IWF war auch, dass private Gläubiger Schulden erlassen. Am 27. August schien es soweit: Die vier größten privaten Gläubiger erließen der Ukraine 20 Prozent auf den Anleihewert von 18 Milliarden Dollar und verschoben Zinszahlungen - für Kiew eine Liquiditätsspritze von gut 15 Milliarden Dollar. Die Übereinkunft werde "helfen, die Schuldentragfähigkeit wieder herzustellen" kommentierte IWF-Chefin Christine Lagarde.

Kiew muss Russland eine Anleihe zurückzahlen

Das Parlament in Kiew hat dem Deal am Donnerstag zugestimmt, obwohl es große Bedenken gibt, dass das Risiko eines weiteren Absturzes nicht gebannt ist. Der Nachlass, vermuten Volksvertreter, nützt in erster Linie den betroffenen Rentenfonds. Die Ökonomen Christoph Trebesch und Juan Cruces werteten über 180 Haircuts aus 68 Ländern und vier Jahrzehnten aus: Der Durchschnitts-Nachlass betrug 37 Prozent, weit mehr als der von Kiew.

Eine weitere Voraussetzung für den Schuldenschnitt ist, dass eine Mehrheit von mindestens drei Vierteln der Anleiheeigentümer zustimmt. Außerdem gibt es einen Konflikt mit Russland. Kiew muss im Dezember eine Ende 2013 in Moskau aufgenommene Anleihe von drei Milliarden Dollar zurückzahlen. Die Ukraine will, dass auch Moskau ein Fünftel seiner Forderung streicht. Russlands Finanzminister Anton Siluanow lehnt dies ab: Schließlich habe Kiew die Anleihe bei dem zu seinem Haus gehörenden Nationalen Vermögensfonds aufgenommen - also handele es sich um eine Sache von Staat zu Staat.

Diese Definition ist keine Nebensache: Zahlt Kiew diese Schuld im Dezember nicht voll zurück und stuft der IWF dies entsprechend seiner Regeln als nicht bezahlte Staatsschuld ein, darf der IWF Kiew keinen Cent mehr leihen. Im Juli hat IWF-Chefjurist Sean Hagan die russische Ansicht gebilligt und die Anleihe als Staatsschuld eingestuft.

Es hieß, der Schuldenschnitt sei ein "akzeptabler Deal"

Offiziell entscheiden muss letztlich der IWF-Vorstand, in dem auch Russland vertreten ist. Die Alternative: Ukraines Präsident Petro Poroschenko ringt Kremlchef Wladimir Putin die Zustimmung zu Schuldennachlass oder Streckung ab - womöglich mit deutscher Unterstützung, beim nächsten Treffen der Minsker Friedensgruppe am 2. Oktober.

Die Bundesregierung bemüht sich bereits seit Längerem intensiv, die heikle Angelegenheit politisch zu lösen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ließ Anfang September am Rande der G-20-Beratungen in Ankara ein vertrauliches Treffen der Ressortchefs der sieben westlichen Industrienationen (USA, Japan, Italien, Frankreich, Spanien, Kanada und Deutschland) organisieren, zu dem er Finanzministerin Jaresko einlud. Einziger Tagesordnungspunkt: der Schuldenerlass für die Ukraine und die Sicherung der neuen IWF-Kredite. Auch Lagarde war in Ankara dabei. Einen Durchbruch gab es nicht.

Hinterher hieß es, grundsätzlich seien sich die G-7-Finanzminister einig, dass der von Kiew ausgehandelte Schuldenschnitt mit den privaten Gläubigern "ein akzeptabler Deal" sei. Als "problematisch" stuften die Teilnehmer die Forderung des ukrainischen Parlaments nach einem deutlich höheren Schuldenverzicht ein, was nach Ansicht der Ressortchefs kaum möglich ist. IWF-Chefin Lagarde sei extra nach Kiew gefahren, um der Regierung zu empfehlen, im Parlament für den Deal zu kämpfen.

Fast die Hälfte aller Mittel- und Großunternehmen schreibt rote Zahlen

Und der Konflikt um den russischen Kredit? Den spielen die G-7-Staaten herunter. Russland sei nur ein kleiner Gläubiger, hieß es nach dem Treffen, an ihm werde der Deal mit den anderen nicht scheitern. Was nur die halbe Wahrheit ist. Denn die G-7 wollen die in Moskau aufgenommene Anleihe als privaten Kredit verstanden wissen - die Gläubiger hielten schließlich Bonds, heißt es zur Begründung. Der Fall, dass die Ukraine in Zahlungsrückstand gegenüber den Bonds-Haltern gerate, wird dennoch ausgeschlossen. Die G-7 sei überzeugt, "dass der IWF bleiben wird", sagte ein G-7-Mitglied der Süddeutschen Zeitung.

Selbst wenn der Streit mit Moskau geklärt wird, hat Kiew weitere über 50 Milliarden Dollar Schulden, dazu kommen noch Milliardenschulden etwa der Staatseisenbahn, der Stadt Kiew oder von Staatsunternehmen. Und so ist nicht nur die Ratingagentur Moody's skeptisch, ob die Ukraine dauerhaft zahlungsfähig bleibt. Auch den IWF-Ökonomen zufolge sind die wirtschaftlichen Risiken weiter "außergewöhnlich hoch".

Zwar soll die ukrainische Wirtschaft schon 2016 wieder wachsen. Doch solcher Optimismus könnte verfehlt sein. Für 2015 ging der IWF erst davon aus, dass die ukrainische Wirtschaft um fünf Prozent schrumpfe - zuletzt schon von einem Minus von neun Prozent.

Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Ukraine: Exporteure verkaufen ukrainische Lebensmittel, die früher nach Russland gingen, nun nach China. Auch die Konjunkturlokomotive Metallindustrie - durch den Verlust der Industrieregion Donbass besonders gebeutelt - scheint den Niedergang ab Juli zumindest gestoppt zu haben. Und die Regierung nahm mehr Steuern ein und gab weniger Geld aus als geplant.

Den Lichtstreifen stehen allerdings etliche Warnsignale gegenüber. Knapp die Hälfte aller Mittel- und Großunternehmen schreibt rote Zahlen. Viele von ihnen warten vergeblich auf Steuererstattungen durch das ukrainische Finanzamt -die Regierung schuldet hier weitere umgerechnet 1,9 Milliarden Euro. Kredit ist knapp, gut ein Viertel aller schon ausgegebenen Kredite notleidend, die Lage vieler Banken angespannt.

Die Preise kletterten bis Juli um 40 Prozent - und steigen noch weiter

Und selbst Ukrainer mit Job spüren die Krise immer mehr. Die Preise kletterten bis Juli um 40 Prozent - und steigen weiter. Ab Oktober, wenn die Heizsaison beginnt, spüren die meisten Ukrainer die Folgen drastisch erhöhter Strom- und Gaspreise für das Familienbudget. Das Durchschnittsgehalt liegt bei gerade 150 Euro. Löhne und Gehälter werden selbst nach einer geplanten Erhöhungsrunde nur um 13 Prozent steigen. Von Januar bis Juli fielen die Umsätze im Einzelhandel um knapp 24 Prozent.

Reformen kommen langsam - wenn überhaupt - voran. Nicht ein hoher Angehöriger des gefallenen Janukowitsch-Regimes wurde bisher wegen Korruption verurteilt. Die Bildung einer Anti-Korruptionsbehörde wurde verzögert und arbeitet bis heute nicht. Der neue Zollchef der Ukraine, Konstantin Likartschuk, legte Anfang September Indizien über Korruption beim Zoll und die angebliche Wiedereinsetzung von Janukowitsch-Getreuen vor - als Antwort wurde er gefeuert. Eine Steuerreform lässt ebenso auf sich warten wie die Privatisierung Hunderter verlustbringender Staatsfirmen.

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