Energiewende:Drunter und drüber beim Leitungsbau

Wenig Interesse für Bürgerbeteiligung an Stromtrassen

Das Stromnetz braucht neue große Nord-Süd-Leitungen, um den Windstrom aus dem Norden nach dem Atomausstieg im Süden zu verteilen.

(Foto: dpa)
  • Beim Bau neuer Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland warnt der Netzbetreiber Tennet vor neuen, schmerzhaften Verzögerungen.
  • Obwohl es einen politischen Kompromiss zum Bau unterirdischer Leitungen statt Strommasten gibt, formiert sich der Protest der Anlieger bereits, sagte Deutschland-Chef Hartmann.
  • Zugleich seien alle alten Planungen hinfällig und es drohten neue, langwierige Genehmigungsverfahren. Das könne den Leitungsbau um Jahre zurückwerfen und enorme Mehrkosten für die Stromkunden bedeuten.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Für Guntram Ziepel ist der Kampf noch nicht zu Ende. Dutzende Bürgerinitiativen hat der landesweite Protest gegen die mehrere Hundert Kilometer lange Stromtrasse Suedlink zwischen Wilster an der Nordsee und Grafenrheinfeld in Bayern aufgebracht. Ziepel, 63, ist Chef des Bundesverbands der Suedlink-Bürgerinitiativen, er kennt die Stimmung an der Basis. Dass die Trasse nach einer Einigung von Netzbetreibern und Politik nicht an riesigen Masten durchs Land führen soll, sondern großteils in der Erde, beruhige die Gemüter. "Der Protest aber ist nicht zu Ende. Wir bezweifeln, dass man die Trasse überhaupt braucht", sagt Ziepel.

"Die ersten Briefe sind schon da"

Kaum ein anderes Infrastrukturprojekt hat die Gemüter in Deutschland zuletzt so bewegt wie der Bau neuer Stromautobahnen. Wo immer Pläne für Masten und Leitungen auf dem Tisch lagen, war der Ärger nicht weit. Auch den Bauherren der Milliardenprojekte schwant, dass die Probleme beim Netzausbau noch längst nicht gelöst sind, im Gegenteil. "Natürlich werden wir auch Bürgerinitiativen gegen Erdkabel bekommen", sagt Lex Hartman, Deutschland-Chef des Netzbetreibers Tennet, der Süddeutschen Zeitung. "Die ersten Briefe sind schon da."

Dabei sollte doch alles besser werden. Zwei Jahre lang kämpften Bürger, Bürgermeister, Abgeordnete und sogar ein Ministerpräsident gegen sogenannte "Monstertrassen": neue Stromleitungen, die große Mengen Ökostrom von Nord nach Süd transportieren sollen. Wenn 2022 im Süden das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird, sollten sie die Lücke mit Windenergie aus Norddeutschland schließen. Das war der Plan - nur mit dem Widerstand aus Bayern hatten die Planer nicht gerechnet, allen voran CSU-Chef Horst Seehofer. Schließlich einigten sich die zerstrittenen Akteure, das Problem zu begraben: Die Leitungen sollen, wo möglich, im Untergrund verschwinden. Dies führe "zu mehr Akzeptanz und zu einem schnelleren Ausbau", hielt ein Koalitionsgipfel Anfang Juli fest. Das entsprechende Gesetz wird gerade zwischen den Ministerien abgestimmt.

Routen für Erdkabel müssen neu geplant und genehmigt werden

Doch am höheren Tempo gibt es Zweifel. "Wir sind froh, dass wir jetzt mehr Erdkabel verlegen können", sagt auch der Tennet-Chef. "Schon der Bürger wegen." Nur gibt es da ein Problem: Die gesamte bisherige Planung für Freileitungen war umsonst. Erdkabel nehmen andere Routen. Alle Pläne müssen wieder bei null beginnen. "Wir haben fast drei Jahre verloren, und wir werden weiter Zeit verlieren", warnt Hartman. Wenn sich an dem Gesetz nicht noch etwas ändere, könne das nicht nur teuer, sondern auch gefährlich werden.

Tennet ist nur einer von vier Betreibern der deutschen Stromautobahnen - aber in punkto Netzausbau der wichtigste. In seine Verantwortung fällt die Nord-Süd-Trasse Suedlink, die mit zwei Verbindungen schnurstracks vom hohen Norden in den Süden führen soll. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Tennet bei der "Gleichstrompassage Süd-Ost" mitmischt, auch das entscheidet sich mit dem Gesetz. Sie brachte vor allem Bürger in Oberfranken und der Oberpfalz auf die Barrikaden. "Was wir hier errichten sollen, sind die Hauptschlagadern der Energiewende", sagt Hartman. "Es geht um weltweite Pilotprojekte."

Unentwegt flackert auf seinem Schreibtisch eine 50 auf und ab. 50,023 - 50,007 - 50,045. Ein digitaler Zähler zeigt die Frequenz im deutschen Stromnetz an. Sackt die Zahl unter 49,8, dann steht die Republik kurz vor dem Blackout. Kein Szenario, dass die Deutschen bisher wirklich fürchten müssten, sagt Hartman. "Aber wenn der Netzausbau nicht schneller wird, dann wird das System insgesamt ganz bestimmt nicht sicherer."

Um überhaupt Bürger für die hässlichen Leitungen zu gewinnen, läuft seit Jahren ein aufwendiges Planungsverfahren. Da werden "Netzentwicklungspläne" aufgestellt, langen Konsultationen unterzogen und dann schließlich bewilligt. Da werden breite Korridore auf die Landkarte gemalt, in die anschließend verschiedene Varianten für den Verlauf der Leitungen eingezeichnet werden. Betroffene Bürger werden bei all dem beteiligt - eine Lehre aus Zeiten, in denen widerspenstige Anwohner beim Bau von Stromleitungen als lästige Querulanten abgetan wurden. Vor Gericht waren sie nämlich oft erfolgreich.

Bei den Erdkabeln soll sich an diesem Verfahren kaum etwas ändern. Ein Fehler, warnt Hartman. "Wir wollen gerne so rasch wie möglich Erdkabel verlegen", sagt er. "Aber wenn das so kommt, wird das kein Be-, sondern ein Entschleunigungsgesetz." Dabei drängt aus Sicht der Bauherren die Zeit. Die Trassen müssen nicht nur komplett neu geplant werden, sie müssten auch noch das alte, dreistufige Genehmigungsverfahren durchlaufen. Das sei eine Planungsstufe zu viel, klagt der Tennet-Chef. "Wichtig ist, dass wir einen Planungsprozess bekommen, bei dem wir in drei Jahren eine Genehmigung bekommen und nicht erst in sechs." Sonst werde Suedlink selbst im günstigsten Fall frühestens im Jahr 2025 fertig - drei Jahre nach der Abschaltung des letzten Atomkraftwerks. Das aber bürde dem Stromsystem unnötige Kosten auf.

Drohende Milliardenkosten für Stromkosten

Dafür könnte vor allem der schnelle Ausbau der Windenergie zur See sorgen. Seit dort Windpark um Windpark entsteht, gibt es immer häufiger Stromüberschüsse im Norden. Doch in manchen Stunden gelangt er einfach nicht nach Süden. Dann müssen dort Kraftwerke anlaufen, um Engpässe zu vermeiden. Die damit verbundenen Kosten finden die Stromkunden auf ihrer Rechnung. "Das wird in die Hunderte Millionen Euro gehen", warnt Hartman. "Nach 2020 könnte sogar mehr als eine Milliarde Euro jährlich anfallen."

Die Bundesregierung macht derzeit aber keine Anstalten, die Planung zu verändern, auch Bayern sieht dazu keine Notwendigkeit. Der Zeitverzug bei der Planung werde durch die geringere Gefahr von Klagen "mehr als kompensiert", heißt es im Münchner Wirtschaftsministerium.

Doch offen ist zudem, woher die ganzen Kabel kommen sollen. Auch Tennet geht davon aus, dass bei einer Trasse wie Suedlink weit über die Hälfte der rund 800 Kilometer langen Strecke unterirdisch verlaufen. "Wir brauchen Kabel im Umfang vom vier- bis sechsfachen Weltmarkt - nur für Deutschland", sagt Hartman. Nur: Wer soll die herstellen? Neue Fabriken werden nötig, um den Bedarf zu decken, Gespräche dazu laufen. Verdienen lässt sich immerhin gut daran: Die Erdkabel kosten, je nach Schätzung, zwischen drei- und achtmal so viel wie herkömmliche Freileitungen. Zu zahlen von den Stromkunden.

Trasse durch Thüringen

Nach zehn Jahren voller Diskussionen könnte eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen tatsächlich im Plan fertig werden: die "Thüringer Strombrücke". Die gut 200 Kilometer lange Trasse, die Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt mit dem mittlerweile stillgelegten Atomkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern verbindet, könnte nach SZ-Informationen noch in diesem Jahr teilweise in Betrieb gehen. Zuletzt habe das Wetter die Bauarbeiten begünstigt, hieß es beim Netzbetreiber 50 Hertz, der die Leitung zusammen mit Tennet baut. Ziel sei es, zumindest eines von zwei Systemen bis Weihnachten ans Stromnetz anzuschließen. Die Leitung, die quer durch den Thüringer Wald führt, war gegen den erbitterten Widerstand der Anrainergemeinden durchgesetzt worden. Lange war unsicher, ob die Trasse rechtzeitig fertig wird. Sie gilt als wichtiger Lückenschluss im Stromnetz. Michael Bauchmüller

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