Kommentar:Sportlicher Stillstand

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Fußball-EM und Sommer-Olympia nacheinander in demselben Land? Der deutsche Sport traut sich das zu, mitsamt seinem kühnen Credo: Wenn ein Land das schafft, dann Deutschland! Aber ist das auch sinnvoll?

Von Johannes Aumüller

Nur mal angenommen, es gäbe irgendwo einen Knopf, mit dem sich - Abrakadabra, Simsalabim - die sportpolitischen Realitäten ganz einfach wegzaubern ließen. Mit dessen Hilfe sämtliche Argumente für eine Austragung der Olympischen Sommerspiele 2024 in Los Angeles oder Paris verschwänden und nur noch ein Zuschlag für Hamburg Sinn ergäbe. Und durch den die internationale Funktionärswelt zu dem Schluss käme, dass es doch schön wäre, die beiden wichtigsten Sportveranstaltungen eines Jahres in einem Land auszutragen und Deutschland also für 2024 zu einem noch nie da gewesenen Doppel aus Fußball-EM und Sommerspielen zu verhelfen.

Das alles mal angenommen: Was wäre das dann? Jedenfalls kein Super-Sommer, wie das die deutsche Sportwelt so gerne propagiert in diesen Tagen, in denen die Fußballer ihre vielversprechende und die Olympier ihre aussichtslose Bewerbung vorantreiben.

Für Deutschland gelten andere Regeln als für die Türkei

Es hilft, sich einmal konkret vorzustellen, was es bedeuten würde, erst im Juni/Juli eine Fußball-EM und danach im August Sommerspiele auszutragen. Die Bundesregierung müsste binnen kürzester Zeit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und Europas Fußballunion (Uefa) Steuerbefreiung und andere Fragwürdigkeiten zugestehen. Auf Kosten des Steuerzahlers müssten viele Milliarden Euro her, um Hamburgs Infrastruktur auf Trab zu bringen, und dann noch einmal viel Geld, um Fußball-Arenen zu modernisieren. Im Sommer 2024 ergäben sich für fast drei Monate am Stück immens steigende Sicherheitsvorkehrungen mitsamt immens steigender Kosten. Das fiele jeder Regierung schwer, so horrende Ausgaben für eine Doppelportion Spitzensport zu rechtfertigen. Die Volkswirtschaftler dürften nebenbei schon mal ausrechnen, welche Folgen es für ein Wirtschafts- und Exportland haben könnte, falls es sich für ein ganzes Quartal in einen sportlich bedingten Stillstand versetzen würde.

Die Menschen können sich für ein paar Wochen an einem Ereignis berauschen, sei es Fußball, sei es Olympia. Aber eine dreimonatige schwarz-rot-goldene Dauer-Jubelei ist weder vorstellbar noch wünschenswert. Die Großveranstaltungen würden sich gegenseitig entwerten, wobei den Fußball diese Entwertung weniger beträfe als Olympia.

Nicht nur aus der internationalen, sondern auch aus der nationalen Perspektive wirkt so ein Doppelzuschlag also unangebracht. Aber der Sport stürzt sich hinein, mitsamt dem forschen Credo: Wenn ein Land das schafft, dann Deutschland! Erst vor drei Jahren wurde die Türkei noch gezwungen, sich zu entscheiden. Deutschland muss nur aufpassen, dass es 2024 nicht am Ende mit leeren Händen, also ganz ohne sportliche Großveranstaltung, dasteht.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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