Porträt:Auch Möbel sind politisch

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Zeit seines Lebens rieb sich der DDR-Designer und ehemalige Buchenwald-Häftling Franz Ehrlich am Zeitgeist. Jetzt wird das Werk des ehemaligen Bauhaus-Schülers wiederentdeckt.

Von Kathleen Hildebrand

Was das denn für "unmögliche Kastenmöbel" seien? Als Walter Ulbricht, erster Sekretär des Zentralkomitees, die Möbelserie 602 der Deutschen Werkstätten Hellerau zum ersten Mal sah, flippte er aus. Auf der Leipziger Herbstmesse 1956 war das - und Ulbricht, selbst gelernter Tischler, hielt sich deshalb wohl für kompetent. Man solle sie entfernen, forderte er, die Produktion sofort einstellen, kein vernünftiger Mensch würde so etwas kaufen. So berichten es Werksvertreter, die ihn damals beim Ausstellungsrundgang begleiteten.

Die unmöglichen Kastenmöbel hatte Franz Ehrlich entworfen. Ein Bauhäusler, ehemaliger Buchenwald-Häftling, nun Möbeldesigner der Werkstätten Hellerau bei Dresden und einer der herausragenden ostdeutschen Designer. Zwar räumte man seine Anbaumöbel nach Ulbrichts Ausbruch folgsam vom Messestand. Aber in Produktion gingen die modular kombinierbaren Stücke trotzdem. Und sie wurden zu einem gewaltigen Erfolg.

"Jedem das Seine", musste er über das KZ-Tor schreiben. Niemandem fiel die Bauhaus-Schrift auf

Zum einen lag das natürlich an ihrer großartigen, von zeitgenössischen skandinavischen Entwürfen inspirierten Gestaltung, für die der ZK-Chef keinen Blick hatte: an den perfekt proportionierten neutralen Holzkästen mit Schubfächern, aus denen die Griffe wie sehr breite Zungen herauswachsen, und an den nach unten schmaler werdenden Beinen. Viele der Stücke gingen in den Export, in die Sowjetunion, aber auch in den Westen.

Dass der Andrang auf die Möbel in der DDR so groß war, dass Käufer ein halbes Jahr und länger auf diese Möbel warten mussten, hatte aber auch einen sehr pragmatischen Grund: Ihre Maße waren genau auf die Zimmergrößen des DDR-Wohnungsbaus zugeschnitten, in den all die Ausgebombten und Vertriebenen in den Fünfzigerjahren einzogen.

Auch wenn Ehrlich sich als überzeugter Kommunist von der DDR anderes erwartet haben mochte: Widerstand war er gewohnt. Sein ganzes Leben lang musste er kämpfen, für seine gestalterischen und politischen Überzeugungen, gegen die Nationalsozialisten, um sein Leben. Bis zum Schluss ging das so, als man ihm - er war längst einer der großen Architekten und Designer der DDR - wegen seiner Modernität die ersehnte Anerkennung versagte.

1907 wurde Franz Ehrlich in Leipzig geboren - fünf Geschwister, einfachste Verhältnisse. Nach der Volksschule machte er eine Lehre zum Maschinenbauschlosser, zum Heizer und Maschinentechniker. Er trat der Sozialistischen Arbeiterjugend bei und beteiligt sich an ersten Streiks. Schließlich wird er Mitglied der KPD.

Als Ehrlich 1923 eine Bauhaus-Ausstellung in Weimar besucht, weiß er: Hier will ich studieren. Seine Lehrer werden László Moholy-Nagy, Paul Klee, Oskar Schlemmer und Joost Schmidt. Ehrlich ist begeistert, und zwar nicht nur von der handwerklichen Ausbildung: "Ich wollte nicht Architekt, Formgestalter, Bildhauer, Maler oder Grafiker, sondern Bauhäusler werden", sagt er später, "um am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitarbeiten zu können."

Die neue Gesellschaft, die dann kam, war freilich nicht die, die er meinte. Als die Nazis die Macht übernehmen, arbeitet Ehrlich als Werbegrafiker in Leipzig und gibt nebenher die illegale Zeitschrift "Junge Garde" mit heraus. 1934 wird er verhaftet und wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. 1937 kommt er nach Buchenwald: Zwangsarbeit im Steinbruch, ein Todesurteil.

Doch seine Fähigkeiten retten ihm das Leben. Ehrlich wird ins "Werkstättenaufbau-Kommando" geholt. Dort entwirft er im Auftrag der Lagerleitung Wohnhäuser, Mobiliar für die Kommandanten, darunter eine Wiege mit SS-Runen. Viele seiner Blätter aus der Zeit im KZ sind erhalten geblieben. Ein Entwurf aber ist weltbekannt: der zynische Schriftzug im Tor des KZs, "Jedem das Seine".

Es ist nicht nur eine traurige Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein Bauhäusler dieses Emblem der Menschenverachtung gestaltet hat. Wer will, kann den Schriftzug auch als subtilen Protest lesen: Die Typografie ist eindeutig Bauhaus, ein Beispiel der Moderne, die von den Nazis so aggressiv diffamiert wurde.

Das Sideboard 602, eines der "Kastenmöbel", die bei Walter Ulbricht keine Gnade fanden. (Foto: Atelier PI Berlin)

Doch seine Treue zur Bauhaus-Lehre wurde Ehrlich auch nach dem Krieg nicht gelohnt. In der jungen DDR tobte bald der Formalismusstreit. Die Formensprache der Moderne galt den Ideologen des Arbeiter- und Bauernstaats als "westlich-dekadent" und antidemokratisch. Kaum schien die völkische Ästhetik der Nazis ad acta gelegt, wurde wieder Ähnliches gefordert: "Realismus", Volkstümelei. Und Ehrlich stand wieder auf der falschen Seite.

Handwerklich und politisch konnte man dem Buchenwald-Widerstandskämpfer nichts vorwerfen. Aber für die linientreue DDR-Ästhetik taugte er nicht. Als sein Entwurf des Ost-Berliner Rundfunkgebäudes als zu kahl kritisiert wurde, ließ er in eine Trennwand Durchbrüche in Form von Bourbonen-Lilien einfügen. Adelsembleme in einem sozialistischen Vorzeigebau: Unmöglich, aber Ehrlich wahrte seinen Eigensinn.

Deshalb bekam er zwar immer wieder solide Posten, leitete das Referat für Wiederaufbau in Dresden, war Chefarchitekt der Leipziger Messe, baute Auslandsvertretungen der DDR in Brüssel, Budapest, Peking. Aber es wurden auch immer wieder große, prestigeträchtige Entwürfe abgelehnt. Den ersehnten Lehrauftrag enthielt man ihm bis zuletzt vor. Daran änderten auch Beschwerdebriefe nichts, die Ehrlich immer wieder an den Staatsrat schickte.

Und auch nicht seine Tätigkeit als IM der Staatssicherheit, von der er sich Aufträge als Gegenleistung versprach. Von einem "Missbrauch seiner Leistungen" schrieb er 1982 verbittert und enttäuscht. Zwei Jahre später stirbt er. Zu früh, um die erste Ausstellung noch zu erleben, die man ihm schon 1978 ausrichtete (die letzte Schau mit seinen Werk war 2009 in Weimar zu sehen). Auch nicht, dass auf Auktionen für gut erhaltene Ehrlich-Stücke, vor allem die "unmöglichen Kastenmöbel", viel Geld gezahlt wird.

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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