Tumore:Körpergröße als Krebsrisiko

Tumore: Jaime Guevara (links) and Arlan Rosenbloom im Kreise ihrer Patienten. Die Frauen aus Ecuador sind etwa 1,20 Meter groß.

Jaime Guevara (links) and Arlan Rosenbloom im Kreise ihrer Patienten. Die Frauen aus Ecuador sind etwa 1,20 Meter groß.

(Foto: Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism)

Leiden große Menschen öfter an Tumoren? Hinweise aus dem Labor und von einer kleinwüchsigen Volksgruppe in Ecuador sprechen dafür.

Von Werner Bartens

Die Entdeckung klingt sensationell: Große Menschen bekommen öfter Krebs. Sofort möchte man Basketball-Teams zur Vorsorge schicken - und Philipp Lahm und Lionel Messi dazu gratulieren, dass sie wahrscheinlich von bösartigen Tumoren verschont bleiben. Auf den zweiten Blick ist es, wie oft in der Medizin, nicht so einfach. Lange Kerls und Frauen, die ihren Partner überragen, müssen sich jedenfalls nicht sorgen, frühzeitig vom Krebs dahingerafft zu werden.

Der Reihe nach: Am Wochenende haben Forscher der Karolinska-Universität in Stockholm während einer Tagung in Barcelona beeindruckende Befunde vorgelegt. Basierend auf Daten von 5,5 Millionen Schweden, die zwischen 1938 und 1991 geboren sind, kommen sie zu dem Schluss, dass große Menschen ein größeres Risiko für Tumore haben. In der ungewöhnlichen Spanne von 100 bis 225 Zentimeter Körperlänge zeigt sich demnach, dass pro zehn Zentimeter zusätzlicher Größe die Krebswahrscheinlichkeit bei Frauen um 18 Prozent und bei Männern um elf Prozent ansteigt. Größere Frauen haben ein um 20 Prozent erhöhtes Risiko für Brustkrebs, das Risiko für schwarzen Hautkrebs liegt bei beiden Geschlechtern gar um 30 Prozent höher.

Die Wissenschaftler um Emelie Benyi wissen, dass solche Meldungen für Unruhe sorgen können - und schränken die Aussagekraft ein. "Unsere Studie weist zwar darauf hin, dass größere Menschen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit Krebs bekommen, aber es ist unklar, ob sie auch ein größeres Risiko haben, an Krebs zu sterben", sagt die Hormonforscherin. "Was das individuell für das Krebsrisiko heißt, können wir nicht sagen."

Zudem fehlt bisher die Fachveröffentlichung, sodass nicht klar ist, was der Unterschied von 18 oder elf Prozent tatsächlich bedeutet und wie viele Menschen aufgrund ihrer Größe zusätzlich von Krebs betroffen wären. Einen Grenzwert, welche Größe mit besonderen Risiken einhergeht, können die Forscher auch nicht angeben.

Die Relevanz solcher Daten kann bescheiden sein. In einer gerade im International Journal of Cancer publizierten Studie behaupten Autoren, dass die Gefahr für Schilddrüsenkrebs mit jedem Zuwachs pro Fünf-Zentimeter-Intervall um 16 Prozent ansteigt (Bd. 137, S. 1484, 2015). Konkret zeigt die Studie, dass von 6,7 Millionen Teilnehmern überhaupt nur 7000 den Tumor bekamen. Umgerechnet auf Fünf-Zentimeter-Intervalle kommt man auf wenige Dutzend mehr Krebsfälle in Abhängigkeit von der Größe - bezogen auf mehr als sechs Millionen Menschen.

Wenn Kleinwüchsige keinen Krebs bekommen, sind Große dann häufiger betroffen?

Trotz der unklaren Aussagekraft und vieler offener Fragen verbergen sich hinter dem Thema Krebs und Körpergröße faszinierende Gedankenspiele. "In der Wissenschaft wird schon lange darüber diskutiert", sagt Martin Bidlingmaier, Hormonexperte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "In den 1990er-Jahren gab es Hinweise darauf, dass Patienten mit Akromegalie häufiger an Tumoren der Prostata, des Dickdarms und der Schilddrüse leiden." Bei dieser Krankheit produziert ein Tumor der Hirnanhangsdrüse vermehrt Wachstumshormon; in der Jugend führt dies zu Riesenwuchs, bei Erwachsenen vergrößern sich Hände, Füße, Nase, Ohren, Zunge und innere Organe. "Je größer und gründlicher die Studien, desto kleiner wurde jedoch die Evidenz", sagt Bidlingmaier. "Der Zusammenhang war allenfalls schwach ausgeprägt."

Unterstützung für die Hypothese, wonach übermäßige Körperlänge zu übermäßigem Krebswachstum führen kann, kam vom anderen Ende des Meterstabs. Der Hormonexperte Jaime Guevara-Aguirre untersuchte in den 1980er-Jahren Bewohner einer entlegenen Region im Südwesten Ecuadors. Dort leben Hunderte Menschen, die höchstens 1,30 Meter groß werden.

Unter dem romanhaften Namen "Die kleinen Frauen von Loja" publizierte Guevara seine Befunde 1990 im New England Journal of Medicine. Ein Mangel an einem Hormon, dem Insulin-like Growth Factor 1, (IGF-1), sowie des Rezeptors für Wachstumshormon war demnach für den Minderwuchs verantwortlich. Mindestens so erstaunlich war, dass keiner der klein geratenen Erwachsenen Krebs bekam oder Anzeichen für die Entstehung von Tumoren aufwies.

Kein Wachstumshormon, keine Tumoren - viel Wachstumshormon, viele Tumoren. So könnte man die Befunde deuten. Zudem hatten Studien im Labor gezeigt, dass Tumorzellen in Kultur schneller wachsen und stärker entarten, wenn sie mit Wachstumshormon oder einem seiner Nachfolgeprodukte wie IGF beträufelt wurden.

Wachstumshormon führt nicht direkt zum Längenwachstum, der Größenschub der Knochen wird über IGF vermittelt. "Aus indirekten Hinweisen im Labor auf den Zusammenhang zwischen Größe und Krebs zu schließen, ist gewagt", sagt Martin Bidlingmaier. "Große Menschen sind ja nicht lebenslang erhöhten Spiegeln an Wachstumsfaktoren ausgesetzt." Das Längenwachstum findet nur zu bestimmten Zeiten statt. Zwei intensive Jahre in der Pubertät reichen, um größer als der Durchschnitt zu werden. Die Tumorentstehung ist hingegen ein langwieriger Prozess, der auf chronischen Einflüssen beruht.

Hormonexperte Bidlingmaier gibt zudem Entwarnung, was die Therapie gegen Minderwuchs angeht. "Es gab schon lange den Verdacht, dass die Behandlung mit Wachstumshormon die Krebsgefahr erhöhen könnte", sagt der Arzt. "Nach vielen Untersuchungen und dem bestem Wissen gibt es jedoch keinerlei Hinweise dafür, dass die Therapie die Tumorhäufigkeit erhöht."

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