De Maizière über Flüchtlinge:Minister auf der Wippe

De Maizière über Flüchtlinge: De Maizières Worte erinnern an die Asylkrise vor 23 Jahren.

De Maizières Worte erinnern an die Asylkrise vor 23 Jahren.

(Foto: AFP)

Wenn ein Innenminister sich auf die eine Seite der Wippe setzt, dorthin, wo die Ablehnung von Flüchtlingen sitzt, dann ist es klar, dass die Stimmung kippt.

Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt Interviews, die man zweimal liest, weil man nicht glauben mag, dass ein gestandener christdemokratischer Politiker so daher redet: "Es kann nicht sein, dass ein Teil der Ausländer bettelnd, betrügend, ja auch messerstechend durch die Straßen zieht, festgenommen wird, und nur, weil sie das Wort Asyl rufen, dem Steuerzahler auf der Tasche liegen." Der Satz stammt nicht vom derzeitigen Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, er bezieht sich also nicht auf die sogenannte Flüchtlingskrise; der Satz ist schon älter, er stammt aus der Zeit der Asylkrise, aus den Debatten also, die vor 23 Jahren zur Änderung des Asylgrundrechts führten.

Der Satz stammt vom damaligen Berliner CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, der das "pointiert" nannte und sich darauf berief, dass "eine Volkspartei die Aufgabe hat, die Ränder der Gesellschaft rechts und links einzubinden". Es war die Zeit, in der von Flüchtlingen (trotz sehr viel niedrigerer Flüchtlingszahlen als heute) nur im Katastrophenjargon geredet wurde und der damalige bayerische Innenminister Edmund Stoiber dafür warb, aus dem Asylrecht ein bloßes Gnadenrecht zu machen. Man weiß, was solche Sätze wie der von Landowsky mit angerichtet haben.

Das Interview, das Bundesinnenminister Thomas de Maiziere im "Heute Journal" des ZDF gegeben hat, ist von der obszönen Brutalität des Klaus Landowsky noch einigermaßen weit entfernt. Aber der sonst oft so bedächtige Minister pauschalisiert auf gefährliche Weise: "Sie", so sagt er, und meint "viele Flüchtlinge", "gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen." Gewiss gibt es das auch. Aber der Minister macht daraus Regelfälle; er verallgemeinert; er wirft Rabauken, die es unter Flüchtlingen auch schon vor dem Sommer 2015 gegeben hat, in einen Topf mit so vielen Flüchtlingen, die nichts anderes wollen als Ruhe, Schutz, Hilfe und Integration.

Als sei da eine Art Eroberertruppe ins Land gekommen

Der Minister verhöhnte mit seinen Sätzen auch die Leute, die in der Enge des Erstaufnahmelagers durchdrehen - und in denen es die Flüchtlinge nach dem neuesten Asylrecht nicht nur bis zu drei, sondern sechs Monate aushalten sollen. Das ist nicht gut. Das schürt Vorurteile. So, wie der Minister redet, führt man das "Kippen" der öffentlichen Stimmung, die man dann bedauert, selbst mit herbei.

Der Minister spricht von einer "Ankommenskultur", die er von den Flüchtlingen erwarte. Das ist eine Selbstverständlichkeit: natürlich müssen sich die Menschen, die in diesem Land Schutz und Hilfe suchen, an Recht und Gesetz dieses Landes halten; natürlich sind sie gehalten, die Regeln dieses Landes zu achten. Man kann nicht den Schutz eines Landes beanspruchen wollen, aber dessen Grundregeln missachten. Wer den Grundkonsens des Aufnahmelandes nicht achtet, kann Aufnahme nicht finden. Für den größten Teil der Flüchtlinge ist dies selbstverständlich. Der Bundesminister sollte also nicht so tun, als sei da eine Art Eroberertruppe ins Land gekommen; wenn er einen solchen Eindruck befördert, befördert er die Angst, setzt er den inneren Frieden aufs Spiel.

Die Hilfe für die Flüchtlinge ist eine kippelige Angelegenheit. Wenn ein Minister sich mit seinem Gewicht auf die eine Seite der Wippe setzt, dorthin, wo ohnehin die Ablehnung sitzt, dann ist es klar, dass die Stimmung kippt. Die gewaltigen Probleme, die bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen bevorstehen, werden dann noch gewaltiger.

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