Interview:Herrn Høegs Gespür für Frauen

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Ehemaliger Ballett-Tänzer, Matrose, Schauspieler sowie Bestseller-Autor: Peter Høeg. Für eine Lesung kommt der dänische Schriftsteller nach München. (Foto: Sabine Lohmüller)

Der Bestseller-Autor hat es mit seinem neuen Roman "Der Susan-Effekt" wieder nach oben geschafft. Er erzählt vom Schreiben aus weiblicher Perspektive und seiner Liebe zu den Naturwissenschaften

Interview von Astrid Benölken

Peter Høeg grüßt auf Deutsch, bevor es im Interview dann auf Englisch weitergeht. Jede Frage lässt er einen Moment lang sacken, dann antwortet er, wohlüberlegt. Nach seinem Welt-Bestseller "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" blieb es lange Zeit ruhig um den dänischen Schriftsteller. Seine Folgebücher fanden in Deutschland kaum Beachtung - bis in diesem Jahr ein neuer Roman die Bestsellerlisten hochkletterte: "Der Susan-Effekt" (Hanser). Wieder geht es um eine starke Frau, wieder hat sie ein besonderes Talent.

SZ: Wie ist das für Sie als Mann, aus der Sicht einer Frau heraus zu schreiben?

Peter Høeg: Bei meinem letzten Buchprojekt war es ziemlich schwierig - aber auch ein großer Spaß. Diese Perspektive hat auch immer ein gefährliches Moment: So ganz kann ich es mir dann doch nicht vorstellen, wie es ist, eine Frau zu sein. Als ich das Buch beendet habe, hat es deshalb als erstes meine Partnerin lesen dürfen. Ich habe sie dann gefragt: "Hast du dich respektiert gefühlt, als Frau?" Denn das war das, was ich am meisten gefürchtet habe. Sie hat einen Moment innegehalten und dann "Ja" gesagt. Das war sehr entscheidend für mich.

Warum diese Perspektive?

Bücher sind etwas, das man nie so ganz kontrollieren kann. Im Norden Schwedens schlagen Holzfäller riesige Bäume und rollen die Stämme in den Fluss, der sie dann mitnimmt. Auf diesen Stämmen balanciert der Flößer, ein kleiner Mann, der mit einem Haken dafür sorgt, dass sich das Holz nicht verkeilt. Ich fühle mich oft wie dieser kleine Mann auf dem Fluss der Kreativität. Ich habe weder das Holz gemacht noch den Fluss. Aber ich sorge dafür, dass alles seinen Weg findet. Ich habe dieses Buch kommen gespürt, als ich mein letztes beendet hatte. Und ich wusste sofort, dass ich es aus der Perspektive einer Frau schreiben würde. Etwas, das mir nicht mehr passiert ist, seitdem ich vor zwanzig Jahren den Roman über Fräulein Smilla geschrieben habe.

Die Hauptperson in Ihrem neuen Roman, Susan, ist Experimentalphysikerin, für sie Beruf und Berufung zugleich, was auch an vielen Stellen des Textes deutlich wird. Woher nehmen Sie dieses fachliche Wissen?

Ich liebe die Naturwissenschaften. Aber: Sie haben mich nie zurückgeliebt. Ich war nie besonders gut in Mathematik in der Schule, trotzdem habe ich es einige Zeit studiert. Ich habe zwar kein Talent, aber es fasziniert mich. Ich habe immer ein paar populärwissenschaftliche Bücher im Regal stehen, lese wissenschaftliche Magazine und verfolge die Fortschritte in der Forschung. Ab und an nutze ich meine Bücher, um meine Leidenschaft für etwas zu teilen, was ich in meinem Leben nie erreichen konnte.

Susan hat eine bestimmte Wirkung auf andere: Wildfremde Menschen erzählen ihr, was ihnen am Herzen liegt. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Effekt?

Ich kenne zwei Menschen, die zu einem großen Maß über diese Eigenschaft verfügen: einen alten Mann und eine junge Frau, die mir beide sehr nahe stehen. Nehmen der alte Mann und ich ein Taxi zusammen, sitzt er einfach nur da und sagt nichts, und nach zwei Minuten wird der Taxifahrer anfangen, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Das hat mich unglaublich fasziniert: Was bewegt die Menschen dazu, ihnen ihr Herz auszuschütten? In dem Moment, in dem mir der Gedanke zu diesem Buch kam, wusste ich bereits, dass ich diesen Effekt in einen weiblichen Charakter projizieren möchte, für den diese Offenheit aber auch ein Problem ist.

Wie Susan hatte die Hauptperson Ihres Bestsellers "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" ein gewisses Talent, das sie besonders macht. Dazu gesellen sich weitere Gemeinsamkeiten: Beide sind sehr starke Frauen, die eine schwierige Kindheit hinter sich haben, sehr intelligent sind, die Naturwissenschaften lieben. Sind diese Übereinstimmungen Zufall oder Absicht?

Es ist einfach so passiert. Mir ist aufgefallen, dass bestimmte Thematiken, über die ich seit 20 Jahren nicht mehr geschrieben habe, zurückkamen. Mir fielen aber auch die Unterschiede auf: Smilla ist eng verbunden mit Grönland, was Susan nicht beeinflusst. Vor allem aber ist Smilla ganz allein auf sich gestellt, während Susan ein Familienmensch ist. Für mich sind das große Unterschiede.

Dennoch sind die Gemeinsamkeiten nicht von der Hand zu weisen.

Manche sagen, dass Schriftsteller eigentlich nur ein Buch schreiben können, oder noch viel weniger: eine Seite. Wir versuchen, diese deprimierende Tatsache zu verbergen, indem wir alles wieder und wieder wiederholen und uns bemühen, es so aussehen zu lassen, als sei es etwas anderes. Vielleicht ist das wahr. Ich hatte ein anderes Gefühl, als ich das neue Buch geschrieben habe, ich finde, in "Der Susan-Effekt" stecken mehr Humor und Wärme. Aber vielleicht irre ich mich auch. Ich glaube nicht, dass ich die richtige Antwort darauf habe, wie meine Bücher gelesen werden sollten.

Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn sich Smilla und Susan treffen würden?

Ich werde Ihnen ein Geheimnis verraten: In all den Jahren als Schriftsteller habe ich mit dem Gedanken gespielt, ein kurzes Buch zu schreiben, in dem ich all meine erschaffenen Charaktere aufeinander treffen lasse. In meinem Kopf habe ich bereits das erste Kapitel dieses Buchs geplant, das niemals geschrieben werden wird. In diesem Kapitel trifft Smilla auf Susan. Ich werde nicht die genauen Umstände verraten, aber ich denke, die beiden würden sich gut verstehen. Ich glaube, Smilla und Susan verstehen beide etwas von Schmerz.

Peter Hoeg: Der Susan-Effekt, Mi., 7. Oktober, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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