Fashion Week:Hier spricht Ihr Käpt'n Karl

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Beim Finale der Pariser Modewoche verwandelt Chanel den Laufsteg in ein Flughafen-Terminal. Lagerfelds neue Kollektion überzeugt im "Airport-Style". Andere Designer könnten ruhig mehr wagen.

Von Tanja Rest, Paris

Chanel-Shows sind intelligente Maschinen, auf Überwältigung programmiert. Man kann sich noch so sehr dagegen wappnen, aber wenn man dann dienstags die Treppe hochsteigt und eintritt ins Grand Palais in Paris, klappt einem doch der Kiefer runter. Das gilt erst mal nur für die schiere Größe des Ganzen. Chanel baut Sets, die alle Dimensionen sprengen, und dies nicht für einen Monat oder einen Tag. Sondern für 15 Minuten.

Willkommen bei Chanel Airlines

Ein Flughafen-Terminal, groß und licht, mit allem, was dazugehört: Anzeigetafeln, Wartebänke, Gepäckbänder und Check-in-Schalter mit lächelndem Personal in marineblauer Chanel-Uniform. Wenn der A380 jetzt durch die Glaskuppel brechen und auf dem Runway landen würde, man wäre nicht wirklich überrascht. Auf den Gepäckwagen stellen die Leute ihre Taschen ab und fotografieren sich gegenseitig. Merke: Kein einziges Kleidungsstück ist bisher draußen, und schon ist #Chanel auf Instagram explodiert.

Die neueste Karl-Lagerfeld-Kollektion ist beeindruckend gut, mit einem klaren Futurismus: silberne Schuhe und Handschuhe, bunt verspiegelte Fliegerbrillen. Die Kleider sind mit mehr Details versehen, als man auf einen Blick erfassen kann; dafür sieht man viel Karo und grafische Muster in Signalfarben, aber auch die obligatorischen Tweedkostüme und Denim. Zuletzt tritt noch Käpt'n Karl aus der Kulisse, sein Lieblingsmodel Cara Delevingne und sein Patenkind Hudson an der Hand. Perfekter kann sich ein Haus nicht inszenieren.

Seit Ewigkeiten liefert Chanel nun schon Kollektionen auf schlafwandelnd hohem Niveau ab. Was aber auch heißt, dass die Frage, wo die Musik gerade spielt, anderswo beantwortet wird. Man muss sich vorstellen, dass im Publikum Experten sitzen, deren Leben sich um Mode dreht und um nichts als die Mode. Sie haben jetzt wieder die vierwöchige Schauen-Tour hinter sich, und sie sind ja auch nur Menschen. Sie brauchen was Neues zum Schwätzen. Sie brauchen einen Hype.

Gucci ist zurück

Innerhalb der letzten Jahre ist der Hype von Balenciaga zu Céline zu Dior zu Valentino zu Saint Laurent gewandert, aber er war immer in Paris zu Hause. In dieser Saison allerdings haben die Fanfaren in Mailand losgeschmettert. Die zweite Saison von Alessandro Michele für Gucci, und auf einen Schlag laufen in Paris alle in Gucci herum. Vor Kurzem noch: impossible.

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Dass Saint Laurent nicht mehr ganz so heiß ist wie im vorigen Jahr, sieht man schon daran, dass es pünktlich losgeht, weniger Stars gekommen sind und alle von ihren Plätzen gut sehen können. In Reihe eins sitzen Catherine Deneuve und Pierre Bergé, die beiden alten Weggefährten des seligen Yves, innig ins Gespräch vertieft. Was diese zwei erzählen könnten!

Kritiker monieren hartnäckig, der Designer gebe sich drüben in Los Angeles zu wenig Mühe. Hedi Slimane reagiert darauf mit der Pose eines wahren Punk: Er strengt sich einfach demonstrativ noch weniger an. Neben den üblichen Smokings, Bikerjacken und kleinen Glitzerfummeln zeigt er Jeans in allen Stadien der Abgetragenheit, hingerotzte schwarze Abendkleider und - Gummistiefel. Ein Blick rüber zu Deneuve und Bergé: Die beiden amüsieren sich großartig. Und irgendwie geht die Sache ja auch wieder auf, denn eines darf die Mode gerade wirklich nicht sein: angestrengt.

Da ist Volumen drin

Man nehme nur die bunt karierten und gestreiften Sommerkleider von Stella McCartney oder auch die Marke Sonia Rykiel, der Julie de Libran gerade das unbeschwerte Rive-Gauche-Gefühl zurückgibt: Die Zeiten, als Frauen in Kleider gesteckt wurden wie in Zwangsjacken, sind glücklicherweise vorbei. In nahezu allen Kollektionen ist Volumen drin, Bewegungsfreiheit wichtiger denn je - bis hin zu den vielen flachen Schuhen mit dicker Sohle. Der Spirit ist jung, frei und feminin, das ist gut. Nicht gut ist, dass manches ins Kindliche abdriftet. Man hat diesmal durch hauchzarten Chiffon so viele nackte Mädchenbrüste gesehen wie nie. Transparenz bleibt ein heikles Thema, im Alltag sowieso. Aber wirklich auch auf den Laufstegen.

Neben einer spürbaren Lust auf Flowerpower gibt es immer noch genügend Häuser, die ihre Kollektion in eine ganz eigene Richtung schicken. Das elegante Schweizer Label Akris zum Beispiel, wo Albert Kriemler Bauten des japanischen Architekten Sou Fujimoto in Mode übersetzt - was zunächst sperrig klingt, aber Sinn ergibt, sobald man die Kleider sieht. Die großen Lochstickereien, lackblauen Oberflächen und grafischen Schnitte: alles einem Fujimoto-Werk entnommen, und es ist gleichermaßen leicht wie intellektuell.

Noch avantgardistischer kommt die erst 31 Jahre alte Iris van Herpen daher, deren Mode nicht aus dem Atelier, sondern aus einem Labor in einer anderen Ecke der Galaxie zu stammen scheint. Schon immer hat man sich gefragt, wann sie endlich anfangen will, Geld zu verdienen. Die Antwort lautet: jetzt. Zum ersten Mal sind ihre Kunstwerke auch tragbar. Es sind 3D-Stoffe, aus seidenen, silbernen und ledernen Fäden gesponnen, die sich wie Netze um die Körper schmiegen; dazu Spitze und Leder, das sich durch Lasercutting wie zu Origami-Blüten auffaltet. Ihre Inspiration seien die lebenden Baumbrücken in den Wäldern Indiens gewesen, schreibt die Designerin in den Anmerkungen zur Show.

Die Datenbrille auf den Laufsteg?

Abgefahren? Definitiv. Und es braucht mehr Leute wie sie. De facto hat man in Paris wieder Zitate von Zitaten gesehen; was zuletzt funktioniert hat, kommt leicht abgeändert wieder. Das geht in Ordnung, weil Luxusmode keine Kunst ist, sondern ein Milliardengeschäft, das die extraordinäre Kreativität eines Designers mit den ordinären Sehnsüchten von Zigtausenden in Einklang bringen muss. Trotzdem: Wie viel aufregender wäre diese Fashion Week, würden sich mehr Designer berufen fühlen, sagen wir: lebende Baumbrücken zu werden und rüberzuwachsen an neue Ufer. Oder man könnte eine Datenbrille aufsetzen und sich in andere Welten beamen lassen - so beginnt, auf Bildschirmen in den Raum projiziert, die Show von Louis Vuitton. Drei Metallic-Kleider sind dabei, die aus van Herpens Labor stammen könnten. Ansonsten bleiben vor allem die rockigen Lederwesten mit Reißverschluss-Details und ein paar fantastische Patchwork-Jacken in Erinnerung, getragen zu wallenden Piratenblusen.

Zurück zur Mode

Wer nach bis zu 40 Shows in sieben Tagen nach Hause kommt, soll immer zwei Fragen beantworten. Erstens: Was sind die Trends? Zweitens: Was hat am besten gefallen? Die Antwort auf die erste Frage ist unmöglich, weil es zwar Strömungen gibt, aber keine verbindlichen Trends mehr; das heißt: Es gibt so viele Trends wie Modehäuser auf diesem Planeten, also unzählige. Die Antwort auf die zweite Frage ist meistens schwierig, diesmal aber ganz einfach. Am schönsten war Valentino.

Keine Kulissen, nur ein schwarzer Laufsteg und Musik: "Jenseits von Afrika". Das ist zugleich das Motto der Show und ein explizites Bekenntnis zu den Menschen, die in diesen Tagen nach Europa drängen. Mit keinem würde man Afrika lieber durchstreifen als mit den Designern Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli, weil sie sich auf die Kunst der Ornamentik besser verstehen als irgendwer sonst. Das Defilée ist reinste Haute Couture: Da sind die Models mit ihren über den Kopf geflochtenen Zöpfen. Halsketten mit Raubtierzähnen aus Porzellan. Lederkleider, in breite Streifen geschlitzt und mit goldenen Nieten bestückt. Dazu die opulenten Stickereien, Rüschen, Batikprints, aufgenähten Perlen und Federn . . . Unvorstellbar, wie viel Recherche, Handarbeit und kreative Energie in diese Kollektion geflossen ist. In den hinteren Rängen schnäuzt jemand ins Taschentuch. Und genau so war es: Nicht mehr als Mode, aber zum Heulen schön.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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