Ratgeber für Flüchtlinge:So funktioniert Deutschland

Ratgeber für Flüchtlinge: Ameen Alkutainy aus Syrien und Nikolaus von Wolff haben ein E-Book mit 99 Tipps für Flüchtlinge veröffentlicht. SZ-Grafik

Ameen Alkutainy aus Syrien und Nikolaus von Wolff haben ein E-Book mit 99 Tipps für Flüchtlinge veröffentlicht. SZ-Grafik

  • Ein syrischer und ein deutscher Autor haben 99 Tipps für Flüchtlinge in Deutschland zusammengestellt.
  • Bisher gibt es den Ratgeber nur als E-Book, aber wegen der großen Resonanz soll jetzt auch ein Taschenbuch entstehen.

Von Ulrike Heidenreich

Die verschiedenen Welten prallen mitunter vor der Mülltonne aufeinander. Man mag es nicht glauben, aber die Mülltrennung gehört zu den häufigsten Auslösern von Konflikten zwischen Einwanderern und Deutschen. Wer auf lebensgefährlichen Wegen die Flucht nach Deutschland geschafft hat, nimmt eine braune, blaue oder graue Tonne mitunter nicht so ernst, wie er vielleicht sollte. "Bitte nehmen Sie sich etwas Zeit, um das deutsche Entsorgungssystem zu verstehen. Es wird Ihnen helfen, Konflikte mit den Nachbarn zu vermeiden." Dies ist nur einer von 99 Tipps für Zuwanderer, veröffentlicht auf Deutsch, Englisch und Arabisch. Der Ratgeber soll Verständnis auf allen Seiten schaffen - und der Erfolg gibt ihm recht.

Unter dem Eindruck der Flüchtlingsbilder auf dem Münchner Hauptbahnhof haben der syrische Wirtschaftswissenschaftler Ameen Alkutainy und der deutsche Kommunikationsberater Nikolaus von Wolff vor einigen Wochen einen knapp gehaltenen Taschenratgeber auf den Markt gebracht. Der Titel lautet: "Wir schaffen das". Noch ist er für 3,49 Euro nur als E-Book erhältlich, doch mehrere Verlage wollen ihn wegen der großen Resonanz als Papierbüchlein veröffentlichen.

"Wir geben Zuwanderern aus Syrien und der arabischen Welt sowie ihren Betreuern eine Denk- und Planungshilfe an die Hand", sagt von Wolff. Alkutainy stammt aus Aleppo, arbeitete für den syrischen Tourismusverband und musste seine Heimat wegen des Bürgerkriegs schon 2013 verlassen. Momentan unterrichtet er arabische Studien an der Nationalen Universität der Mongolei in Ulan-Bator.

"Ich möchte aber bitte mit einem Mann sprechen"

In diesen Tagen sorgt ja ein Regelwerk der baden-württembergischen Gemeinde Hardheim für Kritik, in dem etwas unbeholfen Belehrungen an "Liebe fremde Frau! Lieber fremder Mann!" in der Flüchtlingsunterkunft gegeben werden. Die Autoren von "Wir schaffen das!" gehen die Sache anders an; neben praktischer Orientierungshilfe gibt es psychologische Hilfe.

"Mit Blick auf die Zukunft bedeutet Ihre Ankunft in Deutschland Hoffnung. Versuchen Sie, die Schrecknisse und das Leid der Vergangenheit so weit wie möglich hinter sich zu lassen und sich für einen neuen Anfang zu entscheiden", heißt es zu Beginn, als Tipp Nummer eins. Später, bei Punkt acht, wird es konkret: "Sehr lange Wartezeiten für Ihre Aufenthaltsunterlagen, die Unterbringung in Lagern, das Zusammenleben mit fremden, nicht immer freundlich gesinnten Menschen sind eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Dennoch bringt eine Registrierung viele Vorteile. Es bringt keine, eine Registrierung nachzuholen."

"Als leichten Einstieg in ein schweres Thema", wollen die Autoren ihr Werk verstanden wissen. Sie diskutierten und sie stritten über heikle Fragen, über Themen wie religiöse Toleranz oder die Rechte von Frauen und Kindern. "Es wird als stark diskriminierend empfunden, wenn Sie die Zusammenarbeit mit Frauen verweigern, etwa mit Ärztinnen, Wohnungsmaklerinnen, Polizistinnen oder Behördenmitarbeiterinnen. Sagen Sie niemals zu einer Frau: ,Ich möchte aber bitte mit einem Mann sprechen'", lautet etwa Regel 23. Oder, ein paar Kapitel später: "Es ist in Deutschland nicht erlaubt, Kinder zu schlagen, weder in der Öffentlichkeit noch im Privatbereich."

Schnelleinstieg in die deutsche Lebenswirklichkeit

Sind Ansagen in dieser Deutlichkeit nötig? Ja, sagen die Verfasser von "Wir schaffen das". Alkutainys Familie lebt noch in Aleppo, er kennt die Ängste der Ankommenden und die Unsicherheiten in Familien, in denen Frauen und Kinder traditionell weniger Rechte haben. "Ziel ist es, Immigranten einen Schnelleinstieg in die deutsche Lebenswirklichkeit zu ermöglichen", so der Autor. Das solle unverblümt geschehen. Es habe wenig Sinn, das Grundgesetz auf Arabisch in Flüchtlingsheimen zu verteilen. Die wenigsten hätten in dieser Lebenslage den Nerv, es zu lesen.

Das Reizvolle (und Unterhaltsame) bei dem Ratgeber ist, dass es auch den Deutschen einen Spiegel vorhält. "Deutschland ist das einzige Land, wo sogar bei privaten Treffen Pünktlichkeit erwartet wird", heißt es da. Auch will der Ratgeber historische Missverständnisse verhindern: "Die meisten Deutschen sind stolz auf wissenschaftliche Errungenschaften, auf ein reiches kulturelles Erbe. Sie sind nicht stolz auf Hitler und die Nazi-Vergangenheit."

Die gedruckte Version soll für weniger als fünf Euro in den Handel kommen, ein Teil des Erlöses soll für die Flüchtlingshilfe in der Türkei verwendet werden. Apropos Geld - wie sich Erfahrungen mit Korruption in der Heimat mit möglichen Erlebnissen in Deutschland verknüpfen könnten, zeigt dieser Tipp: "Wenn Sie von Fremden angegriffen werden, scheuen Sie sich nicht, die Polizei zu rufen. Deutsche Polizisten sind umfangreich ausgebildet und haben die gesetzliche Verpflichtung, Ihnen zu helfen. Polizisten in Deutschland sind nicht bestechlich. Es ist verboten, ihnen Geld anzubieten, um Vorteile zu erreichen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: