Uni-Sammlungen:Ton, Steine, Scherben

Goethe-Figuren auf dem Uni-Campus

Unter Goethes wachsamen Augen hat sich die Uni Frankfurt zum 100. Geburtstag 2014 herausgeputzt.

(Foto: Roland Holschneider/dpa)

Tiergehirne, Grabungsfunde, Comics oder Beinprothesen. Der Bund sorgt sich um den Zustand wissenschaftlicher Sammlungen, oft verlottern Objekte.

Von Johann Osel

Es ist nicht gerade die gute Stube an der Frankfurter Goethe-Universität, und so dauert es ein, zwei Stunden, bis Professor Dirk Wicke etwas verschämt hineinführt. Direkt unterm Dach des prächtigen Hauptgebäudes führt da ein Gang - "Kopf einziehen, bitte!", Deckenhöhe, 1,60 Meter - zu einem Lager, ein Bretterverschlag eher, mit Kisten über Kisten, zugedeckt mit Planen. Es sind Funde aus Grabungen vor allem in Syrien, die noch sein Vorgänger auf dem Archäologielehrstuhl über Jahrzehnte mitgebracht hat, Ton, Steine, Scherben sozusagen, Keramik, Knochen. Bei solchen Expeditionen findet man ja nicht eine einzelne Scherbe am Tag, sondern kiloweise Material. Es könnte neue Erkenntnisse für die Forschung bringen, es könnte in Seminaren eine Rolle spielen; es müsste aber katalogisiert und erfasst werden, restauriert womöglich, präsentiert am besten. Freilich wäre damit ein Team eine Weile beschäftigt. Ein Team, das gar nicht existiert.

"Das darf man aber auch nicht wegwerfen", sagt Archäologe Wicke. Dass die Lagerung nicht optimal ist, weiß er selbst, und ebenso, dass durch die Unordnung wohl der Kontext der Funde verloren geht - wobei Grabungspläne vorhanden sind. Kistenweise. "Kein ungewöhnlicher Anblick, so etwas gibt es an Unis wohl überall", meint Wicke. Der Professor ist auch Koordinator für einen Antrag, den die Uni beim Bundesbildungsministerium gestellt hat. Knapp 900 Sammlungen gibt es hierzulande an Hochschulen, mancherorts Dutzende. Um diesen Bereich will sich die Ressortchefin Johann Wanka (CDU) nun kümmern. Das Ministerium sieht "prekäre Zustände", daher heißt das Motto der Förderschiene: "Vernetzen - Erschließen - Forschen. Allianz für universitäre Sammlungen". Und zur Aufbereitung der Bestände soll es jetzt 7,5 Millionen Euro geben.

Seit einigen Jahren steht die Sorge um den Erhalt von Uni-Sammlungen auf der politischen Agenda. Dass Forschung ständig neue Dinge in den akademischen Betrieb bringt, dass Exponate verstauben, verschimmeln, vergessen werden, dass es einzelne Professoren kaum schaffen, die Objekte zu pflegen - das wusste jeder, der mit Wissenschaft zu tun hat. Doch 2011 hat ein Gutachten im Auftrag von Bund und Ländern die Thematik ins Bewusstsein gebracht. Die Sammlungen seien "eine infrastrukturelle Daueraufgabe", die Universitäten "als kulturelle Orte stärkt", lautete die Mahnung. "Viele Sammlungen lagern unbekannt und ungenutzt in Abstellräumen. Womöglich liegen hier ungeahnte Schätze." Ein Beispiel aus der Forschung: Um Pflanzen zu kategorisieren, kann sich ein Botaniker nicht nur auf Literatur verlassen, er braucht Vergleichsstücke. Fossilien und alte Gesteine wachsen auch nicht nach. Ein Beispiel aus der Lehre: Syphilis, die schleichend zurückkehrt, kann ein Medizinstudent am allerbesten an einer echten Leber in konserviertem Zustand erkennen, und sei sie Jahrzehnte alt.

Die Alarmmeldung der Experten zeigte den Weg auf: Ein neues Bewusstsein für die Dinge müsse entstehen, Förderung soll es geben, Exponate müssten gerettet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden - im Idealfall gibt es Stellen und Koordinatoren an Unis, als Nebenbei-Aufgabe sei der Erhalt kaum zu stemmen. Seitdem sind Initiativen angelaufen, seitdem finden Professoren, die sich der Aufgabe widmen, bei ihren Rektoren zumindest Gehör, manchmal offene Kassen.

Der Professor sagt: "Es gibt eben keine Kapazitäten. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden"

In dem Zusammenhang ist nun die Initiative des Bundes zu sehen. Unis konnten Anträge stellen, kürzlich endete die Frist, aktuell wird begutachtet. Die Mittel dürften zum Sommer 2016 fließen. Hochschulen sollen sich intern und mit externen Partnern vernetzen und so "die Nutzung, Sichtbarkeit und Pflege nachhaltig begünstigen". Gefördert werden Personal, Sachmittel, Workshops - kein Geld wird aber für den Kauf neuer Objekte oder die Restaurierung ganzer Bestände überwiesen. Doch reicht das? 7,5 Millionen Euro, es klingt ordentlich. Doch pro Gewinner-Uni werden wohl 500 000 Euro spendiert, auf drei Jahre, und nur für die Sammlungen, derer man sich laut Antrag widmen will. Ein "Impuls" wäre das natürlich, sagen Dirk Wicke und Katharina Neumann. Sie ist Archäobotanikerin und Sprecherin des Arbeitskreises Sammlungen an der Goethe-Uni. Der Kreis arbeitet seit Anfang des Jahres daran, die mehr als 40 Sammlungen "aus dem Dornröschenschlaf zu holen". Erst einmal für einen Überblick: Welche Sammlung ist wie groß, wer betreut sie? Welche gemeinsamen Probleme hat man, welche Ziele, Strategien? Was lässt sich aus den Sammlungen alles machen? "Ein Sprachrohr" für das Thema wolle man sein, sagt Neumann. Sie kann gut einschätzen, was eine halbe Million Euro bedeutet in solch einem riesigen Feld. Wobei es in ihrem eigenem Reich geordnet aussieht. Sie erforscht, welche Pflanzen früher gewachsen sind, was Menschen gegessen haben, sie rekonstruiert "Lebensräume der Vergangenheit", vor allem in Afrika. In ihrem Büro ist fast alles in Kästen verräumt, Ebenholz, Baum- und Pflanzenausschnitte auf bunten daumengroßen Plättchen; Samen, Körner, Früchte, Datteln, die sie auf Märkten gekauft hat. "Was man so mitbringt", sagt Neumann ganz selbstverständlich. Und von Wicke kann man sich auch die Abgusssammlung zeigen lassen, eine Halle mit Gelehrten und Heroen der antiken Welt, für die Lehre. Da strahlen die Statuen in Weiß, kein Staubkorn. Oder, im Nebenraum, ein Mini-Museum, "Ausstellungswürdiges" nennt es Wicke, in Vitrinen stehen islamische Gläser, orientalische Sigel, Tonkrüge. Manches in Scherben, das hätte der Professor gerne restauriert: "Bei solchen Stücken, da leuchtet das Herz; es gibt eben keine Kapazitäten. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden." Aber die Universität steht schon besser da als viele andere, man hat sich vor der Ausschreibung des Bundes auf den Weg gemacht. Auch wegen des 100. Geburtstags 2014, als mit einem Festakt und Ausstellungen an die Uni-Gründung auf Initiative jüdischer Bürger erinnert wurde, an Adorno und Kollegen, an die lebhafte Geschichte. Zum Jubiläum gab es von Stiftern eine Ausstellungshalle am Museumsufer. Und man kann zudem auf das Projekt zurückgreifen, aus dem der Arbeitskreis entstand: eine Online-Plattform, mit der Sammlungen vorgestellt werden - die Idee einer Studiengruppe. Heute kann man sich in die Sammlungen klicken, mit Fotos ausgewählter Dinge und kleinen Texten, die nicht auf die Fachwelt abzielen. Durch das Jubiläum habe die Plattform einen "großen Push" bekommen, erzählt Lisa Regazzoni, sie hat die Studiengruppe mitbegründet. "Wir sind immer noch am Entdecken. Vollständigkeit wäre unmöglich." Das liegt auch an der Größe der Uni, Tausende Mitarbeiter, Dutzende Fächer. Maßgeblich sind die Steckenpferde der Professoren. So ähnelt kaum ein Sammlungsbestand einer deutschen Uni dem einer anderen. In Frankfurt gibt es etwa: Tiergehirne, alte physikalische Apparaturen, Gestein und Fossilien, Postkarten, Beinprothesen, Pflanzen, Skelette, Bücher und Kunst, Möbel, Büsten, Dolche, Modeschmuck. Es gibt Abzeichnungen afrikanischer Felsbilder, in der Völkerkunde, die größten sind zehn Meter lang - gigantische Teppichrollen; oder es gibt das Comic-Archiv der Jugendbuchforscher. Da lagern die ersten deutschen Comics um das Jahr 1900, es sind vielmehr Karikaturen, Mopsgeschichten, Episoden mit tollpatschigen Kühen; und jegliche Trends, Mangas, natürlich Superman, Fix und Foxi, Biene Maja. Alles nur Denkbare an Comics. Diese "Inseln" an der Uni wollen die Frankfurter verknüpfen, mit Zuschuss aus Berlin. Dort heißt es, Sammlungen "bewahren häufig Material, das sonst nirgendwo verfügbar ist. Viele dieser Bestände sind einzigartig und gehören zum materiellen Kulturerbe der Wissenschaften." Die Schätze müssten wieder "zum Leben erweckt werden". Für flächendeckende Reanimationsmaßnahmen wird das Geld des Bundes freilich kaum reichen.

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