Danke-Konzert:Wie Bellevue di Monaco und die Stadt einander nutzen

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Seit drei Jahren mischt die Aktion "Goldgrund" um Till Hofmann (mit Mütze) mit bunten Aktionen die Stadt auf. Collage: S. Unterhitzenberger, SZ; Fotos: Goldgrund (2), Rumpf (3), Peljak (4), dpa (2), Barth, Hess

  • Am Sonntag findet auf dem Königsplatz ein Konzert statt, um Münchner Helfern zu danken und Flüchtlinge zu begrüßen.
  • Organisiert wird es von der Künstlergruppe um Till Hofmann und der Stadt München.
  • Stadt und Künstlergruppe nutzen sich teils gegenseitig, können sich aber auch schaden.

Von Kassian Stroh

Am vorletzten Montag hatten Marc Liebscher und Till Hofmann eine Idee: Ein Konzert mit bekannten Künstlern wollten sie veranstalten, für Flüchtlinge und die vielen, die sie betreuen. Nur zwei Wochen später, ein anderer Termin als der 11. Oktober kam nicht in Frage. Sagenhaft, wie irrwitzig diese Idee war.

Anderntags saßen die beiden bei Oberbürgermeister Dieter Reiter im Rathaus, um ihn davon zu überzeugen, der Kreisverwaltungsreferent kam auch noch dazu. Sagenhaft, wie schnell man einen Termin beim Rathauschef bekommen kann.

Noch einen Tag später hatten die beiden einen Zuschuss von 150 000 Euro für das Konzert in der Tasche, auf Betreiben Reiters, nahezu einstimmig gebilligt vom Stadtrat. Sagenhaft, wie schnell man so viel Geld von der Stadt bekommen kann.

Aber kann all das überhaupt jemand anderes als Menschen wie Liebscher und Hofmann, Manager der Popgruppe Sportfreunde Stiller der eine, Kleinkunstgroßunternehmer der andere?

Das Bild einer offenen Stadt

So nichts schiefgeht, werden an diesem Sonntag am Königsplatz nationale Popgrößen bis hin zu Herbert Grönemeyer auf der Bühne stehen, davor 24 000 Münchner, diejenigen außerhalb des Areals nicht mitgerechnet. Die Bilder werden in die ganze Republik gehen, und in diesem erregt über Flüchtlinge diskutierenden Land wird München wieder einmal das Bild der offenen Stadt abgegeben, der "Wir-schaffen-das"-Menschen, nicht der "Notwehr"-Menschen.

Und ganz gleich, wie wahr dieses Bild ist: Dass es entsteht, liegt (wieder einmal) nicht unwesentlich an einer kleinen Gruppe von Münchnern. Einer Gruppe, die mal als "Goldgrund" in Erscheinung tritt, mal als "Bellevue di Monaco", mal namenlos und in immer anderen Formationen. Ein Netzwerk, das auf Freundschaften und auch auf Geschäftsbeziehungen beruht, das die Vision teilt von einem weltoffenen und sozialen München. Hofmann ist darin der vermutlich wichtigste Knotenpunkt.

Live im Internet

Das "Danke"-Konzert auf dem Königsplatz ist eine Initiative der Band Sportfreunde Stiller und der Genossenschaft "Bellevue di Monaco"; sie haben die Stadt als Mitveranstalterin gewonnen. Gedacht ist es als Zeichen der Anerkennung für die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit. Das Konzert beginnt um 17 Uhr und dauert bis 23 Uhr, Einlass ist bereits um 16 Uhr. Die 24 000 kostenlosen Tickets sind vergeben. Live zu sehen ist das Konzert aber auch im Internet unter deinpuls.de oder daserste.de. In der ARD gibt es am Sonntag um 23.35 Uhr zudem eine halbstündige Zusammenfassung, die in der Nacht um 0.30 Uhr und um 1.30 Uhr im Bayerischen Fernsehen wiederholt wird. Eine bearbeitete Version des Livestreams ist auf dem ARD-Kanal Einsfestival am Sonntag von 19 Uhr an zu sehen. kast

Und das Paradoxe ist: Wenn sich Dieter Reiter am Sonntag im Lichte dieses Münchens sonnt, wenn er auf dem Königsplatz spricht, dann ermöglichen ihm das (wieder einmal) Menschen, die der Stadtspitze vor zwei Jahren noch schwer zugesetzt haben. Ein bemerkenswerter Wandel.

Das Aktivisten-Netzwerk also. Das ist zum einen Till Hofmann, Zwillingsvater, fast 45, nicht nur wegen der Strubbelfrisur jünger wirkend. Er betreibt das Lustspielhaus, die Lach- & Schießgesellschaft und noch ein paar Lokalitäten mehr und trat politisch 2011 in Erscheinung, als er den Künstler-Protest gegen den Abriss der Kneipe "Schwabinger 7" organisierte.

Wie die Gruppe entstanden ist

Der Kampf gegen die Gentrifizierung, das war das Thema - und so fand sich 2012 "Goldgrund" zusammen, eine fiktive Immobilienfirma, zu der neben Hofmann der SZ-Journalist Alex Rühle und der Filmemacher Christian Ganzer gehören, der wiederum für Hofmann arbeitet. Sie erfanden ein aberwitziges Luxusbauprojekt mitten auf der Münchner Freiheit, das freilich nicht so absurd war, als dass es nicht doch viele ernst nahmen.

Die Goldgrund-Leute protestierten gegen das Aus für den Bolzplatz an der Glockenbachwerkstatt. Als Gorillas verkleidet richteten sie ein paar Zimmer im Haus nebenan an der Müllerstraße her, das die Stadt abreißen wollte. Sie führten der Öffentlichkeit ein fast völlig leer stehendes Haus an der Pilotystraße vor, das die Stadt als Stiftung bekommen hatte.

Die Blamage für die Stadt war groß, das öffentliche Echo enorm - auch wegen der prominenten Unterstützer: Bands wie die Sportfreunde Stiller und Moop Mama, Fußballer wie Bastian Schweinsteiger und Mehmet Scholl, Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt. Als Bühnenbetreiber und Konzertveranstalter kennt Hofmann sie alle, manche sind Kumpel, manche Geschäftspartner. Und nicht selten beides. So wie Scholl zum Beispiel.

Wie Hofmann und Co. die Politik beeinflusst haben

"Das hat uns im Wahlkampf weh getan", sagt Dieter Reiter heute über die Goldgrund-Aktionen. Er bewarb sich damals als Oberbürgermeister. Dass im Zentrum des Immobilienpreiswahnsinns die Stadt selbst Wohnungen leer stehen lässt oder viel zu teuer selber baut - diese Botschaft war extrem zugespitzt, aber sie traf und war eine unerwartete Schützenhilfe für die CSU. Gut möglich, dass die rot-grüne Koalition heute noch eine Mehrheit hätte, wenn Goldgrund sie nicht so vor sich hergetrieben hätte.

Daher gibt es bis heute Vorbehalte gegen die Aktivisten vor allem bei der SPD, denn zumindest bei der Renovierung an der Müllerstraße operierten sie teils mit falschen Behauptungen, womöglich auch mit trickreich zusammenmontierten Bildern. "Dass die Jungs kräftig übertrieben haben, das weiß man heute", sagt Reiter. Er gibt sich freilich nicht nachtragend, verbucht das als "künstlerische Freiheit" - ihn jedenfalls habe das dazu gebracht, beim Thema Leerstand "genauer hinzusehen", sagt er.

Der Goldgrund-Kreis hat ein Ritual: Jeden Dienstag trifft er sich morgens, kaum dass die Kinder in der Schule sind, im Café Pini an der Klenzestraße - das ist ganz praktisch, die meisten wohnen ja gleich irgendwo ums Eck.

Reiter drückte "Bellevue di Monaco" durch

Und hier entstand vergangenes Jahr auch die Idee für "Bellevue di Monaco" - ein Wohnhaus für junge Flüchtlinge samt Unterrichtsräumen, Café-Betrieb und Informationsstelle. Eine Unterkunft in der Altstadt, mitten in der Gesellschaft, in eben jenen Häusern an der Müllerstraße. Die Widerstände im Rathaus waren enorm, der Abriss längst beschlossen, und es war nicht zuletzt Reiter, der das Projekt am Ende durchdrückte.

Dann kam der 22. Dezember 2014: Binnen weniger Tage hatten die Bellevue-Leute eine Anti-Pegida-Demo organisiert. Ganz klein war sie geplant, aber plötzlich standen da 12 000, vielleicht sogar 20 000 Menschen vor der Oper - dabei war Pegida noch gar nicht in der Stadt zugange.

Ganz Deutschland nahm das wahr, und Reiter konnte sich beseelt und stolz präsentieren als OB einer Stadt, die gegen Rechts aufsteht. Geschickt nutzte er die Bühne, dabei wollte er noch Stunden zuvor gar nicht zur Demo gehen. Er suche nicht die Nähe von Bellevue, sagt der OB - gleichwohl imponiert ihm Hofmanns Netzwerk und seine Kraft. Wer kann schon binnen zwei Wochen mal eben solch ein Großkonzert auf die Beine stellen?

Wie die Politik davon profitieren kann

Aber auch wenn er die Nähe nicht bewusst suchen sollte, profitieren können Reiter und sein schwarz-rotes Rathausbündnis vielfach von eben jenen Aktivisten. Die mobilisieren Menschen, junge zumal, die Politiker und Parteien sonst kaum noch erreichen. Die widerlegen die These, dass Intellektuelle und Künstler an gesellschaftlichen Debatten nicht mehr teilnähmen. Und die repräsentieren die Popkultur, einen Bereich, der im Rathaus eher kümmerlich gepflegt wird, zugleich aber Auftritte in hellem Rampenlicht ermöglicht. Reiter trat ja geradezu kumpelhaft auf, als er mit den Sportfreunden Stiller das Programm für den Sonntag vorstellte.

Vor allem aber prägt dieses Netzwerk ein Bild dieser Stadt mit, wie Reiter es gerne sieht. Mit den Anti-Pegida-Demos und dem Konzert senden sie nicht nur ein Signal ins Land, sondern schaffen auch ein soziales Lagerfeuer, an dem sich das gute München die Hände wärmen und auf die Schulter klopfen kann - was gerne vergessen lässt, wie viel rechte Umtriebe und Alltagsrassismus es auch in München gibt.

Vielleicht gefällt Reiter ja auch einfach nur die freche, direkte Art Hofmanns, der auch den Oberbürgermeister hemmungslos "anduzt", wie ein Beobachter verblüfft festgestellt hat. Normaler Umgang eines Niederbayern, wie Hofmann einer ist, oder Anbiederung? Hofmann betont, er wolle sich von niemanden im Rathaus vereinnahmen lassen: Gemeinsam gegen Rechts demonstrieren, sei das eine. "Das heißt aber nicht, dass wir alles machen, was er will", sagt er mit Blick auf Reiter. Und lacht: Sonst müsse man halt mal wieder eine Goldgrund-Aktion starten.

Für den Spezltum-Vorwurf gibt es keine Belege

Andererseits: Nähe zur Stadtspitze kann Kulturschaffenden ja schon aus Eigeninteresse nie schaden - dieser unterschwellige Spezltum-Vorwurf ist manchmal zu hören, auch von Kollegen Hofmanns, denen sein Engagement zunehmend aufstößt. Doch dass er und seine Freunde zum eigenen Vorteil arbeiten, dafür gibt es keine Belege: Die Anti-Pegida-Demos, die Kosten für Bühne und Technik, haben sie anfangs selbst bezahlt, später durch Spenden.

Auch das Konzert am Sonntag ist für ihn ein Risiko, wie Hofmann sagt, der Stadtzuschuss reicht nicht. Und Josef Schmid (CSU), Zweiter Bürgermeister, erzählt dazu eine Anekdote: Als Hofmann vor ein paar Wochen Ärger mit seinen Vermietern der Lach & Schieß hatte, die mehr Geld wollten, da habe er den Kulturmanager angerufen und gefragt, ob er ihm helfen könne. Der aber habe auf sein Angebot "sehr zurückhaltend reagiert".

Nun ist also wieder einmal Hochbetrieb im Hofmann-Kosmos, zwei Tage noch. Erst das Konzert, am Montag dann eine Benefiz-Fernsehsendung, live aus dem Lustspielhaus - für Flüchtlinge, was sonst. Hofmann hat das schon einmal gemacht, vor zwei Jahren für die Flutopfer von Niederbayern. Beim Aufräumen in Passau habe er damals dasselbe gespürt, sagt er, wie jetzt am Münchner Hauptbahnhof, als Zigtausende Flüchtlinge gekommen sind: Solidarität. Ohne dass irgendjemand von oben etwas organisiert habe. "Gesunder Anarchismus", sagt er. "Das entsteht durchs Machen. Die Politik ist hinten nach."

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