Dachau:Lernort der Musik

Schlosskonzert

Erika Raum vom ARC Ensemble im Dachauer Schloss.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das kanadische Ensemble ARC und ihr Schlosskonzert mit Kompositionen jüdischer Musiker des vergangenen Jahrhunderts

Von Karl Adolf Gottwald, Dachau

Die Dachauer Schlosskonzerte sind eine Art Insel der Seligen für ein exklusives, also zurückhaltendes, wählerisches Publikum, das im Genuss höchster musikalischer Kunst in äußerst qualitätvoller Darbietung unter sich bleibt. Doch ganz und gar außerhalb und über den Niederungen der Zeitläufte steht diese Konzertreihe nicht mehr, seitdem sie vom Kulturamt veranstaltet wird. Denn die Behörde hat auch die Aufgabe zu erfüllen, sich um die Geschichte Dachaus und um den Aufbau der Stadt zu einem viel besprochenen und beschworenen Lernort zu kümmern. Dieser Blick hat das Programm des Dachauer Schlosskonzerts am vergangenen Samstagabend bestimmt.

Das 70. Jahr nach der Befreiung des KZ Dachau war der Anlass, ein Konzert mit Musik von Komponisten zu veranstalten, die von der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten verfolgt waren, aber überlebten oder fliehen konnten. Das ist freilich kein Programm wie Musik von Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, bei der man auch mal entspannt zuhören und genießen kann. Der Herausforderung eines solchen emotional belasteten Programms stellten sich nicht alle Abonnenten der Dachauer Schlosskonzerte. Doch viele offenbar mit dem jüdischen Kulturzentrum München verbundene Gäste füllten die Reihen weitgehend. Dazu noch ein für die Klassikreihe der Stadt unüblich hoher Anteil an jungen Zuhörern.

Die Musik, die dann zu hören war, wurde trotz ihrer zeitgeschichtlichen Bedingtheit zum Erlebnis, und darauf kam es auch an diesem Abend an, der ja doch vor allem ein Konzert und keine historisch-politisch ausgerichtete Veranstaltung war. Das war vor allem der ausgezeichneten Wiedergabe fast aller Werke dieses Abends durch das ARC Ensemble aus Toronto zu danken. Lediglich bei der Aufführung der Violinsonate Nr. 1 von Miecyslaw Weinberg donnerte das Klavier so sehr, dass eine Ausgewogenheit von anmutigen und stürmischen Passagen nicht gegeben war und das Werk einen eher zwiespältigen Eindruck hinterließ. Weinberg, 1919 geboren, ist der jüngste der Komponisten dieses Konzertabends, er hält sich aber wie alle anderen kurz vor oder nach 1900 geborenen in seiner 1943 komponierten Sonate vom "Mainstream" der damaligen modernen Musik der Generation Bartók, Hindemith, Strawinsky, Schönberg fern. Ein geradezu hinreißendes Beispiel für die nach 1945 "im alten Stil" geschriebene Musik ist das Klavierquintett "auf polnische Themen" von Szymon (Simon) Laks. Diese viersätzige Kammermusik wirkt beinahe wie ein außerordentlich gekonnt arrangiertes Volksliederpotpourri. Laks hat sein 1945 für Streichquartett geschriebenes Werk 1967 für Klavierquintett umgeschrieben. Das war sehr gut so; denn als Streichquartett hätte das melodienselige, fast folkloristische Werk nicht überleben können.

An die überaus anspruchsvolle Form des Streichquartetts wagte sich der deutsche Bratschist und Komponist Hanning Schröder. Er nannte sein 1957 geschriebenes Quartett "Musik für vier Instrumente in Memoriam: Lied der Moorsoldaten". Dieses zeitweise sogar populär gewordene, im KZ Börgermoor entstandene Lied leuchtet vor allem im lyrischen zweiten Satz auf, wobei die bevorzugte Verwendung der Bratsche auf den Hauptberuf des Komponisten hinweist. Schröders Quartett war am ehesten einer Tonsprache des 20. Jahrhunderts verpflichtet.

Schließlich als Höhepunkt das Klavierquartett op. 4, das der später israelische Komponist Paul Ben-Haim 1920 in München als Paul Frankenburger und Schüler der Münchner Akademie der Tonkunst geschrieben hat. Diese Musik reflektiert nicht auf die Gräueltaten in den Konzentrationslagern oder auf das NS-Terrorregime, sondern befasst sich mit der damaligen Münchner Musik um Richard Strauss und Hans Pfitzner. Dieses qualitätvolle Werk Münchner Musik gehörte schon längst auf das Podium der Dachauer Schlosskonzerte. Schön, dass es jetzt im Rahmen eines thematisch sehr anspruchsvollen, aber auch anstrengenden Konzert diesen Sprung geschafft hat. Es ist ja das Anliegen des ARC Ensembles, dass solche über das Zeitbedingte erhabenen Werke wieder in den Konzertsaal finden und "in den Kanon der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts aufgenommen" werden. Dieses Ziel haben sie an diesem Samstagabend erreicht. Und Dachau wurde dadurch zu einem Lernort der Musik.

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