Nobelpreis für Ökonomie:Deshalb ist der Wirtschaftsnobelpreis so umstritten

Der Nobelpreis für Wirtschaft

Wirtschaftsnobelpreis in Stockholm: Aufnahme von 2010

(Foto: dpa)
  • Angus Deaton bekommt den Wirtschaftsnobelpreis 2015.
  • Alfred Nobel wollte einst nicht, dass für Wirtschaftswissenschaftler in seinem Namen ein Preis vergeben wird.
  • Die Preisträger haben oft großen Einfluss auf Politik und Wirtschaft.

Analyse von Claus Hulverscheidt, New York

Wer den felsigen Untergrund der Naturwissenschaften verlässt und sich ins Moorgebiet der Ökonomie vorwagt, erlebt bisweilen eine böse Überraschung. So erging es der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften im Frühherbst 1998, als in den USA der Investmentfonds LTCM in Schieflage geriet: Er hatte sich mit hoch riskanten Finanzderivaten vollkommen verspekuliert und musste mit einer Milliardensumme vor der Pleite gerettet werden. Nur neun Monate zuvor hatte die Akademie die LTCM-Miteigner Robert Merton und Myron Scholes mit dem Nobel-Preis für Wirtschaftslehre ausgezeichnet - für die Entwicklung einer neuen Methode zur Bewertung von Finanzderivaten.

Alfred Nobel, der große Erfinder und Stifter der nach ihm benannten Preise, hätte sich wohl bestätigt gesehen, hätte er die Posse noch miterlebt. Als er nämlich Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte, dass aus seinem Nachlass ein jährlich zu vergebener Preis in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Frieden finanziert werden soll, da war es weder Zufall noch Panne, dass er die Ökonomie übersah. Im Gegenteil, er hielt die Wirtschaftswissenschaften für zu weich und unpräzise, als dass sie zu denjenigen Disziplinen gezählt werden könnten, die "der Menschheit den größten Nutzen" bringen. Ja, mehr noch: "Ich hasse sie von Herzen", schrieb er in einem Brief, den sein Urgroßneffe Peter Nobel 2001 veröffentlichte.

Alfred Nobel hielt die Ökonomie nicht für preiswürdig

Dass heute dennoch auch Ökonomen geehrt werden, ist der Schwedischen Reichsbank zu verdanken. Sie rief 1968 "im Gedenken an Alfred Nobel" eine Auszeichnung für "Arbeiten von herausragender Bedeutung" auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften ins Leben. Die Trophäe ist also eigentlich kein Nobel-, sondern ein Nobel-Gedächtnispreis. Zwar sucht auch hier die Königliche Akademie die Laureaten aus, das Preisgeld finanziert sich jedoch statt aus dem Nachlass des Dynamit-Erfinders aus den Gewinnen der Notenbank.

Bis heute ist der Preis umstritten - sogar unter denen, die ihn zuerkannt bekamen. Da ist auf der einen Seite etwa der frühere Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz, demzufolge die Auszeichnung der gestiegenen Bedeutung der Wirtschaftswissenschaften für die Geschicke der Menschheit Rechnung trägt und die Disziplin ins Rampenlicht rückt. Auf der anderen Seite stellte schon 1974 der österreichische Preisträger Friedrich August von Hayek seine Laudatio unter die Überschrift "Die Vortäuschung von Wissen", um zu unterstreichen, dass die Ökonomie eben keine Naturwissenschaft sei, in der sich Dinge zweifelsfrei beweisen ließen. Er warnte zudem, dass die Vergabe der Trophäe die ohnehin grassierenden "Moden" innerhalb der Disziplin noch verstärken könnten.

Betrachtet man Liste der Geehrten, dann kann man sagen, dass sich Hayeks Befürchtung durchaus bestätigt hat. Mal wurden auffällig viele Vertreter der eher keynesianischen Glaubensrichtung ausgezeichnet, dann eher die Anhänger der sogenannten neoliberalen Theorie. Auffallend auch, dass unter den Preisträgern sehr viele Amerikaner sind. Insider begründen das unter anderem damit, dass sich die US-Eliteuniversitäten im Voraus auf einen oder mehrere Kandidaten verständigen und dessen oder deren Namen dann gemeinsam gegenüber dem Preiskomitee bewerben.

Strittig ist schließlich auch, ob die Auslobung eines Wirtschaftsnobelpreises nicht dazu geführt hat, dass sich scheinwerfersüchtige Ökonomen heute immer häufiger als Politikberater oder gar Ersatzpolitiker in den Vordergrund spielen. So sei etwa daran erinnert, mit welch schrillen Tönen die Volkswirte Paul Krugman und Hans-Werner Sinn die Debatte um die Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott begleiteten: auf der einen Seite Nobelpreisträger Krugman, der die Sparforderungen insbesondere der deutschen Bundeskanzlerin an die Griechen als "Wahnsinn" und gar als "Putsch" bezeichnete, auf der anderen Seite Sinn, der dieselbe Politik Angela Merkels als Ausverkauf deutscher Interessen geißelte.

Immer wieder musste sich das Preiskomitee auch den Vorwurf gefallen lassen, es sei frauenfeindlich. Tatsächlich wurde mit der Amerikanerin Elinor Ostrom erst 2009 erstmals eine Frau ausgezeichnet, obwohl nach Meinung vieler Experten schon Jahrzehnte zuvor auch die britische Ökonomin Joan Robinson die Ehrung verdient gehabt hätte. Sie passte den Juroren mit ihren dediziert keynesianischen Theorien und der unkritischen Haltung gegenüber dem chinesischen Machthaber Mao Zedong aber seinerzeit womöglich nicht ins Kalkül.

Umgekehrt muss sich das Komitee auch mit Vorschlägen und Forderungen auseinandersetzen, die man zumindest als exzentrisch bezeichnen könnte. So hat etwa der russische Präsident Wladimir Putin jüngst angeregt, Sepp Blatter, den Chef des Fußballweltverbands Fifa, mit dem Nobelpreis auszuzeichnen. Die Kategorie hat Putin offen gelassen, aber da Physik, Chemie, Medizin und Literatur ausscheiden, bleibt nur der Friedensnobelpreis. Oder eben der für Wirtschaft.

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