Weißrussischer Staatschef Lukaschenko:Plötzlich braucht die EU den Diktator

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Einst als "letzter Dikator Europas" bezeichnet: Alexander Lukaschenko. (Foto: Sergei Grits/dpa)

Einst bestrafte die EU Weißrussland mit Sanktionen. Seit Russland Krieg führt, haben sich die Perspektiven verschoben.

Kommentar von Julian Hans, Moskau

Wenn es stimmt, dass man die Zustimmung zur Demokratie an der Wahlbeteiligung messen kann, dann sind die Weißrussen begeisterte Demokraten. 87 Prozent der Stimmberechtigten sollen laut Wahlkommission zu den Urnen gegangen sein, als sich Präsident Alexander Lukaschenko am Wochenende für eine fünfte Amtszeit "wählen" ließ. 21 Jahre ist er jetzt schon an der Macht. Glaubt man den offiziellen Angaben, so wünschen sich 83,5 Prozent der Wähler, dass er dem Land fünf weitere Jahre dient.

Aber man kann diesen Angaben natürlich nicht glauben. Im Bericht der OSZE zur Wahl ist von "substanziellen Mängeln" die Rede. Zwar konnten die Weißrussen am Sonntag Stimmzettel ausfüllen und in Urnen werfen. Damit endete aber die Ähnlichkeit zu einer freien, fairen, demokratischen Wahl. Wie wurden die Stimmen gezählt und ausgewertet? Das weiß nur der Staat. Aussichtsreiche Gegenkandidaten wurden in Haft gehalten, bis die Frist zur Anmeldung bei der Wahl verstrichen war.

Diplomaten deuten eine Aufhebung der Sanktionen an

Die Menschenrechtslage ist in Weißrussland nicht besser. Der UN-Sonderberichterstatter Miklós Naraszti meldete im Juni, sie habe sich "seit letztem Jahr weiter verschlechtert". Nicht nur Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit seien weiter eingeschränkt worden, auch die freie Wahl die Arbeitsplatzes wurde beschnitten. Weißrussland ist der einzige Staat in Europa, der weiterhin die Todesstrafe vollstreckt. 2014 wurden drei Personen hingerichtet.

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Trotz dieser Mängel kündigte die EU nun an, dass sie ihre Sanktionen gegen die Führung in Minsk aussetzen wird. Zumindest teilweise und zunächst für vier Monate, auf Probe sozusagen.

Verhängt wurden die Einreiseverbote und Kontensperrungen erstmals 2004, nachdem vier politische Aktivisten verschwunden waren. Seitdem lockerte Brüssel die Strafmaßnahmen mal, mal wurden sie wieder angezogen. Derzeit ist es etwa 140 Weißrussen verboten, in die EU einzureisen, ihre Vermögen dort wurden eingefroren. In der Mehrzahl handelt es sich um Mitarbeiter aus Justiz und Geheimdienst, die an der Verfolgung Andersdenkender beteiligt waren.

Dass das autokratische Regime nun neu bewertet wird, hat wenig mit einer Besserung der Lage im Land zu tun und viel mit den Entwicklungen in den Nachbarländern Ukraine und Russland. Die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin lässt zumindest daran zweifeln, ob Lukaschenko seinen Ruf als "letzter Diktator Europas" noch zu Recht trägt.

Ein autoritärer Präsident, der nur das eigene Volk unterdrückt, ist der EU am Ende vielleicht lieber als einer, der auch noch seine Nachbarn angreift. Lukaschenkos konstruktive Rolle im Konflikt um die Ukraine wollen die Europäer daher belohnen.

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Minsk besteht den letzten Test

Dass Lukaschenko trotz seiner Abhängigkeit von Moskau die Annexion der Krim nicht anerkannt und den verdeckten Krieg gegen die Ukraine kritisiert hat, mag vor allem damit zu tun haben, dass er ähnliche Aktionen gegen sein Land fürchtet. Aber indem Lukaschenko Minsk als Ort für Friedensverhandlungen anbot, hat er zu einer Eindämmung des Konflikts beigetragen.

Mit der Begnadigung von sechs politischen Gefangenen im August hat Lukaschenko zudem eine zentrale Forderung der EU erfüllt. Indem die Wahlen nun immerhin ohne Massenverhaftungen abliefen, bestand Minsk den letzten Test.

Mit der Aussetzung der Sanktionen vollziehen die Europäer eine Wende in der Politik gegenüber Weißrussland: Die Sanktionen wurden verhängt, weil Lukaschenko Regime-Gegner verfolgt. Das tut er nach wie vor. Aufgehoben werden sie jetzt aus geopolitischer Erwägung. Man braucht ihn als Puffer gegenüber Russland und als Partner für die Ukraine.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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