Verkehrsplanung live:Navigation per Daten-Wolke

Illustration Datenwolke Straßenverkehr

Vernetzung per Datenwolke: Doch fließt der Verkehr wirklich besser, sobald Autos per Cloud kommunizieren?

  • Um die Fortbewegung des Menschen effizienter zu gestalten, braucht es künftig viele Daten, die zentral - in der Cloud - gespeichert, analysiert und schnell an andere Autofahrer übermittelt werden.
  • Doch das System funktioniert nur, wenn möglichst viele Autofahrer über das Internet ihre Daten übermitteln.
  • Autokonzerne, die nicht als Dinosaurier dastehen wollen, müssen deshalb eine Symbiose mit der Technologiebranche eingehen.

Von Jürgen Schmieder

Plötzlich geht gar nichts mehr. Die Rolltreppen sind verstopft, in den Aufzügen die Menschen dicht aneinander gedrängt. Andere stehen im Gang herum und machen ein Durchkommen so gut wie unmöglich. Es ist zehn Uhr morgens auf der Hausmesse des Internetkonzerns Amazon, Re:Invent, in Las Vegas; natürlich ist dieses Hotel-Casino so verschachtelt, damit die Gäste möglichst viele Dollars in die einarmigen Banditen werfen. Auch wer sich auskennt, verzweifelt in diesem Moment, weil 19 000 Besucher zu einem neuen Vortrag oder Workshop wollen. Die Ironie an dieser Situation: Es wird bei dieser Veranstaltung vor allem die Frage debattiert, wie sich Menschen künftig fortbewegen sollen - und nun herrscht erst einmal Stau. "Das ist doch total ineffizient", schimpft einer: "Es bräuchte so etwas wie Waze für Fußgänger."

Waze, das ist die digitale Bibel für Autofahrer in Großstädten, sie wurde auf der Fachmesse Mobile World Congress im Februar 2013 als beste Applikation ausgezeichnet und kurz darauf von Google für 1,15 Milliarden Dollar übernommen. Weil Millionen von Nutzern ihre Daten - wie schnell sie gerade wohin fahren, an welcher Kreuzung sich ein Polizeiauto befindet, wo Radarfallen lauern, wie sie die aktuelle Verkehrslage empfinden - freiwillig veröffentlichen, kann der Algorithmus den schnellsten Weg zum Zielort berechnen und während der Fahrt stets aktualisieren: vorbei an Staus und roten Ampeln, gerne auch auf Schleichwegen durch Wohngebiete.

Alles hängt von Daten ab

Je mehr Daten dem Echtzeit-Routenplaner zur Verfügung stehen, desto besser funktioniert er - derzeit machen laut Angaben des Unternehmens 50 Millionen Menschen in 32 Ländern regelmäßig mit. Genau darum geht es bei zahlreichen Vorträgen und Debatten in Las Vegas: Um die Fortbewegung des Menschen effizienter zu gestalten, braucht es zunächst einmal keine futuristischen Fahrzeuge, sondern ganz viele Daten, die zentral - in der Cloud - gespeichert, analysiert und schnell an andere Autofahrer übermittelt werden.

"Das ist keine Zukunftsvision, wir können das morgen schon realisieren", sagt etwa Ricardo DeMatos. Er arbeitet für das Projekt SmartDeviceLink, bei dem ein Handy mit der Benutzerschnittstelle des Auto verbunden wird und permanent Daten überträgt: "Die Applikation läuft im Hintergrund ab, so dass der Fahrer nicht abgelenkt wird." Oder auch: Dass der Fahrer es gar nicht bemerkt.

Viele Autofahrer müssen mitmachen

DeMatos simuliert eine Situation auf auf der Autobahn, bei der ein Fahrzeug zunächst mit einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde fährt und plötzlich zum Stillstand gebracht wird - warum, ist egal, ein stehendes Fahrzeug auf der Autobahn sei in jedem Fall ein Problem für die nachkommenden Fahrer. "Die werden innerhalb weniger Sekunden auf dem Display des Fahrzeugs darüber informiert oder sobald sie die definierte Gefahrenzone erreichen", sagt DeMatos: "Sie können reagieren. Und aufgrund ihrer Reaktion kann das System lernen, wie es künftig mit solchen Situationen umgehen soll." Das klingt gut, doch wie bei Waze funktioniert das System nur, wenn viele Autofahrer über das Internet ihre Daten übermitteln.

Der effiziente Transport des Menschen ist das noch immer nicht eingelöste Versprechen der Technologiebranche. Auf den Straßen ärgern sich die Menschen nach wie vor über Staus. In China etwa ging am vergangenen Donnerstag trotz 50 Spuren vor der Mautstation auf der Autobahn zwischen Peking und Hong Kong gar nichts mehr, knapp eine Million Menschen steckten fest. Die Infrastruktur ist in zahlreichen Metropolen wie Los Angeles, Moskau oder Manila hoffnungslos überlastet.

Erst Audi, dann Mercedes, nun BMW

Natürlich wurde in Las Vegas auch über den Abgas-Skandal von Volkswagen gesprochen, allerdings nicht mit Empörung, sondern eher mit hochgezogener Augenbraue und gerümpfter Nase. Verseuchte Diesel-Fahrzeuge, das klingt nach 20. Jahrhundert und damit nach Vergangenheit und einem Fortbewegungsmittel, das längst ausgestorben sein müsste. Der Elektroauto-Hersteller Tesla präsentierte kürzlich in Los Angeles wieder ein neues Modell, Google ließ im Süden des Silicon Valley ein selbstfahrendes Elektroauto auf dem Dach eines ehemaligen Einkaufszentrum herumkurven. Auch Apple soll, glaubt man den immer lauter werdenden Gerüchten, an einem eigenen Fahrzeug basteln - in vier Jahren soll das Projekt mit dem Namen Titan ein iCar hervorbringen.

Autokonzerne, die nicht als Dinosaurier dastehen wollen, müssen eine Symbiose mit der Technologiebranche eingehen und eine möglichst digitale Vision für die Zukunft präsentieren. Viele haben das freilich längst getan: Audi schickte bereits im Januar ein Auto auf eine pilotierte Fahrt von San Francisco zur Consumer Electronics Show (CES) nach Las Vegas, Mercedes-Chef Dieter Zetsche zeigte dort ein silbernes Gefährt ohne Seitenfenster, in dem die Menschen nur noch Passagiere und nicht mehr Fahrer sein werden. Wenige Monate später auf der Re:Invent ist nun BMW dran. Es geht dabei weniger um ein futuristisches Fahrzeug, sondern wie überall auf dieser Veranstaltung um das Verarbeiten von Daten.

Viele rechtliche Fragen sind längst nicht geklärt

"Es wird massive Veränderungen geben, derzeit sind drei bedeutende Trends zu beobachten: autonomes Fahren, die Integration des Autos als leistungsfähiges Gerät im digitalen Leben - und das Verbreiten mobiler Dienstleistungen über die ganze Welt", sagt Dieter May, der bei BMW verantwortlich für digitale Geschäftsmodelle ist: "Das ständige Aktualisieren von Daten ist der Schlüssel für die Zukunft, um selbstfahrende Autos und hoch entwickelte Assistenzsysteme zu ermöglichen." Bis zum Jahr 2018 will er Daten von mehr als acht Milliarden gefahrenen Kilometern aus mehreren Hunderttausend Autos gesammelt haben: "Bei all den Sensoren in einem Auto wird das eine ziemlich große Datenmenge sein."

Autos, die über die Cloud mit Datenbanken und damit mit anderen Fahrzeugen kommunizieren, können Unfälle und Staus vermeiden und über die effizientere Fahrweise Energie sparen - das ist die Botschaft auf dieser Messe in Las Vegas. Nur muss, damit das Kollektiv funktioniert, der Einzelne zahlreiche Daten übermitteln, von denen er so manche womöglich gar nicht übermitteln möchte. Viele rechtliche Fragen, auch jene des Datenschutzes, sind längst nicht geklärt - Autobauer beschäftigen derzeit in der Technologiesparte neben den Ingenieuren auch viele Juristen. Und natürlich muss der Kunde darauf vertrauen, dass die Auswertungen der Datenverarbeiter richtig sind.

Was die Idylle der Datensammler in Las Vegas stört, das sind Nachrichten wie die aus Brasilien. Francisco Murmura wollte sich vor kurzem von Waze zu einer bei Touristen beliebten Straße in Rio de Janeiro führen lassen. Das System jedoch lotste ihn zu einer gleichnamigen Straße in einer der berüchtigtsten Gegenden - es wurden 20 Schüsse auf sein Auto abgegeben, seine Frau starb. "Die App ist schuld an alledem", sagte Murmura danach: "Ist Technik perfekt und sollte man ihr blind vertrauen? Nein, das sollte man nicht!"

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