Ausstellung über Prostitution:Im Zwielicht der käuflichen Liebe

Zwischen Glückserwartung und Jammer: Eine Ausstellung erzählt über Prostitution in Paris. Trostlose Exponate dokumentieren das Elend der ausgemusterten Frauen.

Von Joseph Hanimann

Als die käufliche Liebe zwischen bürgerlicher Ordnung, Moral, Hygiene und Bürokratie eine fast normale Geschäftsbranche wurde, hatte die Malerei ihren Traum von der Wahrheit des Schönen längst abgelegt. Mit Schminktöpfchen, Waschkrügen und zerknittertem Bettzeug war sie seit den aristokratischen Boudoirs bei François Boucher und Jean-Honoré Fragonard im 18. Jahrhundert vertraut. Davon erzählt die große Pariser Ausstellung über "Glanz und Elend" der Prostitution in der Belle Époque aber nichts.

Sie beginnt mit den Jahren, wo sich die Sitten zumindest in der Großstadt auch fürs Volk lockerten, wo die Faszination fürs Abgründige aufblühte und das Sozialelend wie ein Nachtfalter durch die Lichterstadt Paris flatterte. Prostitution und Diebstahl seien die weibliche und die männliche Auflehnung der Natur gegen die Gesellschaftsordnung, schrieb Honoré de Balzac in seinem Roman "Glanz und Elend der Kurtisanen". Im Musée d'Orsay nähert die Kunst sich dem Thema dennoch zögernd wie ein scheuer Primaner. Zunächst traten die öffentlichen Mädchen im öffentlichen Raum noch sehr verstohlen und diskret auf. Durch das leichte Anheben des Rocks über den sichtbar werdenden Stiefeln und ein entsprechendes Lächeln dazu zeigte eine Frau auf der Straße ihre Bereitschaft an. Die Maler des Fin des Siècle spielten gern mit diesem Motiv.

Als Freudenmädchen abgestempelt

Interessanter ist aber, wenn Pascal Dagnan-Bouveret in "La Blanchisseuse" eine mit dem Korb auf einer Bank verschnaufende Wäscherin darstellt, die erst durch zwei lüstern nach ihr sich umdrehende Herren als Freudenmädchen abgestempelt wird. Prostitution ist zunächst eine Frage des Blicks, mag dieser auch die große Distanz einer völlig leeren Straße überbrücken wie in Jean Bérauds Bild "L'Attente". "Wollt ihr sie, diese schöne Brosche?" - heißt eine Lithografie von Félix Vallotton, auf der vor einer Geschäftsvitrine ein Mann sich aus dem Schwarz der Nacht herauslöst und zwei erschrockene Mädchen verführerisch anspricht. Dem Blick der Begierde folgt das Unheimliche oft dicht auf den Fersen.

Könnte es sein, dass der Beginn der modernen Malerei mit dem Aufkommen der modernen Prostitution einherging? Das fragt die Ausstellung implizit. Ihr Verdienst ist es, die Frage unvoreingenommen anzugehen. Manches bestätigt den Verdacht. Gute Malerei sucht nicht primär zu denunzieren oder zu bemitleiden, sondern die Realität in ihrer ganzen Dichte einzufangen. Deshalb ist der Hauptstar dieser Schau Henri de Toulouse-Lautrec, der die Nächte von Moulin Rouge und anderen Freudentempeln verewigte und der in diversen "Maisons closes", jener französischen Spezialvariante des Bordells, zeitweise auch den Alltag mit den Mädchen teilte.

Das bunte Treiben, das dieser Maler mit seinen Tempera- und Pastellfarben gern ins Fahle abdämpfte und durch verlorene Blicke oder müde Gesichtszüge charakterisierte, erhält seine Gegenwahrheit in Bildern wie "Au réfectoire", "La partie de cartes", "La toilette", "Dans le lit". Die Damen sind da nach der Arbeit in ihrem glanzlosen Alltag bei Tisch, beim Kartenspiel oder erschöpft im Bett zu sehen.

Der Sponsor der Ballerina wartet hinter der Bühne

Das Flimmern zwischen Glückserwartung und Jammer hat die Kunst tatsächlich nicht zuletzt im Zwielicht der käuflichen Liebe kennengelernt, das bis hinauf auf die Opernbühne reichte. Edgar Degas' Pastellzeichnung "Ballet" von 1876 zeigt eine Tänzerin im Rampenlicht auf dem Höhepunkt ihrer Kunst, während hinter der Kulisse der befrackte Liebhaber und wahrscheinlich Sponsor der Ballerina schon auf den privaten Gegendienst wartet.

Solche Situationen verleiteten auch zur Überzeichnung ins Schrille und Spitze. Bedient wird diese Seite in der Ausstellung von Künstlern wie Félicien Rops oder Jean-Louis Forain. Für die Karikatur bot die Doppelmoral um die Prostitution reichlich Motive. Auf offener Straße war diese in Frankreich tagsüber verboten, beim Anzünden der Gasleuchter aber als "notwendiges Übel" zur Stillung der männlichen Begierde erlaubt.

Die Szenen spielten sich hauptsächlich vor den Cafés und Brasserien ab. Degas zeigt in einer Pastellzeichnung eine Runde wartender Frauen am Tisch, die - wie die verächtliche Geste der einen mit dem Daumen im Mund verrät - offenbar über die Knausrigkeit der Kunden spotten. Die "Stunde der Gasleuchter" war aber auch der Zeitpunkt, wo die Arbeiterinnen aus den Fabriken kamen und mitunter versuchten, ihre ärmlichen Löhne etwas aufzubessern. Und wer es als Mann exklusiver haben wollte, ging in eines der "Maisons closes", diese seit 1804 zugelassenen öffentlichen Harems, die der Kundschaft nach außen Diskretion über das nächtlich Geschehene garantierten.

Der Prinz von Wales und die "Chaise de volupté"

Zwischen Sozial- und Kunstgeschichte ist den Ausstellungskuratoren insgesamt eine Balance gelungen. Neben den Bildern und Zeichnungen sind am Rand auch Bordellführer mit suggestiven Namen wie "Das Laster von Paris", Pornofotos und -filme aus dem 19. Jahrhundert oder Kuriositäten wie die "Chaise de volupté" zu sehen: ein unförmiges Polstermöbel, das der Prinz von Wales, der künftige König Eduard VII., sich 1890 bauen ließ, um es auf zwei übereinander gelagerten Liegeflächen mit zwei Damen zugleich zu treiben.

Von dokumentarischer Trostlosigkeit sind die Exponate, die das Elend der aus Gründen der Hygiene oder des Alters ausgemusterten Frauen zeigen. Zu den durch Syphilis entstellten Leibern in Asylen und Gefängnissen fiel der Kunst nicht mehr viel ein. Auch der neue Modernisierungsschub hin zum Wilden, Grellen und Schroffen wird im letzten Ausstellungsteil unter dem Titel "Prostitution und Moderne" mit Werken von Edward Munch, Georges Rouault, František Kupka, Maurice de Vlaminck, Pablo Picasso eher behauptet als glaubwürdig vorgeführt.

Die in ihrem Umfang ausufernde und vom Opernregisseur Robert Carsen überinszenierte Ausstellung ist dennoch anregend, bringt manche Entdeckungen, hält aber die Disziplin nicht ganz durch, die für ein sozialhistorisches Thema wie dieses nötig wäre.

Splendeurs et misères. Images de la prostitution, 1850-1910. Musée d'Orsay, Paris, bis zum 17. Januar, danach im Van-Gogh-Museum Amsterdam. Info: www.musee-orsay.fr, Katalog: 45 Euro.

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