Live-Übertragung von "Hamlet":Cumberbatch ganz nah

Benedict Cumberbatch als Shakespeare-Held - und das live übertragen in die ganze Welt. Wie das in einem Münchner Kinosaal ankommt und warum der Hype um den Hauptdarsteller fast peinlich wirkt.

Von Carolin Gasteiger

Als Hamlet gerade "To be or not to be" rezitiert, raschelt Popcorn. Irgendwann im ersten Akt fällt eine Flasche um, und als der dänische Prinz vom Tod seiner geliebten Ophelia erfährt, läuft eine Dame vor der Leinwand vorbei.

Abgesehen davon fühlt es sich im Münchner Kinosaal an, als wäre man im Barbican Theatre in London, wo Benedict Cumberbatch als Hamlet auf der Bühne steht. An diesem Donnerstagabend wird die Aufführung auch im Kino gezeigt. Und das weltweit. Allein in Großbritannien sind es 650 Kinosäle, auch in Japan und Australien wird das Spektakel gezeigt, sagt eingangs ein Moderator. Also Shakespeare auf der Bühne und auf der Leinwand.

Lyndsey Turners "Hamlet"-Inszenierung mit Cumberbatch war angeblich die am schnellsten ausverkaufte Produktion in Londons Theatergeschichte (hier lesen Sie die ausführliche SZ-Rezension aus London). Das mag vor allem am Hauptdarsteller liegen: Benedict Cumberbatch ist einer der erfolgreichsten britischen Schauspieler momentan, als nerdiger BBC-"Sherlock" begeistert er Millionen. Zuletzt war er als Alan Turing in "The Imitation Game" für einen Oscar nominiert. Und besonders beim weiblichen Publikum erfreut sich Cumberbatch steter Beliebtheit. Aus diesem Grund dauerte es nicht lange, bis das National Theatre entschied, die "Hamlet"-Inszenierung live zu übertragen.

Die Kinovorführung in München ist ausverkauft. Vor Beginn herrscht dichtes Gedränge im Foyer, was vor allem an der langen Schlange zur Damentoilette liegt. Immer wieder hört man Gesprächsfetzen im vornehmen, spitzen british english. Aber statt hysterischer Teenies stehen hier Frauen aller Altersklassen, manche im feinen Kaschmirzwirn, andere im Gruftielook. Und die anwesenden Männer sind nicht nur solche, die von ihren Frauen mitgeschleppt wurden. Auf der Leinwand zeigt die Kamera ins Auditorium im Barbican. Publikum sieht Publikum, quasi. Und schon bevor in London das Licht ausgeht und Cumberbatch das Stück eröffnet, ist es im Kino mucksmäuschenstill - bis auf das Popcornrascheln.

Cumberbatch hatte das Publikum zu Beginn der Spielzeit aufgefordert, die Smartphones während der Vorstellung auszuschalten, das Handyblitzen hätte ihn gerade beim Hamlet-Monolog gestört. "Für einen Schauspieler auf der Bühne kann ich mir nichts vorstellen, was mir weniger Freude bereiten würde", sagte er damals. Insofern ist die Kino-Übertragung ein Kompromiss zwischen Cumberbatch und seinen Fans. Er kann ungestört spielen - und seine Anhänger sehen ihn nicht nur auf dem Handyfoto, sondern können ihn im Bewegtbild erleben. Und das ganz nah.

Denn die Liveübertragung hat den Vorteil, dass die Kamera die Bühne nicht starr aus der üblichen Theatersaal-Perspektive einfängt, sondern diese selbst betritt. Im Barbican dürften viele Zuschauer Cumberbatchs Mimik nur aus der Ferne erahnen können. In München sieht man von Nahem, wie ihm Schweißperlen auf der Stirn stehen.

Die fantastische und fantasievolle Kulisse wird aus der Vogelperspektive eingefangen. Als Hamlet den wohl berühmtesten Monolog der Theatergeschichte rezitiert, zoomt die Kamera ganz nah an ihn heran. Der 39-Jährige zeigt Betroffenheit, Trauer, Wut und sogar Witz eines innerlich zerrissenen dänischen Prinzen so überzeugend, dass man sich dem Urteil einer jungen Frau nach der Vorführung nur anschließen kann: "Exzellent." Aber der Eindruck täuscht, dass die meisten vorwiegend wegen des Hauptdarstellers gekommen seien. Cumberbitches anywhere? Die einen outen sich als Theaterwissenschaftler und finden das Stück "ziemlich platt", andere geben zu, vom ersten Moment an geweint zu haben. "Als er anfing zu heulen, musste ich mitheulen", sagt eine junge Frau. Aber nur wegen Cumberbatch gekommen zu sein, will keine zugeben. "Wenn Hamlet und Benedict Cumberbatch zusammenfallen, sollte man sich das nicht entgehen lassen", ist das Äußerste, wozu sich die weiblichen Fans in München durchringen. Auf Twitter sieht das ähnlich aus:

In einem Interview mit der Daily Mail hatte Cumberbatch zugegeben: "Es ist eine großartige Art, um das Stück zugänglich zu machen." Und umgekehrt, von der Bühne aus ein großes Publikum zu erreichen. Also ergriff Cumberbatch nach der Verbeugung die Gelegenheit: Angesichts des Syrienkrieges rezitierte er ein Gedicht und bat um Spenden für die Hilfsorganisation "Save the Children". Angesichts dessen gerät der Hype um Benedict Cumberbatch zur Nebensache. Man ist fast peinlich berührt, als ein begleitender Ehemann zugibt: "Also, aus männlicher Sicht verstehe ich wirklich nicht, was die alle an dem finden."

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