Zehn Jahre Hartz IV:Armut im Schatten

Schulden und Kinder, die nicht an Schulausflügen teilnehmen: Sozialverbände fordern höhere Hartz-IV-Sätze.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Zehn Jahre Hartz IV - das sind für die Nationale Armutskonferenz (NAK) "zehn verlorene Jahre". So lautet der Titel des zweiten "Schattenberichts", den die NAK, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen wie dem Deutschen Caritasverband, Rotem Kreuz, dem Bundesjugendring oder dem DGB, zu den Folgen der Hartz-Reformen vorgelegt hat. In dem Bericht wird vor allem die Kinderarmut in Deutschland kritisiert. Das Bildungs- und Teilhabepaket, durch das Kinder aus einkommensschwachen Familien Zuschüsse für Sportvereine, Musikunterricht oder Nachhilfe erhalten können, habe nichts gebracht, sagte NAK-Sprecher Frank Johannes Hensel.

Nach Angaben der NAK wächst jedes fünfte Kind in Deutschland in einer Familie auf, in der das Geld am Ende des Monats nicht mehr reicht. Diese Kinder und Jugendlichen könnten zum Beispiel nicht an Ausflügen teilnehmen, ins Kino gehen oder einfach in einen anderen Stadtteil fahren. Hensel forderte deshalb einen Hartz-IV-Satz für Kinder und Jugendliche, der sich an den Bildungsausgaben einer Familie "nah am Mittelstand" orientiere. Würde man die Ausgaben für das Bildungspaket dafür verwenden, wären das schon einmal 30 Euro mehr im Monat. Das von der früheren Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingeführte Paket "gehört mindestens entbürokratisiert, besser ganz abgeschafft", sagte Hensel, der Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln ist.

365 Euro

So hoch sind die durchschnittlichen Schulden von 225 000 Hartz-IV-Empfängern, die einen Kredit vom Jobcenter bekommen haben. Häufig ist das Geld für einmalige Anschaffungen wie einen Kühlschrank nötig. Die Schulden sind in kleinen Raten zurückzubezahlen.

Aus dem Bericht geht auch hervor, dass die Zahl der Wohnungslosen wächst. 2014 hatten demnach 335 000 Menschen kein festes Dach über dem Kopf - 18 Prozent mehr als 2012. Die NAK führt dies vor allem auf den Verkauf von Sozialwohnungen an private Investoren zurück.

Außerdem kritisieren die Sozialverbände, dass immer mehr Hartz-IV-Empfänger zu Schuldnern des Jobcenters werden. Der Regelsatz von derzeit 399 Euro für einen alleinstehenden Erwachsenen reiche nicht aus, um etwa einen Kühlschrank kaufen oder die Stromrechnung bezahlen zu können. Derzeit seien bereits 225 000 Hartz-IV-Bezieher mit im Durchschnitt 365 Euro bei den Jobcentern verschuldet. Zehn Prozent der Summe müssten sie im Monat zurückzahlen. "Dies bedeutet, dass sie zehn Monate lang unter dem sozialrechtlich festgesetzten Existenzminimum leben sollen. Diese Regelung verstößt gegen das Grundgesetz", kritisierte Hensel. Die Jobcenter müssten stattdessen einmalige Beihilfen für Haushaltsgegenstände gewähren und Mietkautionen übernehmen. Auch eine Erhöhung des Stromanteils im Regelsatz sei notwendig.

Zur Finanzierung schlägt die NAK vor, die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Hensel wies darauf hin, dass in Deutschland im vergangenen Jahr knapp 109 Milliarden Euro vererbt oder per Schenkung übertragen wurden.

Maastricht-Defizitquote

Kein Geld für den Schulausflug: Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in einer Familie auf, in der das Geld am Ende des Monats nicht mehr reicht.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
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