Katholische Kirche:Die Lehre und das Leben

So viele Länder, so viele Meinungen: Die Synode in Rom zeigt, wie schwierig es ist, sich auf neue weltweite Regeln zu einigen. Am Ende könnte ein Kompromiss stehen, den deutsche Bischöfe vorbereitet haben.

Von Matthias Drobinski

Wenn diese Zusammenkunft im Oktober 2015 in Rom einmal als bedeutend in die Kirchengeschichte eingehen sollte, dann wird das auch einem Kaffeeautomaten zu verdanken zu sein, dem in der Synodenaula über der großen Audienzhalle im Vatikan. Auch Kardinäle und Bischöfe treibt in Konferenzpausen der Kaffeedurst, so gibt es ein großes Gedränge vor diesem einzigen Automaten. Man steht, wartet, kommt ins Gespräch: Europäer, Afrikaner, Asiaten, Konservative, Reformer. Und dann steht Papst Franziskus in der Schlange und klimpert mit den Münzen. Die friedensstiftende Wirkung des Kaffeeautomaten wird unterschätzt.

Friedensstiftend? Nimmt man die offiziellen Statements aus dem Vatikan, dann muss auf der Weltbischofssynode über Ehe und Familie kein Friede gestiftet werden. Dann gibt es zwar verschiedene Meinungen unter den 270 Bischöfen, Erzbischöfen und Kardinälen, aber sie werden brüderlich beredet. Und Lager, gar Parteien, wie in der Politik, gebe es nicht. Aber natürlich ist die Spannung zu spüren, die über den drei Wochen der Beratungen liegen, gerade jetzt, wo die entscheidende Phase begonnen hat. Und selbstverständlich gibt es Interessen und Koalitionen.

XVI Ordinary Meeting of the Synod of Bishops

Papst Franziskus soll zwischen sehr unterschiedlichen Ansichten vermitteln. Mancher Reformvorschlag wird von Bischöfen als äußerst schädlich verdammt.

(Foto: Ettore Ferrari/dpa)

Wie sollte es anders sein? Es geht in diesen Tagen in Rom nicht nur um ein paar blumige Worte über die Schönheit der Ehe, den Wert der Familie oder die Frage, welcher Geschiedene nach einer neuen Heirat die Kommunion empfangen könnte. Es geht auch darum, wie die Kirche Sexualität außerhalb der katholische Ehe bewertet und die Menschen, die anders leben, als es der Katechismus vorschreibt. Es geht um das Verhältnis von Prinzipientreue und Realitätswahrnehmung, von Lehre und Seelsorge. Es geht um Macht, um die Frage, wohin der Aufbruch geht, den Papst Franziskus verordnet hat. Und dann lernt diese Kirche den Diskurs, nach langer Starre. Wie mit den Geschiedenen umgehen, die wieder heiraten? Am Donnerstag und Freitag ist dieses Thema in den nicht öffentlichen Beratungen dran. Es ist ein Detailproblem, gilt aber doch als Test dafür, was an Bewegung möglich ist. 93 Redner haben sich gemeldet, es geht hoch her. Sehr viele plädieren dafür, strikt an der Lehre festzuhalten, wonach Geschiedene, die wieder heiraten, in ständiger Sünde leben und von den Sakramenten ausgeschlossen sind. Andere wünschen da mehr Barmherzigkeit. Ganz offen erklärt Stanislaw Gadecki, der Erzbischof von Poznan: Wir Polen sind gegen jede Änderung. Es ist ein zäher Kampf in Rom. Eine uneinheitliche, aber doch beachtliche Gruppe versucht, alles zu verhindern, was nach Aufweichung der Lehre aussehen könnte. Angeblich 13 Kardinäle haben dem Papst einen Brief geschrieben: Das Ergebnis stehe doch von vornherein fest, lautet ihre Befürchtung. Initiiert haben diesen Brief der Finanzchef des Papstes, Kardinal Georg Pell, und Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation - ausgerechnet die Konservativen fordern nun mehr Demokratie. Es weht das Gerücht, das Abschlussdokument sei schon vorformuliert. Für Unmut sorgt auch die Entscheidung, nicht alle Debattenbeiträge zu veröffentlichen.

In den Debatten im Plenum und in den Sprachgruppen zeigt sich, welche Schwierigkeiten vor allem Bischöfe aus Osteuropa und Afrika, aber auch aus den USA mit den Reformwünschen haben. Diese kommen vor allem aus Europa. Durch die Synode wehe der Schwefelgeruch des Teufels, soll ein Bischof weit aus dem Osten geschimpft haben. Und ganz offen hat Kardinal Robert Sarah, der aus Guinea stammt, erklärt: "Was im 20. Jahrhundert Nazi-Faschismus und Kommunismus waren, das sind heute westliche Ideologien über Homosexualität und Abtreibung sowie der islamistische Fanatismus". Der Mann ist im Vatikan immerhin Präfekt der Gottesdienstkongregation.

1,22 Milliarden

So viele Katholiken gibt es derzeit - die katholische Kirche ist damit die größte Glaubensgemeinschaft der Welt. Die meisten leben in Lateinamerika (488 Millionen), gefolgt von Europa (278 Millionen), Afrika (183), Asien (140) und Nordamerika (87). Doch die Gewichte verschieben sich: In den vergangen 30 Jahren hat sich die Zahl der Katholiken in Afrika verdreifacht - in Europa ist sie dagegen nur um sechs Prozentgestiegen; in Deutschland ist sie seit 1990 sogar von 28 auf 24 Millionen zurückgegangen. Matthias Drobinski

Dennoch passiert einiges, was vor kurzem so noch nicht möglich gewesen wäre. Glaubt man den Berichten vieler Teilnehmer, dann entsteht Schritt für Schritt eine Gesprächskultur, nicht nur vor dem Kaffeeautomaten. "Jeder weiß, was Familie ist", hebt einer selbstbewusst an, doch bald ist diese Gewissheit weg. Die hohen Herren erzählen von ihren Familien, von Glück, Windungen, Brüchen. Die Mutter inzwischen Witwe, der Sohn Priester, dessen Schwester alleinerziehend - es gibt nicht "die" Familie. Abtpräses Jeremias Schröder aus St. Ottilien, der für die Benediktinergemeinschaft an der Synode teilnimmt, hat diese Geschichte aus der englischsprachigen Arbeitsgruppe erzählt. Das pralle Leben bricht ein in die klerikale Welt. Es bröselt auch manches Klischee über den jeweils anderen. So ist Kardinal Sarah mit seinem Nazi-Vergleich keineswegs oberster Sprecher der Afrikaner. Kardinal Phillippe Ouedraogo aus Burkina Faso erklärt am Mittwoch im Pressesaal des Vatikans: In Afrika sei die Vielehe ein drängenderes Problem als der Umgang mit Geschiedenen. Das müssten die Europäer akzeptieren. Aber auch die Afrikaner, dass den Europäern ihre Fragen wichtig sind, sagt er. Bis zum Samstag kommender Woche wird um jede Formulierung im Abschlussdokument gerungen werden. "Es dürfte eher der innerkirchlichen Selbstvergewisserung dienen, als dass es die Familien dieser Welt aufhorchen lässt", vermutet Vatikan-Experte Marco Politi. Aus seiner Sicht hat der Beratungsprozess dem Papst auch die Grenzen aufgezeigt. "Viele Kardinäle, die ihn 2013 gewählt haben, würden ihn heute nicht mehr wählen", sagt Politi. "Sie wollten einen Papst, der die Vatikanbank in Ordnung bringt, keinen, der die gesamte Kirche umkrempelt." Tatsächlich ist wenig von der Aufbruchstimmung geblieben, die vor einem Jahr herrschte, als die Synode erstmals zusammentrat. Um Kardinal Walter Kasper, damals Protagonist der Reformer, ist es still geworden. Vor einem Jahr sagte Kardinal Christoph Schönborn noch, dass auch auf Beziehungen außerhalb der Ehe der Segen Gottes liegen könne - davon ist nicht mehr die Rede. Am Freitag hat noch einmal der Münchner Kardinal Reinhard Marx vor der Synode für die fallweise Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion geworben, wie zuvor auch Heiner Koch, der Erzbischof von Berlin, und sein Osnabrücker Amtsbruder Franz-Josef Bode. Doch in vielem stehen die Deutschen recht alleine da. Dennoch könnte der Zwischenbericht aus der deutschen Sprachgruppe zeigen, wohin die Beratungen gehen. Denn in dieser Runde ist eins der kleinen Wunder dieser Synode geschehen: Ihr gehören Kardinal Müller wie Kardinal Kasper an, die inhaltlich als scharfe Gegner gelten. Und doch hat man sich einstimmig auf einen Text geeinigt, den viele als den besten der vorliegenden Beiträge halten. Sie plädieren für "eine personal ausgerichtete Seelsorge", die auch die "Gewissensfähigkeit" des Menschen "im Blick behält". Das dürfte wohl auch die Richtung des Abschlusstextes sein: Ein klares Ja zur bestehenden Lehre bei kleinen Änderungen, was die Seelsorge angeht. Dies liefe darauf hinaus, dass die einzelnen Bischofskonferenzen und Bischöfe mehr als bisher selber entscheiden können, wie sie in Fragen der Seelsorge verfahren. Die weltweite katholische Kirche ist zu groß und zu unterschiedlich, um alles einheitlich zu regeln - diese Erkenntnis setzt sich unter den Synodenteilnehmern mehr und mehr durch. Auf die lokalen Bischofskonferenzen dürften dann einige Debatten zukommen. Mancher Bischof, der froh war, dass bislang alles schön von Rom aus geregelt wurde, erschrickt schon bei dem Gedanken. Und vieles wird davon abhängen, wohin Papst Franziskus neigt: Wohin er geht, wird die Mehrheit der Zögernden gehen, werden irgendwann auch die Kritiker folgen.

Kardinal Müller hat schon betont, dass er nicht als Gegner des Papstes tituliert werden möchte - und dass er sich durchaus vorstellen könnte, dass in einzelnen Fällen Geschiedene wieder zur Kommunion zugelassen werden könnten. Auch für solche Prozesse dürften die Pausen in der Synodenaula wichtig werden, mit Franziskus vorm Kaffeeautomaten.

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