Flüchtlinge in München:Wohngemeinschaft statt Traglufthalle

Flüchtlinge in München: Ruth (links) und Max - so heißen die beiden Babys, die in der Schwangeren- und Mütter-WG in Garching leben.

Ruth (links) und Max - so heißen die beiden Babys, die in der Schwangeren- und Mütter-WG in Garching leben.

(Foto: Robert Haas)

In der Flüchtlingsunterkunft war es zu laut und zu kalt: In Garching wurde nun eine WG für schwangere Frauen aus Afrika eingerichtet. Zwei Babys sind schon da, das dritte kommt im November.

Von Gudrun Passarge

"Gesundheit", quittiert Ruth B. das leise Niesgeräusch des Säuglings. Liebevoll beugt sie sich über das Baby Ruth, das ihr seinen Namen verdankt. Baby Ruth, drei Wochen alt, wohnt mit seiner Mama Sonem in einer Schwangeren-WG. Momentan teilt sich die junge Mutter aus Uganda die drei Zimmer im Garchinger Ortsteil Hochbrück mit Ann aus Sierra Leone und Baby Max und mit Minouche aus Kongo, deren Baby im November zur Welt kommen wird. Ruth B. aus Garching ist eine der Helferinnen, die Mütter und Kinder betreuen. Sie ist fast so etwas wie Familie für die drei Frauen, die ihre Babys nach ihr und ihrem Sohn benannt haben.

Die Wohnung unter dem Dach eines Mietshauses stellt das Landratsamt. Die Mitarbeiter haben ein Quartier für die Hochschwangeren gesucht, das ihnen mehr Ruhe gewährt als das Leben in der Traglufthalle in Taufkirchen, wo sie untergebracht waren. Dort war es laut und die Temperaturen machten den Schwangeren zu schaffen. "Hier ist es besser, hier möchte ich gerne bleiben", sagt Sonem, "ich habe kein anderes Zuhause".

Die 22-Jährige aus Uganda trägt ein schlichtes graues Strickkleid, ihre farbigen Rastazöpfe hat sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie wirkt sehr gelassen, wie sie in ihrem Zimmer sitzt, während Töchterchen Ruth auf dem Bett liegt und zufrieden mit den Ärmchen wedelt. "Die Menschen in Deutschland helfen uns sehr viel", sagt Sonem, die sehr froh darüber ist. Ruth B. spielt mit der kleinen Ruth und erzählt, dass die Mütter vielleicht Anfang 2016 einen Sprachkurs machen können. Sonem strahlt. Ja, das würde sie gerne, "ich muss Deutsch lernen".

Es klingelt. Ruth B. übernimmt das Türöffnen. Die Hebamme Rieke Hackl vom Garchinger Team "Wunderkind" kommt vorbei. Sie bringt den Müttern Tragetücher für die Babys und untersucht Ann, die nach der Geburt noch Probleme hat. Das mit dem Stillen wollte anfangs nicht klappen, sie hatte große Schmerzen, so groß, dass sie in der Nacht noch Martina Hanuschik angerufen haben. Die Kinderkrankenschwester aus Garching kümmert sich ebenfalls um die Schwangeren-WG, sie ist da, wenn es brennt. Sie alle unterstützen Ruth B., die es am Anfang in die Hand genommen hat, aus der nur notdürftig eingerichteten Wohnung ein wohnliches Heim für die Frauen und ihre Kinder zu machen, "ein eigenes kleines Nest", wie sie sagt.

Ruth B. ist in Garching aufgewachsen. Ihre Eltern kamen nach dem Krieg als Flüchtlinge nach Hochbrück. "Ich mache das in ihrer Tradition", sagt sie und bittet darum, ihren Namen nicht zu nennen. "Ich möchte das nicht an die große Glocke hängen." Die 63-Jährige hat inzwischen ein richtiges Netzwerk aufgebaut. Sie hat Haushaltswaren, Möbel, Teppiche und Kinderkleider gesammelt, sie hat sich durchgefragt, welche Ärzte die Schwangeren betreuen.

Eine große Hilfe waren ihr dabei Rebecca Huber als Ansprechpartner im Landratsamt und Ingrid Stanglmeier von der Stadt Garching. Sie haben geholfen, wo es ging, der Rest war Eigeninitiative. Ihre Erfahrungen waren durchweg positiv. "Die Leute sind sehr bereit, Sachen zu geben und zu teilen." So hätten die Mütter im Kindergarten Hochbrück viel Kleidung und sonstiges für die Babys gebracht, bei Töpfen und Geschirr habe sie im Bekanntenkreis vieles bekommen. Und auch die Frauenärztin, die Hebamme und die Kinderkrankenschwester hätten nicht danach gefragt, wer das bezahlt, sondern einfach geholfen. "Sie haben das ganz selbstverständlich gemacht."

Jede der Frauen hat ihr Zimmer nach eigenem Geschmack eingerichtet, jede hat einen Fernseher und einen Kühlschrank, damit hat jede ihr eigenes kleines Reich. Minouche sitzt auf ihrem Bett und streicht mit der Hand immer wieder über die Wiege, die noch leer ist. Das Baby der 19-Jährigen aus Kongo soll am 11. November zur Welt kommen. Es ist das dritte Kind der jungen Frau, sie hat bereits einen vierjährigen Sohn und eine dreijährige Tochter, die im Kongo leben. Sie wünscht sich, hier eine Schule besuchen zu können, um dann zu arbeiten. Egal wo, sagt sie, im Haus, in der Küche, "überall". Minouche ist die einzige, die Französisch spricht.

Trotzdem, so sagen die Drei, klappe es mit der Kommunikation. "Doucement", sagt Minouche, was so viel bedeutet wie langsam, sachte, gelinge es, ins Gespräch zu kommen. Sie lacht, als sie das erzählt, so wie sie überhaupt eine natürliche Fröhlichkeit ausstrahlt. Als sie durch die halbgeöffnete Tür sieht, dass Rieke Hackl gerade Sonem den Rücken massiert, perlt das helle Lachen schon wieder durch den Raum. "Ah, massage", sagt sie und geht in Sonems Zimmer.

"Ich mache das ganz gern", erzählt die Hebamme, massieren funktioniere oft besser als das Reden. Hackl möchte unbedingt noch etwas loswerden. "Ich erfahre mehr Dankbarkeit von diesen Frauen als von deutschen Frauen", sagt sie und berichtet, dass andere Hebammen sie gewarnt hätten, sie dürfe nicht zu viel erwarten. "Aber das Gegenteil ist der Fall."

Die jungen Mütter aus Afrika wüssten die Hilfe der Garchingerinnen sehr zu schätzen, und das lassen sie sie auch spüren. Nicht nur bei der Namensgebung. Und die wird noch einmal spannend. Wie das dritte Baby der WG heißen wird, das weiß Minouche noch nicht. Aber Ruth B. hat noch eine Tochter namens Lesley. Wie passend, immerhin, Minouche erwartet ein Mädchen.

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