Europäische Zentralbank:Schluss mit dem Schutzwall aus Geld

EZB-PK in Frankfurt am Main

Mario Draghi setzt weiterhin auf den Kauf von Staatsanleihen.

(Foto: dpa)

Die Europäische Zentralbank will die Inflation antreiben, um jeden Preis. Jetzt will EZB-Chef Mario Draghi noch mehr Anleihen kaufen. Das ist falsch.

Kommentar von Markus Zydra, Frankfurt

Mario Draghi gilt vielen Menschen als der mächtigste Mann in Europa. Schließlich ist der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Herr über die Druckerpresse. Der Italiener sitzt an der Geldquelle, und allein sein Versprechen aus dem Jahr 2012, die Notenbank werde alles tun, um den Euro zu retten, brachte Ruhe in die Währungsunion. Auch in der sommerlichen Tragödie um Griechenland waren es Draghis Notkredite, die den Politikern Luft für die Verhandlungen gaben. Draghi kann gefährliche Brände löschen. Doch jetzt geht es für die Euro-Zone um Wachstum und Wohlstand. Die Politiker meinen, das billige Geld der EZB werde es schon richten. Eine trügerische Hoffnung.

Die 25 Mitglieder des EZB-Rats werden an diesem Donnerstag diskutieren müssen, warum ihre Maßnahmen weitgehend verpuffen. Zwar steigt das Wachstum in der Euro-Zone leicht an, und auch die Banken vergeben etwas mehr Kredit. Doch bei einem Leitzins von 0,05 Prozent und einem Kaufprogramm in Billionenhöhe, hätte Europas Wirtschaft eigentlich einen fulminanten Kickstart hinlegen müssen. Das Wachstum stockt, und die EZB kann dagegen wenig ausrichten. Die Frustration der Notenbanker wird durch den Umstand gesteigert, dass die Inflation in der Euro-Zone sinkt, obwohl die Geldmenge steigt. Die EZB möchte eine Inflation von nahe zwei Prozent erreichen. Dieses Ziel verfehlt sie seit Jahren. Draghis Glaubwürdigkeit ist angekratzt.

Von der Schattenexistenz zur Machtzentrale

Die EZB hat sich seit Beginn der Finanzkrise zu einer der wichtigsten Machtzentralen in Europa entwickelt. Die Notenbank kontrolliert als mächtiger Aufseher seit einem Jahr die größten Banken Europas. Die Experten der EZB sind auch mit an Bord, wenn die vereinbarten wirtschaftspolitischen Reformen in Griechenland überprüft werden. Draghi hat zudem am "Bericht der fünf Präsidenten" mitgearbeitet, in dem der konkrete Plan zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion formuliert wurde.

Die EZB, einst eine Schattenexistenz, mischt überall mit. Und wie das so ist, wenn alle Welt einen plötzlich hofiert: Es besteht die Gefahr, dass man sich überschätzt. Die EZB tut mehr, als ihr guttut.

Noch mehr Geld für noch mehr Staatsanleihen

Früher setzte der EZB-Rat den Leitzins mal nach oben, mal nach unten, und fertig war die Geldpolitik. Jetzt ist die Zinsschraube mit null Prozent bis zum Anschlag eingedreht. Das gab es noch nie. Die EZB experimentiert. Bis September 2016 will die Notenbank rund 1,1 Billionen Euro in den Kauf von Staatsanleihen und Verbriefungen stecken. So sollen die Kreditkosten für Privatleute, Unternehmen und die Regierungen nachhaltig abgesenkt werden. Die EZB riskiert Geld, für das im schlimmsten Fall die Steuerzahler geradestehen müssten.

Doch wofür? In der Euro-Zone dürfte sich kaum ein Bürger ernsthaft darüber beschweren, dass die Preise für Benzin und andere Produkte im letzten Monat gefallen sind. Jeder hat gern mehr Geld übrig für andere Einkäufe. Gesamtwirtschaftlich wächst dann sogar die Nachfrage, was Wachstum erzeugt. Das ist eigentlich eine gute Nachricht.

Ein Schutzwall aus Geld

Doch in der EZB macht man sich große Sorgen. Die Notenbank will die Inflation mit aller Macht erhöhen, was für eine Institution, die sich der Geldwertstabilität verpflichtet fühlt, ein wenig grotesk wirkt. Viele im EZB-Rat möchten daher bald noch mehr Staatsanleihen kaufen. Es geht um viele Billionen Euro. EZB-Vize Vitor Constâncio sagte jüngst, man habe bisher nur Wertpapiere im Wert von 5,3 Prozent der Wirtschaftsleistung der Währungsunion erworben, während die US-Notenbank Papiere im Wert von 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehäuft hätte. Da geht noch was. Doch wenn die Anleihekäufe schon jetzt nicht den gewünschten Effekt haben, warum sollte es klappen, nur weil man noch mehr kauft?

Die EZB hat in den letzten Jahren einen Schutzwall aus Geld gebaut. Europa lebt dahinter in der Komfortzone. Doch Politik und Gesellschaft müssen es langfristig ohne die EZB schaffen. Dazu braucht es zum einen mehr Integration. Die Währungsunion war immer als Vorstufe zur Politischen Union gedacht. Nur so ist sie stabil. Zum anderen muss jedes Euro-Mitgliedsland die vor Ort notwendigen wirtschaftspolitischen Reformen durchführen, um neue Kräfte freizusetzen.

Die EZB sollte kein Geld mehr nachschießen. Es reicht. Draghi war Retter der Euro-Zone. Als hauptverantwortlicher Aufbauhelfer ist er überfordert.

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