Ökonomen-Serie:Der Gerechte

Andreas Löschel untersucht, wie sich die Kosten für mehr Nachhaltigkeit fair verteilen lassen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass die Kosten gerecht verteilt werden, sind sie bereit zu zahlen.

Von Markus Balser, Berlin

Was ein grünes Gewissen kostet? Oft, weiß Andreas Löschel, sind es nur ein paar Euro. Wer etwa bei Reisekonzernen oder Fluggesellschaften bucht, kennt das Angebot: Meist können Verbraucher den CO₂-Ausstoß von Flug, Bahntrip oder Busfahrt mit einer schnellen Überweisung an grüne Projekte kompensieren. Kaum jemand aber zahlt. "Die Kunden sind zwar grundsätzlich bereit, für mehr Umweltschutz auch etwas zu leisten", sagt Löschel, "aber nur unter bestimmten Bedingungen." Kaum einer, der sich nicht frage: "Warum soll ich zahlen, wenn der Verkäufer der Reise nicht auch zur Kasse gebeten wird?"

Für den 44-jährigen Umweltökonomen und Professor für Mikroökonomik der Uni Münster mit dem Schwerpunkt Energie- und Ressourcenökonomik sind es solche alltäglichen Fragen der Gerechtigkeit, die für die großen Probleme der internationalen Umweltpolitik stehen. Löschel, ein zurückhaltender, großer Mann, sitzt in einem Berliner Café, und macht in kurzen klaren Sätzen, deutlich, worauf es bei politischen Entscheidungen aus seiner Sicht ankommt: "Auf Fairness." Es sei für ihn und seine Forscherkollegen eine Überraschung gewesen, wie stark die freiwillige Zahlungsbereitschaft steige, wenn Kunden ein Modell für gerecht hielten. "Das ist der Schlüssel für nachhaltigeres Wirtschaften", sagt Löschel.

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(Foto: Metodi Popow/imago)

Erderwärmung, Luftverschmutzung, Ausbeutung von Ressourcen: Seit vielen Jahren predigen Umweltökonomen in aller Welt die Lehre von der notwendigen Internalisierung externer Kosten, mit der die wirtschaftlich effizienteste Umweltpolitik betrieben werden könne. Doch das simple marktwirtschaftliche Prinzip, wonach Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung ein Preisschild bekommen und so eingedämmt werden sollen, setzt die Politik bislang nur selten durch. Pläne, etwa für eine Einbindung des Verkehrssektors in den Emissionshandel, stoßen auf heftigen Widerstand der Wirtschaft.

Es geht um den kritischen Punkt für mehr Nachhaltigkeit, den sich eine neue Generation von Umweltökonomen wie Löschel vorknöpft: Die Bereitschaft zu ihrer Finanzierung. Löschel hat mit anderen Ökonomen das Verhalten der Verbraucher am Beispiel eines rasant wachsenden und vergleichsweise neuen Marktes erforscht, den Reisen per Fernbus. Löschel und seine Kollegen wollten wissen, unter welchen Bedingungen sich Akteure eines Marktes auf faire Lösungen einigen und wie die aussieht. Das Angebot reichte von Rabatten von 25 bis 75 Prozent auf den Klimabeitrag bis zur Mitfinanzierung durch den Reiseanbieter zu einem Drittel bis zu zwei Dritteln. Ergebnis des Tests von mehr als 10 000 Buchungen: "Die größte Spendenbereitschaft gab es, wenn sich Kunde und Reiseanbieter die Kosten eins zu eins teilten", sagt Löschel. Dann also, wenn beide Profiteure eines Angebots für die Kosten aufkommen: Nutzer und Produzent.

24 deutsche Ökonomen, auf die es ankommt

In der Volkswirtschaftslehre findet ein Generationswechsel statt. Die SZ stellte immer dienstags und donnerstags die neuen Köpfe vor: "24 deutsche Ökonomen, auf die es ankommt" - heute Teil 23.

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Der Ökonom zählt mit solchen praxisnahen Arbeiten in Umwelt- und Energiefragen zu den einflussreichsten Politikberatern seines Metiers. Seit 2011 ist er Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess "Energie der Zukunft" der Bundesregierung. Löschel steht nicht nur für die wachsende Bedeutung seiner Fachrichtung in der Ökonomie. Seine Karriere zeigt auch, dass deutsche Forscher auf diesen Gebiet zu den international führenden gehören. Als Leitautor war er am jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) beteiligt. Löschel lehrt neben seiner Heimat-Uni in Münster auch an der Tsinghua-Universität in Peking und der Australian National University (ANU) in Canberra.

Das Interesse an seiner Arbeit sei in den vergangenen Jahren stark gewachsen, sagt Löschel, der vor Münster in Heidelberg und Mannheim lehrte.

Lange fristeten Umweltökonomen ein Nischendasein. Seine erste Konferenz internationaler Kollegen besuchte Löschel 1999 in Oslo. Es ging um eine vergleichsweise kleine und junge Disziplin, die auch an den Universitäten oft nur als kleines Nebenfach geführt wurde. Allenfalls 100 Forscher hätten sich da versammelt. Inzwischen ist die Disziplin ins Zentrum des Interesses gerückt. "Beim letzten Treffen in Helsinki war das ein Riesenkongress mit weit mehr als 1000 Teilnehmern", sagt Löschel.

Der Forscher ahnt, dass die kommenden Monate die Weichen stellen werden für die Umweltpolitik der nächsten Jahre - und auch für die Forschung der Ökonomie. Ende des Jahres trifft sich die Weltgemeinschaft in Paris, um sich auf dem nächsten großen Klimagipfel endlich auf einen Folgevertrag für das auslaufende Kyoto-Protokoll zu einigen. Wieder gehe es um Gerechtigkeit, sagt Löschel. Zu einer Lösung werde es nur kommen, wenn Industrie- und Schwellenländer zu einem Interessenausgleich kämen, den beiden Seiten für fair halten könnten.

Die Rückschläge in Europa beobachtet Löschel mit Sorgen. Der Emissionshandel erlahmt, weil die Preise für Zertifikate abgestürzt sind. "Die ökonomischen Ideen sind gut, es ist eher die Umsetzung, die nicht immer optimal war." Nicht nur weil Regierungen zu vorsichtig waren und Unternehmen nicht überfordern wollten. Auch weil sie es an anderer Stelle übertrieben und zu viele Instrumente gleichzeitig eingeführt haben. In der EU gibt es neben dem Emissionshandel diverse nationale Fördermechanismen. Die Briten führten eine Steuer ein, Deutschland die Ökostromförderung. "Die Instrumente überlappen sich. Darauf achtet die Politik zu wenig." Löschel schlägt eine Preisuntergrenze für Zertifikate vor. Dann könnte der Preis nicht so tief sinken, dass es den gesamten Mechanismus gefährdet.

Die Chancen auf internationale Fortschritte beim Kampf gegen den Klimawandel, stünden indes in Paris nicht schlecht, glaubt Löschel. Denn bei seinen internationalen Besuchen vor allem in China spürt er: "In Peking bewegt sich etwas." Extreme Wetterphänomene, wie sie der Klimawandel hervorruft, beschäftigten die Bevölkerung in vielen Regionen Chinas noch stärker als in Europa. Die Politik reagiere auf die Sorgen der Bevölkerung. China wolle regionale Tests beim Emissionshandel auf ein nationales System ausweiten. "Das Bewusstsein für die Gefahren der Erderwärmung wird dort immer größer", sagt Löschel.

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