Medizingeschichte:Menschheitsbegleiter Pest

Die Pest suchte die Menschheit bereits während der Bronzezeit heim - viel eher als bislang gedacht.

Von Kai Kupferschmidt

Bereits in der Bronzezeit hat die Pest die Menschheit heimgesucht. Viel früher also als bisher gedacht. Historisch belegt sind bis heute drei große Seuchenzüge. Im Jahr 542 versetzte die Justinianische Pest Konstantinopel in Angst. Im Mittelalter wütete der "Schwarze Tod" mehrmals in Europa. Und die jüngste Epidemie begann im 19. Jahrhundert in China. Dass der Pesterreger aber bereits in noch früheren Zeiten Menschen niedergestreckt hat, das zeigen nun Biologen um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen im Fachjournal Cell. Die Wissenschaftler analysierten Erbgut aus Skeletten aus der Bronzezeit und fanden darin die DNA des Pesterregers. Das älteste Skelett ist mindestens 4500 Jahre alt - 3000 Jahre vor dem frühesten, historisch verbürgten Pestausbruch.

Sind Nomaden aus Asien einst vor der Krankheit nach Europa geflohen?

Das Team um Willerslev versucht mithilfe von Erbgutanalysen, Aspekte der Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren. Zuletzt hatten sie die DNA von 101 Skeletten aus der Bronzezeit untersucht. Mit einem Bohrer gewannen sie winzige Mengen Material aus den Zähnen und isolierten dann die DNA. So konnten sie zeigen, dass eine Einwanderungswelle von Nomaden aus der russischen Steppe offenbar den Beginn der Bronzezeit ausgelöst hatte. Die Ergebnisse wurden im Juni im Fachblatt Nature veröffentlicht, und damit schien die Geschichte erst einmal zu Ende zu sein.

Doch weit mehr als 90 Prozent der DNA aus den Zähnen der Skelette waren kein menschliches Erbgut, sondern Abfall: "Bakterien, die nach dem Tod in die Zähne eingedrungen sind und ähnliches Zeug", sagt Willerslev. Bei der Diskussion darüber, was die Wanderungen zu Beginn der Bronzezeit ausgelöst haben könnte, kamen die Forscher auf die Idee, in den aussortierten Daten nach dem Erbgut der Pest zu suchen. Die Krankheit wurde zwar erst viel später beschrieben, aber möglicherweise wurden Menschen ja schon damals von der Seuche heimgesucht.

Tatsächlich fanden die Forscher in den Daten von sieben der 101 Skelette das Erbgut des Erregers Yersinia pestis. "Die Befunde sind überraschend und sensationell", sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass es bereits in der Jungsteinzeit und der Bronzezeit zu Pestausbrüchen kam."

Die Pest-DNA gibt auch Einblick in die Evolution des Bakteriums. So fehlten im Erbgut der sechs ältesten Proben zwei entscheidende Merkmale, die der moderne Erreger trägt: Das Gen "ymt" schützt den Erreger im Darm des Flohs und ermöglicht so seine Übertragung durch die Parasiten. Eine weitere Mutation erlaubt es dem Bakterium, aus der Lunge heraus in anderes Gewebe einzudringen und so die Beulenpest auszulösen. "Die Daten legen nahe, dass die älteste Form der Pest die aggressivste ist, die die Lunge befällt und von Mensch zu Mensch übertragen wird", sagt Willerslev. Nur in der jüngsten Probe, von einem Skelett aus Armenien, das aus der Zeit um 1000 vor Christus stammt, fanden die Forscher die molekularen Merkmale der Beulenpest. Ihre Theorie: Die Lungenpest infizierte Menschen schon 3000 bis 4000 Jahre vor Christus. Erst gegen 1000 vor Christus erwarb der Erreger die Fähigkeit, von Flöhen übertragen zu werden und die Beulenpest zu verursachen.

Mark Achtman, der an der Universität Warwick das Erbgut des Pesterregers erforscht, warnt jedoch vor zu weitreichenden Schlussfolgerungen. Trotzdem sei die Arbeit der Biologen um Willerslev "ein großer Schritt nach vorn". Welche Form der Pest auch immer Gemeinschaften in der Bronzezeit heimgesucht hat, sie könnte eine wichtige Rolle in der frühen Geschichte der Menschheit gespielt haben, sagt Krause. "Es öffnet sich also ein neues Kapitel in der Pestforschung, das bisher im Verborgenen lag."

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