Totschlag-Urteil gegen Rentner:Schuss in den Rücken

  • Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Stade bestätigt: Ein 82-Jähriger wurde wegen Totschlags schuldig gesprochen.
  • Der Rentner hatte einem 16-jährigen Einbrecher in den Rücken geschossen, als dieser aus seiner Wohnung floh.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

In der Welt der Gesetze verläuft zwischen Recht und Unrecht eine wunderbar exakte Grenze. Nur die Wirklichkeit ist in dieser Hinsicht manchmal unpräzise. Dann kann man der sonst so selbstgewissen Justiz dabei zuschauen, wie sie zweifelnd um das richtige Urteil ringt.

Einbrecher fesselten und malträtierten ihn

Ernst B. ist 82 Jahre alt und seit diesem Dienstag rechtskräftig wegen Totschlags verurteilt. Er muss nicht ins Gefängnis, das Landgericht Stade und nun der Bundesgerichtshof (BGH) haben ihn mit einer Bewährungsstrafe davonkommen lassen. Aber er ist schuldig, einen 16-Jährigen erschossen zu haben - einen von fünf jungen Kerlen, die ihn 2010 in seiner Wohnung überfallen, gefesselt und malträtiert haben; einer hat ihm eine Softair-Pistole an den Kopf gehalten.

Der Tipp für den Raubzug war von einer Freundin der Geliebten des Rentners gekommen, einer Geliebten, die 50 Jahre jünger war als er - er hatte ihr ein Auto, ein Pferd und eine Wohnung gekauft. Die Räuber drangen in sein Haus am Stadtrand von Sittensen ein, sie glaubten sich gut vorbereitet. Doch als sie sich an den Tresor heranmachen wollten, lösten sie die Alarmanlage aus, gerieten in Panik, stürzten davon. Und Ernst B., passionierter Jäger, griff zu einer geladenen Pistole, die er, angeblich aus Angst vor Überfällen, in einer Stofftasche an seinem Sessel deponiert hatte. Er schoss vier Mal, es war ein "kompaktes Schussbild", wie die Polizei feststellte. Der dritte Schuss traf den Jungen in den Rücken, als er durch die Terrassentür nach draußen wollte.

Bundesanwalt plädiert auf Notwehr

War das Notwehr? Die Staatsanwalt hatte die Ermittlungen zunächst eingestellt und klagte ihn dann doch an. Auch das Landgericht haderte, es ließ die Anklage anfangs nicht zu, erkannte aber am Ende auf Totschlag. Die Wanderung auf dem Grat zwischen Schuld und Unschuld setzte sich auch beim BGH fort: Bundesanwalt Lothar Maur kämpfte in der Verhandlung im September nicht gegen, sondern für den Angeklagten - er beantragte Freispruch. Und zwar, weil der Rentner sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden habe: "Er wollte den Räubern ein für alle Mal eine Grenze ziehen." Er selbst, bekannte der Jurist, sei als junger Mann bei der Bundeswehr von einem aggressiv gewordenen Soldaten mit einer durchgeladenen Maschinenpistole bedroht worden. "Da ist man psychisch auf einem anderen Planeten" - man wolle einfach irgendwie aus der Situation herauskommen. "Wenn ich meine Dienstwaffe erreicht hätte, hätte ich geschossen", bekannte der Jurist.

Auch der BGH tat sich schwer - doch am Ende erkannte er doch auf Totschlag. Denn Notwehr setze einen "gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff" voraus. Als aber Ernst B. zur Waffe gegriffen habe, seien die Räuber bereits auf der Flucht gewesen - ohne Anzeichen für eine Rückkehr. Zwar hatte der 16-Jährige tatsächlich Ernst B.s Geldbörse mit 2000 Euro eingesteckt, und das wäre ein Angriff auf das Eigentum, dagegen ist Notwehr erlaubt. Nur hatte Ernst B. das gar nicht bemerkt, als er zur Pistole griff. Er habe allein aus Angst um sein Leben geschossen, hatte er der Polizei gesagt.

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