VW-Abgas-Skandal:Schummeln, aber richtig!

VW Passat Variant auf der Dieselstraße in Wolfsburg.

Ein VW Passat Variant fährt über die Dieselstraße in Wolfsburg.

(Foto: dpa)

Die Geschichte eines fast perfekten Betrugs: Wie VW-Diesel fast zehn Jahre lang die strengsten Abgasnormen meisterten, ohne dass der Software-Schwindel aufflog.

Von Joachim Becker

Januar 2006, Automesse in Detroit. VW-Vorstand Wolfgang Bernhard verkündet "eine Trendwende" beim Diesel. Jeder fünfte VW Jetta, der in den USA verkauft wird, hat bereits einen Selbstzünder unter der Haube. "Wir glauben, dass wir bei Volkswagen sehr gut positioniert sind, um diesen Wandel auf dem amerikanischen Markt positiv zu begleiten", so Bernhard. Experten schätzen, dass der Marktanteil von Dieselfahrzeugen in den USA, von drei Prozent (2005) auf 7,5 Prozent im Jahr 2012 ansteigen wird. Die Prognose ist so falsch wie die VW-Selbsteinschätzung.

Liebe deine Kunden

Clean Diesel? Kein Problem! Aber bitte nicht in den USA. Da haben Selbstzünder ohnehin keinen besonders guten Ruf. Der klebrige und stinkende Sprit gilt als Kraftstoff für Trucker. Seit in den achtziger Jahren die ersten Dieselpartikelfilter in der Mercedes S-Klasse in Flammen aufgingen, liegt der Markt am Boden.

Nur echte Freaks fahren in USA einen Ölbrenner. Sie diskutieren in Internet-Foren über Chip-Tuning und darüber, wie man den lästigen Partikelfilter los wird. Mit dem leer geräumten Auspuff klingt ein Vierzylinder fast so sonor wie ein Big Block. Lästige Abgasuntersuchungen gibt es in wenigen US-Bundesstaaten - und dort nur in größeren Städten. Erst im Herbst 2006 wurde in den USA Dieselkraftstoff mit einem niedrigen Schwefelgehalt eingeführt. Im Hinterland gibt es aber weiterhin Sprit mit 500 ppm (parts per million) Schwefel. Das genügt für einen technischen k.o. über jeden Stickoxid-Katalysator.

Auch Bio-Sprit ist in den Vereinigten Staaten groß in Mode. Weniger aus Öko-Überzeugung, sondern aus Gründen der Selbstversorgung vom heimischen Acker. Selbst an regulären Zapfsäulen kann man ein obskures Dieselgebräu tanken, das mehr als fünfhundert Fremdstoffe enthält. Genug, um die Abgasreinigung zu einem Quiz für Superhirne zu machen: Bio-Sprit macht Ruß und setzt den Partikelfilter zu. Das kostet Sprit beim Freibrennen. Es sei denn, man schmeißt das Rußsieb einfach raus (siehe oben)

Ein amerikanischer Traum

. Ausgerechnet San Francisco: Am 18. Oktober 2007 veranstalten VW, Audi und Bosch einen "German Tec Day". An der US-Westküste, wo der Smog am dichtesten und die Abgasgesetze am strengsten sind. Die Deutschen stellen den "saubersten Diesel weltweit" vor: "Im Jetta BlueTDI erreicht Volkswagen die Abgasstandards aller amerikanischen Bundesstaaten und zeigt eindeutig das Potential moderner Dieselaggregate auf." Im Frühjahr 2008 soll der Clean Diesel in den USA auf den Markt kommen. Doch der Zeitplan lässt sich nicht halten. Der BlueTDI ist zu diesem Zeitpunkt nur eine Attrappe.

Made in Niedersachsen

Hektik in der Wolfsburger Aggregate-Entwicklung. Für die Entwicklung des neuen 2,0-l-Motors stehen nur 21 Monate zur Verfügung. Zu spät hat sich VW von der Pumpe-Düse-Einspritzung verabschiedet. Erst im Herbst 2005 kann Wolfgang Bernhard das Common-Rail-System von Bosch durchsetzen. Viel Zeit bleibt nicht, bis der EA 189 auf der IAA 2007 im VW Tiguan vorgestellt wird.

Doch die US-Variante des Diesels ist da schon aus dem Ruder gelaufen. Insider sprechen von desaströsen Zuständen beim Projekt BlueTDI: Partikelfilter verstopfen und der Denox-Katalysator versagt. Im strengen amerikanischen Prüfzyklus FTP75 lässt er einfach zu viel Schadstoffe durch. Auch die neue Niederdruck-Abgasrückführung macht Probleme. Weil die Rohemissionen zu hoch sind und die Abluft nicht genügend gereinigt wurde, setzen sich die Rohrleitungen auf dem Weg zurück in die Zylinder zu.

Wir sind die Guten

November 2008: "Wir wollen der umweltfreundlichste Autohersteller der Welt werden!", sagt Martin Winterkorn auf der Managementkonferenz in Dresden. Die Wolfsburger wollen auch das "Bewusstsein für Regeln und Wertmaßstäbe fördern". 2008 wird ein zentrales Compliance-Office eingerichtet und eine konzernweite Compliance-Organisation aufgebaut. Das Thema Gesetzesverstöße wird offiziell zur Chefsache. Gleichzeitig rollt in Wolfsburg der VW Jetta BlueTDI als erstes Auto mit der Betrugs-Software vom Band. Wer hat davon gewusst? Der VW-Chef trommelt regelmäßig große Runden aus der technischen Führung zusammen. Zum Beispiel zum "Schadenstisch". Dort wird angeprangert, was in den Testläufen zu Bruch ging. Unwahrscheinlich, dass der Führungskreis nichts von den Problemen mit dem BlueTDI wusste.

Keine Alternative

Die Spezialisten in der VW Abteilung Niedrigstemissions-Motoren und Abgasnachbehandlung wissen nicht mehr weiter: Der Vertrieb drängelt, weil die VW-Diesel nach 850.000 verkauften Fahrzeugen in den USA ausgelaufen sind. Doch der neue Motor erfüllt die weltweit anspruchsvollsten Stickoxid-Grenzwerte ebenso wenig. Am liebsten würden die Entwickler die Schadstoffe mit einem Additiv in harmlosen Wasserdampf und Stickstoff umwandeln. Doch dieses aktive SCR-System ist in den USA noch nicht erlaubt. Die Umweltbehörden geben erst für 2008 grünes Licht zur Abgasnachbehandlung mit Harnstoff. Selbst dann könnten die Kunden ihre Adblue-Tanks nur in VW-Werkstätten auffüllen lassen. Eine flächendeckende Infrastruktur fehlt. Wer nicht auf die Warnlampe reagiert, riskiert, mit seinem Wagen liegenzubleiben.

Countdown

Die Zeit läuft, der angekündigte Einführungstermin des Jetta BlueTDI im Frühjahr 2008 wird auf August verschoben. Längst hat der neue US-Diesel den Kostenrahmen gesprengt. Unter Hochdruck wechseln die Spezialisten Komponenten, ohne sie in den üblichen Langstreckentests abzusichern. Der Speicher-Katalysator bekommt eine teurere Edelmetall-Beschichtung. Erstmalig werden bei VW auch Zylinderdruck-Sensoren eingesetzt. Mit ihrer Hilfe kann die Verbrennung in jedem Zylinder einzeln gesteuert werden. Viel Zeit verwenden die Experten schließlich auf ein völlig neues Motorsteuergerät mit einer neuen Software-Architektur. Eine Heerschar von Entwicklern rüstet den Diesel zum Superhirn auf.

Das Ergebnis ist ein weitgehend neues Brennverfahren, das den amerikanischen Prüfzyklus schließlich besteht. Kein Mensch weiß, wie sich die Innovationen im Realbetrieb bewähren werden. Zum Glück gibt eine einfache Lösung: Ein Defeat Device reduziert die aufwändige Abgasnachbehandlung im Alltag auf ein Minimum.

Nicht erwischen lassen!

Die Software für einen modernen Diesel ist ein Labyrinth. Sie steuert fünfzig und mehr verschiedene Fahrmodi: Vom Kaltstart bis zum Anhängerbetrieb in Höhenluft. Nicht zu vergessen die Betriebsstrategien für die Abgasnachbehandlung. Ob Oxi-Kat, Partikelfilter, Stickoxid-Katalysator oder das große Entschwefelungs-Programm bei 650 Grad Celsius: Dauernd braucht die Chemiefabrik eine andere Temperatur, Kraftstoff- oder Sauerstoffmenge. Alles ganz legal - was man von einer betrügerischen Prüfzykluserkennung nicht behaupten kann. Kein Grund zur Sorge: So ein Defeat Device ist selbst für Experten nicht auf Anhieb zu erkennen. Denn in der Motorsteuerung stecken Hunderte von Mannjahren an Entwicklungszeit. "Einzelne Funktionen lassen sich im Quellcode mit rund einer Million Zeilen Code nahezu unentdeckbar verstecken,",sagt ein Kenner der Materie.

Der Virus kommt nach Europa

Zunächst erkennt die Betrugs-Software scheinbar nur den US-Prüfzyklus. Der VW Tiguan des Modelljahres 2007 ist offenbar noch nicht betroffen. Vermutlich ab 2008 erkennt das Defeat Device dann auch den Europäischen Prüfzyklus. Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint, ist es nicht. Für jede neue Getriebevariante, neue Leistungsstufe oder jedes neues Fahrzeugmodell müssen einzelne Funktionsgruppen in der Software angepasst werden. Wissen die Projektleiter über das Defeat Device Bescheid? Ausgerechnet die schweren Nutzfahrzeuge VW T5, Crafter und Amarok ab Modelljahr 2013 sind nicht vom Betrugs-Virus infiziert. Warum, kann VW noch nicht überzeugend erklären.

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