Ende der Prohibition:Warum sich Amerika wieder betrinken durfte

Protestmarsch von Gewerkschaftsmitgliedern zur Zeit der Prohibition in Newark, 1931

Protestmarsch von Gewerkschaftsmitgliedern 1931 in Newark gegen die Prohibition. Auf den Plakaten steht die zentrale Forderung: "Wir wollen Bier".

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl)

"Gebt uns Alkohol, damit wir den Haushalt ausgleichen können!" Jahrelang sorgt die Prohibition in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts für trockene Kehlen. Es braucht eine Wirtschaftskrise, um das Schnapsverbot zu beenden.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Das Leben war nicht einfach für den heimlichen Hoffnungsträger der Demokratischen Partei, als er 1924 erstmals den kleinen Ort Warm Springs im Westen des US-Bundesstaates Georgia erreichte. Drei Jahre zuvor war der einstige Staatssekretär im Marineministerium an Kinderlähmung erkrankt - seither konnte er seine Beine kaum und nur noch unter Schmerzen bewegen. Von den warmen Mineralquellen versprach sich der 42-Jährige Linderung und Stärkung.

Die Legende besagt allerdings, dass es noch einen zweiten Grund gab, warum Franklin D. Roosevelt in Warm Springs bald Stammgast wurde und schließlich sogar ein Haus dort kaufte: den "Moonshine". Anders als man vermuten könnte, verbirgt sich hinter dem romantisch klingenden Begriff nicht etwa ein besonders liebliches Zusammenspiel von Mondlicht und Südstaatenidylle, sondern etwas weitaus Profaneres.

Moonshine, so hieß der Schnaps, der zwischen 1920 und 1933, als in den USA Herstellung, Transport und Verkauf von Alkohol verfassungsrechtlich verboten waren, des Nachts schwarz gebrannt wurde. Hier, gut 1000 Kilometer Luftlinie vom politischen Machtzentrum Washington, D.C., entfernt, soll der Martini-Liebhaber Roosevelt den ein oder anderen Schluck zu sich genommen haben. Der künftige erste Mann im Staat, so formulierte es der Radiosender NPR einmal augenzwinkernd, "verstieß also gegen die Verfassung, auf die er später schwor".

Geld aus der Alkoholsteuer für die Konjunktur

Dafür, dass die Legende nicht gänzlich frei erfunden ist, spricht, dass Roosevelt seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 1932 unter anderem mit dem Versprechen bestritt, bei einem Erfolg die ungeliebte Prohibition abzuschaffen. Damit sein republikanischer Gegner, der amtierende Präsident Herbert Hoover, ihn nicht als Saufkumpan brandmarken konnte, verknüpfte er seine Forderung mit einer frohen Botschaft: Das Geld aus der Alkoholsteuer, so Roosevelt, werde er verwenden, die Neuverschuldung zu beseitigen und ein großes Konjunkturprogramm zu finanzieren. Das Volk verstand: "Gebt uns Alkohol, damit wir den Haushalt ausgleichen können!", stand schon bald auf Demonstrationsplakaten und Hauswänden.

Die Beseitigung der Prohibition, die Roosevelt nach seinem Wahlsieg tatsächlich umgehend in Angriff nahm, war somit nicht nur ein gustatorischer, sondern auch ein finanzpolitischer Meilenstein. Dass die beinahe 14-jährige Durststrecke in der Geschichte der USA aber nicht nur eine wichtige Wegmarke war, sondern eine echte steuerpolitische Revolution mit sich brachte, hat weniger mit ihrem Ende als mit ihrem Anfang zu tun.

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Bis in die ersten anderthalb Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein waren die Alkoholsteuer und die Warenzölle die mit Abstand wichtigsten Einnahmequellen der US-Bundesregierung gewesen. Zusammengenommen machten sie zeitweise mehr als drei Viertel des Steueraufkommens aus. Die staatlichen Geldeintreiber durchkämmten die Häfen und Saloons des Landes und nahmen den Kapitänen und Wirten einen Teil ihrer Einnahmen ab. Die Idee eines Alkoholverbots, die schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts kursierte und 1867 sogar zur Gründung der bis heute existierenden Prohibitionspartei führte, war aber damals illusorisch: Ihre Durchsetzung hätte den Staat um mindestens ein Drittel seiner Einnahmen beraubt und damit den Bankrott bedeutet.

Haushaltsloch als Argument der Prohibitionsgegner

Die Vorzeichen änderten sich erst mit der Einführung der Einkommensteuer im Jahr 1913, die ihr Aufkommen rasch vervielfachte und die Abhängigkeit der Regierung von Verbrauchsteuern wie der Alkoholsteuer drastisch reduzierte. Erst jetzt wurde es möglich, das Bier- und Schnapsverbot tatsächlich einzuführen. Die ersten Versuche, die dafür nötige Verfassungsänderung durchzusetzen, konnte Präsident Woodrow Wilson noch mit seinem Veto verhindern. Schließlich wurde der öffentliche Druck aber so groß, dass er nachgeben musste.

So dramatisch die Abhängigkeit der Regierung von der Alkoholsteuer einst gewesen war, so dringend war die Politik nun auf die Einnahmen aus der Einkommensteuer angewiesen. Das rächte sich, als 1929 die Börsen kollabierten und damit die Große Depression, die schlimmste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Vereinigten Staaten, auslösten. Zwischen 1930 und 1932 brachen die Einkommensteuererlöse um die Hälfte ein, der Staatshaushalt geriet aus den Fugen, die Regierung suchte händeringend nach Geld.

Diesen Umstand nutzten die Prohibitionsgegner schamlos aus, wie ein prominentes Mitglied des Repräsentantenhauses schon 1934 unverblümt einräumte: "Hätten wir das Argument, dass eine Aufhebung des Verfassungszusatzes der Regierung das dringend benötigte Geld einbringt, nicht gehabt, hätte es noch mindestens zehn weitere Jahre gedauert, bis es dazu gekommen wäre."

Der frisch gewählte Präsident Roosevelt nutzte diese Chance und führte nicht nur die Alkoholsteuer wieder ein, sondern hob zusätzlich die Einkommensteuer an. Damit verschaffte er sich den Spielraum, um seinen "New Deal" zu finanzieren, das dementsprechend wohl als das alkoholhaltigste Konjunkturprogramm der Wirtschaftsgeschichte gelten darf. Er selbst übrigens, so besagt es die Legende, soll das Ende der Prohibition mit seinem Lieblingscocktail gefeiert haben: einem "Dirty Martini".

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