Derby Dortmund gegen Schalke:"Zähnefletschen und Krallenzeigen"

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Ein Fitzelchen Blau in einem Meer aus Gelb und Schwarz: Ein Schalker Fan unter vielen Dortmundern. (Foto: firo/dpa Picture-Alliance)
  • Am Sonntag treffen Dortmund und Schalke im Derby aufeinander.
  • Wäre es nicht an der Zeit, dass die "lieben Dortmunder" und die "lieben Schalker" ihr Kriegsbeil begraben? Ein Fanklub-Vorsitzender hat das tatsächlich vorgeschlagen.
  • Doch die Stimmung in den Kurven bleibt aggressiv.
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Von Philipp Selldorf

Matthias Saathoff kennt diese Anrufe, die ihn vor den Derbys erreichen. Anfangs hat er sich noch darüber erschrocken, aber im Laufe der Jahre hat er sie fast lieb gewonnen. "Das gehört ja schon fast zur Tradition, dass man mich anruft und mir böse Dinge sagt", meint er. Man darf darüber staunen, dass sich Leute die Mühe machen, auf der Homepage der "BVB-Freunde Deutschland" die Nummer des Vorsitzenden ausfindig zu machen, um Beschimpfungen gegen einen Mann loszuwerden, den sie nicht kennen und noch nie gesehen haben. Aber, wie schon der Schalker Sportvorstand Horst Heldt zu Beginn dieser Woche feststellte: "Derby ist Derby. Und Derby bedeutet Zähnefletschen und Krallenzeigen."

So sehen das wohl die meisten Anhänger auf beiden Seiten, in Dortmund wie in Gelsenkirchen.

In der vorigen Saison hatte Saathoff zum Thema Nachbarschaft einen offenen Brief geschrieben, der sich, außer an die eigene BVB-Gemeinde, an die "lieben Schalkerinnen und Schalker" richtete und zwar nicht gleich zur Verbrüderung, aber doch zum gegenseitigen Respekt aufrief. Schließlich gebe es mehr Gemeinsames als Trennendes. Herkunft und Traditionspflege zum Beispiel, die Ablehnung des Fußballprojekts in Leipzig oder "der Ekel, der uns befällt, wenn der FC Bayern zu Gast ist". Die Reaktionen waren vielseitig, vor allem Borussen verdächtigten ihn, nicht mehr alle Latten am Zaun zu haben. Mehr Zustimmung kam aus dem Schalker Lager, und auch ein Bayern-Fan meldete sich, um volles Verständnis zu äußern.

Größere Sorgen als die seltsamen Telefonate zum Thema Fanfeindschaft bereiten Saathoff ohnehin die Anrufer, die ihn aus anderen Gründen erreichen, nicht zuletzt aus den Reihen seiner Parteifreunde. Die "BVB-Freunde Deutschland", mit 1281 Angehörigen einer der größten Fanklubs der Borussia, treten seit Jahren gegen Rassismus ein, nicht wenige Mitglieder des Vereins arbeiten ehrenamtlich mit Flüchtlingen, erzählt Saathoff, 28, der im Örtchen Timmel in Ostfriesland lebt. Die Haltung des Fanklubs beschert ihm Anrufe, in denen er beleidigt und bedroht wird. "Dich Muslimfreund bringen wir zur Strecke" oder "Wir werden dich an der Moschee aufhängen" und dergleichen bekommt er dann zu hören.

"Die Derby-Drohungen sehe ich entspannt, aber diese anderen Drohungen nicht mehr", sagt Matthias Saathoff. Er hat die Polizei eingeschaltet.

Doch er wundert sich auch nicht so sehr über diese Anrufer. Denn Saathoff weiß ja, dass das Spektrum auf der Dortmunder Südtribüne komplex und kompliziert ist. Die riesige Menschenmenge ergibt zwar das Bild einer amorphen, in Schwarz und Gelb vereinten Masse, "aber obwohl sich der Verein mehr engagiert als früher, gibt es dort nach wie vor die Leute, die nur das Tor, aber nicht den Schützen bejubeln, wenn Pierre-Emerick Aubameyang trifft. Weil er für sie ein Ausländer ist. Und dann gibt es jetzt auch diese besorgten Bürger, die sich darüber beschweren, wenn der Verein Flüchtlinge ins Stadion einlädt", so schildert es Saathoff.

Dass man sich im Stadion heute gegen Rassismus aussprechen kann, gilt schon als Erfolg

Die politische Lage in den deutschen Fußballstadien ist eben auch nicht weniger gespannt als im Rest des Landes. "Wir sehen die Situation in Dortmund seit Jahren als problematisch an, die Probleme mit Rechtsextremen in der Kurve wurden zu lange ignoriert und totgeschwiegen. Seit zwei, drei Jahren wird endlich gegengesteuert, jetzt setzt der Verein auch Geld ein, aber die Szene ist längst in der Kurve verwurzelt", sagt Helmut Schiffer aus Gelsenkirchen, der seit mehr als zwanzig Jahren der 1992 gegründeten Initiative "Schalker gegen Rassismus" angehört.

Auch im Parkstadion seien diskriminierende Sprüche früher üblich gewesen. Aber spätestens als die Bild am Sonntag 1993 einen Mann im Schalke-Trikot als Täter des tödlichen Brandanschlags von Solingen präsentierte, habe sich auch der Verein zu seinen Pflichten bekannt. "Natürlich haben auch wir heutzutage Rassisten und Neonazis im Stadion, aber sie werden bei uns nicht auffällig, weil sie keinen Nährboden finden", sagt Schiffer.

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Aus dem Stadion von Matthias Schmid

Belehrungen aus der Nachbarschaft hört in Dortmund naturgemäß niemand gern, aber in der Sache dürfte Schiffer Zustimmung finden. Borussias Fanbeauftragter Daniel Lörcher, vormals ein Anführer der Ultra-Gruppe "The Unity", trat vor anderthalb Jahren dazu an, "einen Klimawandel innerhalb der Fanszene" herbeizuführen, die Vorsätze zeugten von den heiklen Verhältnissen, die seinerzeit herrschten: "Jeder soll sich offen gegen Diskriminierung und Gewalt stellen dürfen, ohne Angst vor Gewalt oder Repression haben zu müssen." Auf diesem Weg gibt es große Fortschritte, aber es bleibt ein schwieriger Prozess, wie neulich unter anderem Transparente mit bedrohlichen Parolen gegen Lörcher erkennen ließen.

Vor diesem Hintergrund dürften die Friedliebenden gern mal wieder über das Verbindende und Versöhnliche zwischen den großen Ruhrgebietsvereinen nachdenken, die sich ja in Wahrheit gar nicht so unähnlich sind. Im Sommer 1997, als Schalke den Uefa-Cup und Dortmund die Champions League gewann, gab es gemeinsame Freudenfeste im Ruhrgebiet. Heutzutage ist so etwas kaum denkbar. Stattdessen werden Sonderberichte gesendet, wenn sich, wie im Frühling, Schalker und Dortmunder am Bahnhof im münsterländischen Dülmen zum symbolischen Händeschütteln verabreden.

2000 Schalker boykottieren das Spiel beim BVB

Auch das 147. Revierderby, das an diesem Sonntag in Dortmund ansteht, wird von der Polizei als Risikospiel erster Güte eingestuft. Das Ergebnis der kontroversen Verhandlungen zwischen der Polizei und den jeweiligen Vereinsvertretern über die Kartenzuteilung an die Gästefans und deren Anreise führte allerdings dazu, dass viele Schalker lieber zu Hause oder unter sich bleiben, als ihr Team in Dortmund zu unterstützen. In Folge des Protests gegen die Sicherheitsauflagen werden am Sonntag wohl rund 2000 für Schalke-Fans vorgesehene Plätze frei bleiben. Für die Boykotteure, darunter rund 400 Ultras, öffnet Schalke das Stadion zum gemeinsamen Fernsehen.

Ähnliches gab es kürzlich beim rheinischen Derby zwischen Köln und Mönchengladbach. Damals erklärte sich selbst der harte Kern der FC-Fans mit den aus Protest abwesenden Erzrivalen solidarisch. Solche Wortmeldungen kamen jetzt in Dortmund nicht vor, der Graben zwischen Borussen und Schalkern scheint noch ein Stück tiefer zu sein. Auch Helmut Schiffer verzichtet auf den Stadionbesuch: "Zu viel Aggression in der Luft."

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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