NSU-Prozess:Was Zschäpes Aussage klären könnte

Lesezeit: 3 min

Beate Zschäpe am Dienstag im Gerichtssaal (Foto: AFP)

Beate Zschäpe will ihr Schweigen brechen und sich am Mittwoch erstmals im NSU-Prozess äußern. Fragen an die Angeklagte gibt es viele.

Von Annette Ramelsberger, München

Beate Zschäpe will den ganz großen Aufschlag. Sie will am Mittwoch nicht nur eine Erklärung vor Gericht verlesen lassen, sie will auch Fragen beantworten - zumindest die des Gerichts. Das hat ihr neuer Verteidiger Mathias Grasel am Dienstag erklärt. Und Richter Manfred Götzl wird intensiv und bohrend nachfragen, dafür ist er bekannt. Es könnte schon sein, dass Zschäpe dann mehr sagt, als sie sich vorgenommen hat. Zu sagen hätte sie genug.

Doch ob sie das tut, ist mehr als fraglich. Die hoffnungsvollste Variante ist auch die unwahrscheinlichste. Nämlich die große Offenbarung aller Geheimnisse. Das ist es, was sich die Angehörigen der Opfer so sehr wünschen. Sie wollen, dass Zschäpe sagt, wie der NSU die Opfer ausgewählt hat, was oder wer sie auf die Spur der Geschäftsleute gebracht hat. Doch um das zu klären, müsste Beate Zschäpe das Innerste des NSU preisgeben und damit auch die zwei Männer, die sie ihre Familie nennt, verraten. Dass sie zu diesem Punkt ausgiebig aussagen wird, ist nicht sehr wahrscheinlich. Deswegen kann eine Erklärung Zschäpes für die Angehörigen auch sehr enttäuschend sein.

Anwalt von Beate Zschäpe
:Mathias Grasel im Profil

Seit Juli vertraut Beate Zschäpe im NSU-Prozess dem Anwalt Mathias Grasel. Ein Porträt.

Von Annette Ramelsberger

Wahrscheinlicher sind Teilaussagen, Erklärungen zu ganz bestimmten Fragekomplexen. Denn unklar ist bisher noch einiges: Wie kamen Zschäpes Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf die oft versteckt liegenden Geschäfte der neun türkisch - und griechischstämmigen Kleingewerbetreibenden? Hatte der NSU Komplizen, die ihnen Tipps gaben? Wer unterstützte den NSU während der Zeit im Untergrund? Warum brachen die Mordtaten nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im Frühjahr 2007 plötzlich ab? Wer hat alles am Bekennervideo mitgewirkt? Waren die Mitangeklagten André E. und Holger G. möglicherweise noch viel tiefer in den NSU verstrickt? Wie war das Binnenverhältnis in der Gruppe? Und wie sieht sich Beate Zschäpe selbst?

Auf diese letzte Frage ist mit großer Sicherheit etwas von Zschäpe zu erwarten. Ihr Selbstbild war ihr während der letzten 243 Prozesstage immer wichtig. Wenn wieder ein Zeuge Persönliches über sie berichtete, wurde sie regelmäßig unruhig. Offenbar fühlt sie sich verkannt und will erzählen, was sie antreibt. Das hatte sie auch einem Polizisten erzählt, den sie im November 2011 bei der Vorführung beim Ermittlungsrichter in Karlsruhe traf: Sie hätte gern ihrer Großmutter erklärt, wie alles kam. Statt ihrer Großmutter kann sie es nun dem Gericht erzählen.

Gerüchte gibt es auch, dass Zschäpe einige frühere Kameraden belasten könnte, vor allem die, von denen sie annimmt, sie machten sich einen schlanken Fuß. Das könnte Holger G. treffen, der jahrelang mit dem NSU-Trio Urlaub machte, sie mit Pässen und Führerscheinen versorgte und nun aussagt, er habe nur alte Freunde unterstützt, aber nichts von deren Taten gewusst. Für Holger G. könnte es eng werden. Zu anderen Verdächtigen wiederum könnte sich Zschäpe betont zurückhalten, zum Beispiel zu Susann E., der Frau des Angeklagten André E. und ihre besten Freundin im Untergrund. Susann E. hat ihr bei der Flucht geholfen, sie ist aber nicht angeklagt wie ihr Mann. Wenn Zschäpe ganz auspacken würde, könnte sich das ändern. Das dürfte nicht in Zschäpes Sinne sein.

SZ MagazinNSU-Prozess
:Das Protokoll des zweiten Jahres

Fünf Angeklagte, 172 Prozesstage, Hunderte Zeugen: Auch im zweiten Jahr hat das SZ-Magazin den Strafprozess zu den NSU-Morden begleitet. Aus den Mitschriften ist wieder ein Protokoll entstanden, das im Originalton abgedruckt wird. Außerdem sind die Protokolle wieder verfilmt worden.

Es gibt ein Raunen, dass Zschäpe auch etwas von Verbindungen mit Geheimdiensten berichten könnte, am Ende gar, dass sie selbst V-Frau gewesen sei. Doch das ist mit größter Vorsicht zu genießen. In einem halben Dutzend Untersuchungsausschüssen und dem langen Prozess wurde nun fast jeder Stein der Geheimdienste umgedreht. Und keine V-Frau Zschäpe kam darunter hervor. Da im Fall NSU aber nichts unmöglich erscheint, sind solche Hinweise von Zschäpe nicht von vornherein auszuschließen.

Aber: Wie bei allem, was Zschäpe sagt, ist Vorsicht geboten. Die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist von ihr nicht zu erwarten. Alles, was sie sagen wird, ist von einem Interesse geleitet: dem Interesse, vor Gericht gut dazustehen und die Richter milder zu stimmen. Es ist ihr letzter Versuch. Fast alles andere im Prozess hat bisher gegen sie gesprochen. Deswegen müsste sie vor allem eines tun: Reue zeigen. Doch das dürfte das aller Unwahrscheinlichste sein.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

NSU-Morde
:Tatort Deutschland

Zehn Menschen sind gestorben, Dutzende wurden verletzt: 13 Jahre zog der NSU mordend durch Deutschland. Längst sind die Toten begraben, doch an den Tatorten haben die Menschen noch immer Angst. Zum NSU-Prozess hat die SZ diese Orte besucht. Eine interaktive Reise auf den Spuren des rechten Terrors.

Von Annette Ramelsberger (Text), Regina Schmeken und Jürgen Schrader (Fotos)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: