Alkoholismus:Zwischen Rausch und Liebe

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"Abhängig sind wir beide: Der Alkoholiker hängt an der Flasche und ich am Alkoholiker."

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Er ist Alkoholiker, sie bleibt trotzdem bei ihm - und beide geraten immer tiefer in die Sucht. Eine Geschichte über gegenseitige Abhängigkeit.

Von Anna Fischhaber und Lars Langenau

Sie: Dass er Alkoholiker ist, hat er mir gleich am Anfang erzählt. Noch bevor wir uns verliebten. Fast 20 Jahre ist das her. Er hat damit regelrecht kokettiert - er fand seine Unbezähmbarkeit schick und ich irgendwie auch. An Krankheit habe ich nicht gedacht, im Gegenteil: Wir waren richtige Partytiere damals. Angefangen zu stören hat mich sein Trinken, als er nach zwei Jahren von Hamburg zu mir nach München gezogen ist. Zuerst hat er noch versucht, sich zu bremsen, er hat erst nachmittags mit Bier begonnen. Aber bald hat er sich schon zum Frühstück seinen Rotwein aufgemacht und wollte, dass ich mittrinke. Dass er krank ist, ist mir trotzdem erst viel später klar geworden. Alkoholiker waren für mich andere Menschen. Menschen, die unter der Brücke schlafen - aber nicht mein Freund.

Er: Ich war ein schüchternes Kind. Erst mit Alkohol wurde ich plötzlich offensiv. Während der Ausbildung habe ich angefangen, regelmäßig zu trinken. Das Feierabendbier half mir, mit anderen zu sprechen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, ich traue mir etwas zu. Irgendwann wurde Trinken zur Regel und der Wunsch danach bestimmend. Gerade in Drucksituationen greife ich zur Flasche.

Zuerst waren es nur Kleinigkeiten. Mal kam ich nach Hause und er war so betrunken, dass wir nicht zu einer Verabredung gehen konnten. Oder ich musste in der Arbeit anrufen und ihn krank melden, weil er so besoffen war. Als er wieder einmal ausfiel, waren wir gemeinsam beim Arzt, der uns eine Kurve aufgemalt hat, wie es abwärts geht. Er ist Alkoholiker, hat der Arzt gesagt. Gut, habe ich gedacht, dann muss er eben aufhören zu trinken. Ich habe damals nicht gedacht für immer, eher für eine gewisse Zeit. Er hat wohl dasselbe gedacht. Er hatte dann eine Trockenphase für eine längere Dienstreise. Als er nach Hause kam, hat er sofort wieder angefangen zu trinken. Da bin ich zum ersten Mal ausgerastet. Für die hörst du auf, aber für mich nicht, habe ich geschrien. Damals fing der Krieg zwischen uns an.

Mit 30 war ich beruflich sehr erfolgreich - und sehr abhängig. Nur konnte ich mir das nicht eingestehen. Zu dieser Zeit bin ich von Wein auf Schnaps umgestiegen. Am liebsten habe ich Wodka getrunken, weil man den nicht so im Atem riecht. Wenn sie unter der Dusche stand, bin ich schnell in die Kneipe gegangen. Es war hinterhältig, der Frau gegenüber, die ich liebe. Zuhause habe ich die verrücktesten Verstecke gefunden. Hinter den Klopapierrollen oder in der Saftflasche. Irgendwann hat sie aufgehört, zu suchen.

Eine Weile habe ich ihm sogar Alkohol gekauft. Es ging ihm damals sehr schlecht, er war depressiv, hat die Wohnung kaum mehr verlassen. Es ist schwer, einen Menschen, den man liebt, leiden zu sehen. Also bin ich jeden Tag nach der Arbeit zur Tankstelle gegenüber und habe Bier geholt. Drei Flaschen haben gereicht. Er musste gar nicht so viel trinken, damit sich in seinem Gehirn ein Schalter umlegt. Es gibt diese Menge, nach der er nicht böse wird, nach der er nur redselig ist. Dann kippt es.

Alkohol verwandelt mich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde. Ich werde von einem netten Menschen zu einem Monster. Trinke ich, weil ich depressiv bin, oder bin ich depressiv, weil ich trinke? Bis heute kann ich das nicht beantworten.

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Wenn er trocken ist, trägt er mich auf Händen. Er ist zuverlässig, er tut alles, er kümmert sich. Er ist der tollste Mann der Welt. Wenn er nass ist, ist es das Gegenteil. Er ist dann nicht mehr der Mensch, den ich liebe. Er ist ein Geist, der ganz anders denkt, der sich nur noch aufregt. Der mich beschimpft. Ich habe das Glück, dass er nie gewalttätig geworden ist, das nicht. Aber Alkoholismus ist eine fortschreitende Krankheit, man kann nie wissen, wohin sie führt. Und nach jeder Trockenphase wird es schlimmer, pathologischer, er wird richtig verrückt, bildet sich Sachen ein, die nicht real sind. Und ich werde auch verrückt.

Ich habe schon alles Mögliche versucht, um mich aus dem Sog zu befreien: pausieren, mal ein paar Tage, mal eine Woche. Wie eine Fastenzeit. Einmal war ich drei Wochen in Frankreich abstinent. Ich als passionierter Rotweinliebhaber! Als ich wieder hier war, bin ich wieder schwach geworden. Vier, fünf Flaschen schweren Rotwein am Tag waren es bald. Geschmeckt hat es mir schon lange nicht mehr. Eigentlich habe ich Wein geliebt, aber irgendwann war es nur noch ein Mittel zur Befriedigung meiner Sucht, meiner Krankheit. Eine Arznei, die meine Entzugserscheinungen betäubt. Auch das Umfeld hat sich verändert. Erst habe ich Rotwein in Gesellschaft getrunken, dann auch alleine, dann kam der Schnaps. Ich bin total vereinsamt. Ich hatte Angst meine Freunde zu sehen und die hatten Angst, mich zu sehen. Essen gehen ging nicht mehr, Kneipe auch nicht. Nach viel Ärger, Peinlichkeiten, Kosten lässt man es einfach. Ich habe mich völlig zurückgezogen in die Einsamkeit des Alkoholikers.

Irgendwann habe ich mich nicht mehr getraut, Leute einzuladen. Die Krankheit isoliert. Auf Partys habe ich ihn immer im Blick gehabt, ich bin ihm nachgelaufen, sogar bis auf die Toilette. Manchmal hatte ich mehr Angst vor dem Mitleid der Leute als davor, dass er besoffen ist. Das Mitleid, das ertrage ich nicht. Einmal ist er bei einer Essenseinladung total betrunken auf der Toilette eingeschlafen und ich habe den ganzen Abend versucht, die anderen zu unterhalten. Das war so peinlich.

"Als der Krankenwagen kam, hat er nicht mehr geatmet"

Erst habe ich Alkohol benutzt, um meine heitere Seite besser ausdrücken. Später kamen Aggressionen dazu. Bei mir waren das oft Selbstverletzungen, ich bin nahezu explodiert, habe mit der Faust gegen die Wand gehauen, bis die Hand blutete. Einmal bin ich betrunken in eine Personenkontrolle geraten und ausgeflippt. Sechs Bundespolizisten haben sich auf mich gestürzt, haben versucht mich, festzuhalten. Die Folge war eine Anzeige wegen Körperverletzung.

Wenn das Telefon klingelt, bekomme ich oft Panik, dass es die Polizei ist. Einmal hat sie ihn aus dem Zug geholt. Sie haben ihn in eine Ausnüchterungszelle gesteckt und wollten, dass ich ihn abhole. Damals machte ich den ersten Versuch eines Befreiungsschlags. Nein, das ist jetzt Ihr Problem, habe ich zu den Beamten gesagt. Auch wenn ich nach Hause komme, überkommt mich manchmal Paranoia. Dann lausche ich an der Wohnungstür: Ist der Fernseher zu laut? Das ist ein Zeichen. Manchmal liegt er dann in merkwürdigen Positionen auf dem Boden. Je nachdem, wie viel es war, kann er nicht mehr sprechen.

Vor fünf Jahren war ich dem Tod nahe. Wäre meine Freundin nicht da gewesen, wäre ich wohl an multiplem Organversagen gestorben.

Einmal, als ich ihn auf dem Boden gefunden habe, wurde ich wütend, bin in mein Zimmer gegangen und dachte: Jetzt lasse ich ihn dort seinen Rausch ausschlafen. Nach zwei Stunden habe ich nach ihm geguckt. Er lag inzwischen bewusstlos vor der Toilette, Speichel lief ihm aus dem Mund und ich wusste nicht, was ich tun soll. Den Notarzt anrufen wegen eines Besoffenen? Mir war bis dahin nicht klar, dass Alkohol tödlich sein kann. Erst der ärztliche Bereitschaftsdienst, dem ich die Situation geschildert habe, hat mir klar gemacht: Das ist ein Notfall. Als der Krankenwagen kam, hat er schon nicht mehr geatmet. Sie haben ihn wiederbelebt und mitgenommen. Als er weg war, war ich erleichtert. Jetzt kümmert sich endlich mal jemand anders, jetzt kann ich mal durchatmen, habe ich gedacht. Aber schon am nächsten Tag rief das Krankenhaus an: Sie können ihn abholen, er ist wieder einsatzbereit. Als er wieder zu Hause war, hat er weitergetrunken. Am nächsten Abend war er wieder so voll. Da habe ich endlich eingesehen, dass es eine Krankheit ist. Fast 15 Jahre habe ich dafür gebraucht. Das Begreifen war das Schwierigste. Begreifen, dass ich keinen Einfluss, keine Macht habe. Dass ich nichts machen kann.

Alkoholiker trinken Schuldgefühle weg, verdrängen Schamgefühle. Ich bin immer wieder rückfällig geworden. Dann verschlafe ich, vergesse Termine, vereinsame, verliere die Kontrolle. Irgendwann habe ich nicht mal mehr Geld für die Miete. Zum Glück gibt es meine Freundin.

Manchmal kreisen meine Gedanken nur um ihn. Unheimlich schwer ist es, wenn ich auf ihn warte. Dann sitze ich oft stundenlang da und starre die Wand an, vergesse zu essen, mich um mich selbst zu kümmern. Das ist meine Sucht.

Wichtig ist, erst einmal ehrlich zu sich selbst zu sein. Der Moment, in dem ich mich selbst als Alkoholiker bezeichnen konnte, war eine Befreiung. Ich musste mich nicht mehr verstecken und konnte sagen: Ich bin krank.

Er ist krank und ich bin krank. Früher war ich kein gereizter Mensch. Jetzt schlägt sich seine Nervosität auf mein Leben nieder. Manchmal habe ich aus dem Nichts Panikanfälle. Ich muss immer darauf achten, dass ich stabil bin. Wenn Alkoholiker psychisch ins Wackeln kommen, greifen sie zur Flasche. Bei mir gibt es Parallelen. Ich fange dann an zu kontrollieren - nicht nur den Alkoholiker, sondern mein ganzes Umfeld. Jeden. Die Kollegin, die Freundin. Die hat noch nicht angerufen, warum hat die noch nicht angerufen, frage ich mich plötzlich und schreie jemanden an. Die Angst verselbstständigt sich, die Wut auch.

Zuerst habe ich versucht, mit ärztlicher Hilfe trocken zu werden. Mit Antabus, das Medikament macht Alkohol unverträglich. Wenn ich getrunken habe, wurde es mir speiübel, ich war den ganzen Tag am Kotzen. Langfristig geholfen hat es nicht, dafür war mein Wille zu schwach und die Sucht zu stark. Der körperliche Entzug dauert nur etwa drei Tage. Da bin ich zittrig, schweißgebadet, fühle mich hundeelend. Es ist der Prozess der Entgiftung, in dem der Körper sich allmählich wieder einpendelt. In dieser Phase der Nüchternheit bin ich am labilsten. Dann sagt irgendwas in mir: Ach komm, ein Glas in drei Tagen, das muss doch gehen. Nur bei mir funktioniert das kontrollierte Trinken nicht. Nach zwei Wochen sind es zwei Gläser Wein zum Essen, dazu ein Schnäpschen. Und schon bin ich wieder dabei.

"Abhängig sind wir beide"

Einmal hat er nach einem Rückfall gesagt: Ich trinke wieder, aber nicht mehr so süchtig. Da wusste ich: Die Krankheit hat ihn wieder voll im Griff. Ein Alkoholiker ist wie jemand, der über eine befahrene Straße rennt. Dann kommt er ins Krankenhaus und wird wieder zusammengeflickt. Und kaum ist er raus aus dem Krankenhaus, rennt er wieder über die gleiche Straße und erwartet ein anderes Ergebnis. Abhängig sind wir beide: Der Alkoholiker hängt an der Flasche und ich am Alkoholiker. Mit einem Unterschied: Wenn er gerade nicht trinkt, ist die Sucht weg. Meine abhängigen Gedanken sind immer da, ich muss mir ständig sagen: nicht kontrollieren, nicht schauen, was er macht, nicht anrufen. Vertrau ihm!

Dass sie zu einer Selbsthilfegruppe gegangen ist, hat mich zum ersten Mal auf die Idee gebracht, zu den Anonymen Alkoholikern (AA) zu gehen. Ein Therapeut, auch wenn er noch so viel Erfahrung hat, wird nie verstehen, was ein Alkoholiker fühlt. Bei einer Selbsthilfegruppe ist das anders. Anfangs fand ich es furchtbar, die redeten von Gott. Aber Gott ist nur ein Begriff für etwas anderes. Ohne einen Glauben an irgendetwas, schafft man es nicht, sein Leben zu meistern - das ist die Idee. Als erstes musste ich vor Gott zugeben, dass ich Alkoholiker bin. Erst dadurch konnte ich den Dämon erkennen, von dem ich besessen bin.

Dass ich auch krank bin, weiß ich von Al-Anon, einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholikern. Ich erinnere mich noch an mein erstes Meeting: Wir sind dem Alkohol gegenüber machtlos und können unser Leben nicht meistern, haben die anderen gesagt. Häh, habe ich gedacht, mein Leben nicht meistern? Wer meistert denn hier alles? Aber dass das nicht mein Leben war, sondern seins, das musste ich erst verstehen. Ich bin dort hingegangen, weil ich wissen wollte, wie ich meinen Freund trocken bekomme. Das habe ich nicht erfahren, sondern wie ich ein glückliches Leben führen kann. Egal ob er trinkt oder nicht. Dieses glückliche Leben ist immer noch mein Ziel. Dass es ihm schlecht gehen kann, und mir okay. Nicht blendend, aber okay. Manchmal funktioniert das auch.

Irgendwann kam eine Phase, in der ich mich völlig aufgab. Der bestimmende Gedanke: Ich saufe mich jetzt tot! Zwei Flaschen Wodka am Tag. Ich hatte Glück, keinen Kreislaufzusammenbruch erlitten zu haben. Dabei hatte ich gar nicht bewusst das Ziel, Suizid zu begehen, sondern das Gefühl, jetzt so exzessiv zu leben, das es mich früher oder später umbringen wird.

Vor drei Jahren war er in der Eifel zum Arbeiten und ich in Berlin. Dort hat mich ein Anruf seiner Kollegen erreicht. Er lag betrunken und weggetreten im Hotelzimmer, aber ich habe es geschafft, ruhig zu bleiben. Holt den Krankenwagen, habe ich gesagt. Ich habe es geschafft, nicht alles abzubrechen und zu ihm zu fahren. Ich bin in Berlin geblieben. Loslassen nennen wir das in der Selbsthilfegruppe. Aber ich werde nie vergessen, wie ich am Bahnhof stand. Meine Sucht hat gesagt: Fahr zu ihm. Die Vernunft: Leb dein Leben. Und wenn er stirbt? Dann stirbt er eben, habe ich plötzlich gedacht. Dann ist das Schicksal. Das war mein persönlicher Wendepunkt, da habe ich begriffen: Ich kann ihn nicht retten, ich habe es lange genug versucht.

Natürlich habe ich schon darüber nachgedacht, ob sie ohne mich besser dran wäre. Ohne mein Trinken. Ob ich sie verlassen muss.

In schweren Phasen habe ich daran gedacht, zu gehen. Immer wieder. Getan habe ich es nie. Wir sind ein gutes Team. Bin ich aufgeregt, ist er ruhig, bin ich ängstlich, macht er mir Mut, bin ich traurig, tröstet er mich.

Wir haben beide Angst, dass der eine den anderen irgendwann verlassen muss. Die Selbsthilfegruppen haben sicher geholfen, dass wir noch zusammen sind. Sie haben geholfen, dass wir offen und ehrlich über die Krankheit sprechen und sie nicht mehr verdrängen. Dass wir versuchen, uns mit Verständnis zu begegnen. Dass wir Abstand nehmen, wenn es gerade nicht so toll läuft, ohne gleich die Liebe in Frage zu stellen. Diese Offenheit hilft uns, unsere Beziehung aufrecht zu erhalten, trotz der Krankheit.

Die Basis unserer Beziehung ist Zusammengehörigkeit und Vertrauen. Trotz der Krankheit, vielleicht sogar wegen ihr. Ich versuche den Menschen von der Krankheit zu trennen und mir bewusst zu werden, wofür ich verantwortlich bin und wofür nicht. Bei aller Liebe versuche ich Grenzen zu setzen, auch mal auf Abstand zu gehen.

"Ein für immer gibt es nicht"

Ich bin jetzt seit vier Jahren trocken, hatte aber einige Rückfälle. Zwei davon waren schwer, sie dauerten jeweils mehr als zwei Wochen und paarten sich mit Hoffnungslosigkeit und Melancholie. Plus vier leichtere Rückfälle, bei denen ich nur einen Tag trank und die Gefahr erkannte.

Das Schwierigste ist, mit dem Auf und Ab zu leben. Es ist wie Achterbahn fahren. Aber mittlerweile mache ich nicht mehr jede Fahrt mit. Vorher habe ich Teller geschmissen. Durch die Selbsthilfegruppe habe ich meinen Notfallplan, wenn er trinkt. Jetzt sage ich mir: Ruhig bleiben, durchatmen, ruf jemanden an, mach etwas Schönes. Dass andere das Gleiche durchmachen, beruhigt mich: Andere lieben auch Menschen, die süchtig sind, die krank sind, die Depressionen haben oder andere chronische, nicht heilbare Krankheiten.

Man sieht die Flasche, spürt Druck sie zu leeren und wird dann von den Anonymen Alkoholikern aufgefangen. Sie nehmen mich jederzeit wieder auf, egal, wie tief ich gefallen bin. Ohne Beurteilungen, Anträge und komplizierte Bürokratie.

Gerade hat er eine längere Trockenphase, aber er eiert herum, irgendwann kommt der Alkohol immer zurück. Die Selbsthilfegruppe hat mir geholfen zu verstehen, dass das keine Schwäche ist. Keine böse Absicht. Dass es nichts mit mir und meinem Verhalten zu tun hat. Alkoholismus ist wie eine chronische Erkrankung. Sie kommt, sie geht, sie kann zum Stillstand gebracht werden. Diese Hoffnung habe ich. Dass sie zumindest für lange Zeit zum Stillstand kommt. Ein für immer gibt es nicht.

Inzwischen gibt es Tage, an denen ich keinen Gedanken mehr an das Trinken verschwende. Das sind die guten Tage und ich beginne wieder zu verstehen, wie schön das Leben ohne Alkohol ist. Ganz aufhören, daran zu denken, schaffe ich in meinem Leben aber wohl nicht mehr.

Jeder Tag, an dem er trocken ist, ist ein guter Tag. Es gibt die hellen Tage und es gibt die dunklen Tage. Und die hellen überwiegen mittlerweile. Das reicht mir. Ich kann nicht sagen, ob wir für immer zusammen bleiben. Anfangs konnte ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen, inzwischen kann ich das. Ich muss es, auch weil die Krankheit tödlich ist. Ich habe gelernt, das zu akzeptieren und mein Leben zu leben. Mit ihm. Ohne ihn.

Die Gesprächspartnerin ist 49 und leitet ein kleines Unternehmen, ihr Partner ist freischaffend und 51 Jahre alt. Gemeinsam leben sie in München und möchten anonym bleiben.

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