FDP-Politiker Gerhart Baum:"Bei Widerspruch fiel die Selbstgefälligkeit von Schmidt ab"

FDP-Politiker Gerhart Baum: Der Kanzler und sein Innenminister: Helmut Schmidt und Gerhart Baum im Jahr 1978

Der Kanzler und sein Innenminister: Helmut Schmidt und Gerhart Baum im Jahr 1978

(Foto: imago stock&people)

Wie regierte es sich mit Helmut Schmidt? Ex-Innenminister Gerhart Baum erinnert sich im SZ-Gespräch an einen Kanzler, der loyal, kompetent und streitlustig war.

Interview von Oliver Das Gupta

SZ: Herr Baum, Sie regierten über Jahre gemeinsam mit Helmut Schmidt. Hat er seine Sache als Kanzler gut gemacht?

Gerhart Baum: Ja, er war ein guter Kanzler, er hat das Land gut regiert. Das ist ja nicht wenig. Er hatte nicht das Charisma von Willy Brandt. Aber er war der richtige Mann nach der Aufbruchsphase unter Brandt. Er war ein Kanzler, der in der Lage war, nüchtern zu analysieren und pragmatisch Probleme zu lösen.

SZ: Wie hat er sich als Primus der Regierung am Kabinettstisch verhalten?

Baum: Primus ja, aber Chef war er nicht. Sondern unser Koalitionspartner. Er strahlte eine starke Kompetenz aus. Er war der geborene Krisenmanager. Und er liebte den Diskurs.

SZ: Also kein arroganter Besserwisser?

Baum: Doch, das konnte er schon auch sein. Er war sehr von sich überzeugt. Aber er akzeptierte den Widerspruch. Im Kabinett haben wir mitunter sehr kontrovers diskutiert. Wir haben nicht nur Vorlagen abgehakt.

SZ: Haben Sie ein Beispiel?

Baum: Ich erinnere mich an eine lebhafte Debatte im Kabinett im Frühjahr 1980. Da ging es um die Frage: Sind wir ein Einwanderungsland?

SZ: Ein ziemlich aktuelles Thema. Wie waren die Positionen?

Baum: Ich war der Meinung, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Schmidt unterbrach mich und fuhr mich an: "Wie können Sie das behaupten?" Ich habe voller Zorn gegengehalten. Man musste ihm widersprechen, dann fiel die Selbstgefälligkeit von ihm ab, dann diskutierte man.

SZ: Wie ging der Streit aus?

Baum: Die Gegensätze sind stehen geblieben. Hans-Dietrich Genscher hat mir dann noch assistiert. Schmidt wusste, dass der Streit um den besseren Weg unverzichtbar ist, wenn man ein möglichst gutes Ergebnis erreichen wollte.

SZ: Schmidt vertrat gegen die RAF eine harte Linie - zu hart nach Ansicht des Liberalen Baum?

Baum: Da war einiges überzogen. Aber während der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer hat er sich richtig verhalten. Das war ein ganz schwerer, ein schrecklicher Gang für ihn.

SZ: Das war 1977. Sie wurden im Folgejahr Bundesinnenminister.

Baum: Danach haben wir mit den Reparaturarbeiten am Rechtsstaat begonnen. Wir haben etwa den Radikalenerlass abgeschafft und überzogene Fahndungsmethoden revidiert, die unbeteiligte Bürger betroffen haben. Wir sind aus einer zum Teil hysterischen Überreaktion zur nüchternen Krisenbewältigung zurückgekehrt. Und das war mit Helmut Schmidt auch möglich.

SZ: Wir war das Verhältnis zwischen Kanzler und Innenminister?

Baum: Schmidt sagte immer mal wieder: "Der Baum ist mir zu liberal." Aber mit ihm konnte man trotzdem gut regieren. Wir haben die Dinge auch stets vorher abgestimmt, nicht wie jetzt bei diesem Chaos-Wochenende in der Flüchtlingskrise.

SZ: Wie sah so eine Abstimmung aus?

Baum: Das lief meistens unter vier Augen ab, manchmal ein, zwei Stunden lang. Der Mann hörte zu. Und was besprochen war, das galt. Schmidt war loyal und verlässlich. Er ist mir nie in den Rücken gefallen.

SZ: Wo gab es Dissens zwischen Schmidt und Ihnen?

Baum: Meinen Einsatz für den Umweltschutz hielt er für übertrieben. Überhaupt sah er die Reformkräfte der jungen Generation mit Skepsis. Kritisiert habe ich auch, dass er die Menschenrechtspolitik nicht als unverzichtbaren Teil der Außenpolitik sah. In diesem Punkt hat er später Angela Merkel zu Unrecht getadelt, als sie in China Menschenrechtsverletzungen angesprochen hatte.

SZ: Schmidts Denke lautete: Hauptsache Stabilität erreichen, um Krieg zu vermeiden.

Baum: Dauerhafter Frieden ist aber ohne Menschenrechte nicht vorstellbar.

SZ: Was war denn an Schmidt liberal?

Baum: Vor allem seine global orientierte Wirtschaftspolitik. Er sprach als Erster vom Raubtierkapitalismus und beförderte die Einigung Europas.

SZ: 1982 endete Schmidts Kanzlerschaft, weil die FDP die Seiten gewechselt hatte und zur Union übergelaufen war.

Baum: Ja, das war bitter. Mit Schmidt hätte ich gerne noch weiter regiert. Ich habe ihm als einziger FDP-Minister ja das Vertrauen ausgesprochen.

SZ: Schmidt verband seine politische Zukunft mit einem Thema: dem Nato-Doppelbeschluss.

Baum: Das erleben wir ja gerade erneut bei Merkel und den Flüchtlingen. So etwas nötigt mir Respekt ab, wenn jemand sein politisches Schicksal mit einer Sache verbindet.

SZ: Gibt es - abgesehen vom Geburtsort Hamburg - noch weitere Parallelen zwischen Merkel und Schmidt?

Baum: Beide sind Macher, keine Visionäre. Aber man sollte ihn nicht zu viel mit anderen Kanzlern vergleichen. Es war ein Glücksfall, dass sich Schmidt nach dem Ausscheiden aus seinem Amt mit hoher moralischer Autorität eingemischt hat. Sein Wirken außer Dienst war beinahe so wichtig wie seine Amtszeit. Da kam ja bis zuletzt noch sehr viel nach an klugen Gedanken. Das war ja nicht bei allen Altkanzlern der Fall.

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