US-Demokrat Bernie Sanders:Warum die Jugend den "demokratischen Sozialisten" verehrt

US-Demokrat Bernie Sanders: Bernie Sanders bei einem Auftritt in Nevada.

Bernie Sanders bei einem Auftritt in Nevada.

(Foto: AP)

Bernie Sanders kämpft für höhere Löhne, Klimaschutz und kostenlose Unis. Seine Gegner sind die Banken und Hillary Clinton. Seine Fans haben vor allem eines: Leidenschaft.

Von Matthias Kolb, Des Moines/Iowa

Bernie Sanders verspricht nichts Geringeres als eine politische Revolution. Wenn der 74-Jährige eine Bühne betritt, dann dröhnt aus den Lautsprechern Steve Earles Protest-Song "The Revolution starts now". Seine Anhänger schwenken Schilder, auf denen "The Revolution starts here" steht, und rufen abwechselnd "Bernie, Bernie!" und "You can't buy us, you can't buy us!".

Bei seinen Auftritten wird Sanders dafür gefeiert, wenn er betont, dass er nicht käuflich sei und sich nicht den Regeln des "korrupten Polit-Betriebs" unterwerfe. Als einziger Kandidat wird er von keinem "Super Pac"-Wahlverein unterstützt, in das anonyme Spender Millionen einzahlen, um Werbung zu finanzieren oder die Rivalen des jeweiligen Bewerbers zu attackieren. Auch in Interviews spricht Sanders ständig über dieses Thema, um sich klar von Hillary Clinton abzusetzen, die vor der zweiten TV-Debatte am Samstag 19 Punkte Vorsprung auf den unabhängigen Senator aus Vermont hat.

Diese Zahlen lassen sich auf zwei Arten interpretieren: Aus konventioneller Sicht ist der siebenfache Großvater chancenlos. Andererseits schien es noch vor einem halben Jahr unvorstellbar, dass der "demokratische Sozialist" in Umfragen mehr als 30 Prozent erreicht und bis zu 25 000 Besucher zu seinen Veranstaltungen kommen. Gerade in Iowa, wo die ersten Vorwahlen stattfinden, ist die Begeisterung ungebrochen: Rockstars treten kostenlos bei #RocktheBern-Events auf. Und auch die Fans brennen für Bernie, wie es der Kampagnen-Slogan "Feel the Bern" andeutet.

Unbeirrt progressiv - seit Jahrzehnten

"Wir werden hier am 1. Februar gewinnen, weil alle jungen Leute für Bernie stimmen", ruft die 23-jährige Michelle Thompson. Sie wirbt seit Wochen für Sanders, weil sich dieser für einen Mindestlohn von 15 Dollar sowie equal pay einsetzt - Frauen sollen den gleichen Lohn für gleiche Arbeit kriegen. Den Studenten Michael McCulloch beeindruckt, dass Sanders "seit Jahren" vor den Folgen der Erderwärmung warnt. Sein Freund Jonathan Wilder sagt: "Wenn ich Bernie zuhöre, dann spüre ich, dass es ihm ernst ist."

Ein Wort - consistency - nennen alle: Beständigkeit. Mit leuchtenden Augen berichten sie, dass ihr Kandidat 2010 mehr als acht Stunden lang im Senat am Rednerpult stand, um gegen Steuersenkungen für Reiche zu protestieren. Die als Buch veröffentlichte Dauerrede sehen die Sanders-Fans als Beleg für dessen Glaubwürdigkeit. Ähnliche Begeisterung löste zuletzt Ron Paul aus, der 2012 Präsident werden wollte - der libertäre Republikaner wurde verehrt, weil er seit den Achtzigern die Zentralbank Fed abschaffen und US-Soldaten aus dem Ausland zurückholen wollte (mehr in dieser SZ.de-Reportage).

Für Michelle, Jonathan und Michael ist Hillary Clinton zunächst keine Alternative: "Sie plappert nur linke Positionen nach, weil sie sieht, wie Bernie bejubelt wird." Und auch der Kandidat zeigt, dass er nicht kampflos aufgibt. Auf die Frage eines Journalisten, ob er bereit sei, "in ein paar republikanische Hintern zu treten", entgegnete Sanders kürzlich: "Zunächst müssen wir uns noch um andere Hintern kümmern." Damit war natürlich die Demokratin gemeint, über die er in einem Gespräch mit dem Boston Globe sagte: "Ich vertrete bei fast allen Themen eine andere Meinung als Hillary Clinton."

In Sanders' Augen ist Clinton eine Opportunistin

Der Senator aus Vermont, der erst Anfang November den Demokraten beitrat, folgt damit einer Taktik, die sich bereits Ende Oktober beim wichtigen Parteievent "J J Dinner" abzeichnete. Damals betonte er in seiner umjubelten Rede, dass er sich nie gescheut habe, "unbequeme Positionen" zu vertreten. Er habe schon in den Neunzigern für die Rechte von Homosexuellen gestimmt, während Präsident Clinton aus parteitaktischen Gründen den "Defence of Marriage Act" unterschrieben habe, der die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau definiert.

Im Gegensatz zur New Yorker Senatorin Hillary Clinton habe er 2002 gegen den Irakkrieg votiert und auch die "desaströsen Folgen" des 1994 beschlossenen Nafta-Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada für US-Arbeiter vorhergesehen. Auch den TPP-Deal - den Clinton als Außenministerin noch zum "Goldstandard" erhob, jetzt aber ablehnt - hat Sanders von Beginn an bekämpft. In seinen Augen ist Clinton eine Opportunistin und deshalb ruft er: "Ich werde getreu meinen Prinzipien regieren und nicht nach den Umfrageergebnissen."

Sanders' Argument: Auch Obama galt mal als unwählbar

Diesen Satz verwendete Barack Obama fast wortgleich acht Jahre zuvor. Sanders' Verhältnis zum US-Präsidenten ist zwiespältig: Einerseits hat Obama Gesetze beschlossen, von denen die von Sanders so heftig kritisierten Banken und Top-Verdiener profitieren - und viele seiner Fans sind vom einstigen Hoffnungsträger enttäuscht. Andererseits soll Obamas Vorbild die Skeptiker überzeugen: "Vor acht Jahren gab es einen Kandidaten, den die Experten für unwählbar hielten. Heute sitzt er im Weißen Haus."

Das Iowa-Hauptquartier von "Bernie 2016" ist ein Bürokomplex am Rande einer Shopping Mall in Des Moines. Mit den vielen Kleinspenden (im Schnitt 30 Dollar), die Sanders bekommt, wurde eine beeindruckende Infrastruktur aufgebaut: 74 bezahlte Mitarbeiter sind in Iowa unterwegs. Sie weisen auch den Hunderten Freiwilligen ihre Aufgaben zu. Mit Simon aus London und Leon aus Paris sind auch zwei junge Europäer unter den Bernie-Enthusiasten.

Andrew Long gibt an diesem Abend Daten von Sympathisanten in ein Computer-Programm ein, damit andere volunteers diese vor den Vorwahlen kontaktieren können. Der 37-Jährige ist Sanders-Fan, weil sich der weißhaarige Senator für den Schutz der Privatsphäre einsetzt und nach 9/11 gegen den Patriot Act gestimmt hat. Sanders' Vorschlag einer "kostenlosen Uni-Ausbildung für alle" begeistert eine andere Freiwillige: "Ich weiß nicht, wie wir unserem Sohn sonst das College finanzieren sollen."

Sanders will auch in Infrastruktur und erneuerbare Energien investieren, doch detailliert hat er nicht erklärt, wie er dies finanzieren möchte. Er spricht vor allem davon, dass durch höhere Steuern für die Superreichen der "Top ein Prozent" genug Geld in die Kassen kommen wird. Seine Anhänger stört dies ebenso wenig wie die Tatsache, dass der 74-Jährige vehement gegen Establishment-Politiker wettert, aber zugleich selbst seit Jahrzehnten in der Politik ist.

Probleme mit schwarzen Wählern und Latinos

Seine Karriere im Schnelldurchlauf: Erst amtierte er als Bürgermeister in der Stadt Burlington, danach vertrat er Vermont als Abgeordneter und seit 2007 als US-Senator. Stets wurde er als unabhängiger Kandidat gewählt. In seinem neuen Werbespot beschreibt Sanders sein Leben als permanenten Kampf gegen das "korrupte politische System" - und konnte als Erzähler den Schauspieler Reg E. Cathey gewinnen, der zuletzt den Barbecue-Koch Freddy in "House of Cards" spielte.

Sanders' Team konzentriert sich auf Iowa und New Hampshire, wo die zweite Vorwahl abgehalten wird: Wenn er in keinem dieser Staaten einen Überraschungssieg erzielt, wird es schwer. Denn bisher hat es der 74-Jährige nicht geschafft, viel Unterstützung unter Afroamerikanern sowie Latinos zu gewinnen. Diese Gruppen sympathisieren mit Hillary Clinton - und stellen einen großen Teil der Wähler in South Carolina und Nevada, wo Mitte Februar abgestimmt wird.

Dass sich der oft griesgrämig wirkende Sanders den üblichen Ritualen des US-Wahlkampfs ("Ich küsse keine Babys") entzieht, macht ihn in den Augen seiner Anhänger noch authentischer. Sie lieben auch jene Sketche bei Saturday Night Live, in denen der Comedian Larry David (Seinfeld, Curb your Enthusiasm) einen zerstreuten und schlecht gelaunten Bernie Sanders verkörpert.

Eine Sache will Bernie Sanders aber noch vor Weihnachten klären: die Sache mit dem "S"-Wort. Viele Amerikaner setzen "Sozialismus" noch immer mit Kommunismus gleich, während Sanders' Ideen eigentlich nichts anderes sind als traditionelle sozialdemokratische Überzeugungen. Nachdem er in der ersten Debatte das in den USA völlig unbekannte Dänemark als Vergleichsrahmen gewählt hatte und damit nur wenige Leute überzeugt oder gar bekehrt haben dürfte, plant er nun eine große Rede, in der den Amerikanern erklären will, was er mit "demokratischem Sozialismus" meint.

Die mehr als acht Stunden lange Dauer-Rede von Bernie Sanders gegen die Steuersenkungen für Reiche Ende 2010 wurde nicht nur als Buch veröffentlicht worden, sondern auch bei Youtube verfügbar:

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