Safety Check:Facebook aktiviert Sicherheits-Feature nach Anschlägen - und kriegt Ärger

Frankreich - Deutschland

Ein Zuschauer prüft die Nachrichtenlage auf seinem Handy.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Nach einer Naturkatastrophe ist der direkteste Weg, Freunden und Verwandten zu versichern, dass es einem gut geht, oft ein soziales Netzwerk.
  • Facebook hat die für Naturkatastrophen eingeführte Funktion des "Safety Check" (Sicherheitsabfrage) jetzt erstmals nach einem Terroanschlag freigeschaltet. Das ruft auch Kritik hervor.
  • Auf Twitter starteten Menschen unter Hashtags wie #RechercheParis oder #RechercheBataclan ihre Suche.

Von Angela Gruber und Hakan Tanriverdi

"In Sicherheit": Diese Information schickte Stephanie Schulze noch in der Nacht der Pariser Anschläge über Facebooks Funktion "Safety Check" an Freunde und Bekannte. Die 26-jährige Deutsche war zum Glück nicht in der Stadt, doch ihre Freunde hatten Angst um sie. Schulze wohnt so nahe am Restaurant Le Petit Cambodge, einem der Anschlagsorte, dass sie sagt: "Wäre ich zuhause gewesen, hätte ich die Schüsse wahrscheinlich hören können."

Laurie, eine 26-jährige Französin, war gerade im Bus durch Paris unterwegs, als ihr Smartphone nicht mehr aufhörte zu klingeln. Besorgte Freunde und Verwandte wollten wissen, wo sie sei. Um etwa ein Uhr nachts meldete auch sie sich über die Facebook-Abfrage als "sicher".

"Safety Check" ist eine halbautomatisierte Möglichkeit, ein Lebenszeichen aus Krisengebieten an besorgte Bekannte zu senden. Facebook erkennt den im Profil angegebenen Wohnort, aber auch den letzten Aufenthaltsort, von dem aus sich Nutzer eingeloggt haben. Die App fragt diese Nutzer dann, ob sie im Gefahrengebiet und außerdem ob sie in Sicherheit sind. Bejahen sie letzteres, wird Freunden im Netzwerk die Statusmeldung "sicher" angezeigt.

Dass Facebook-Nutzer wie Laurie oder Stephanie Schulze in der Nacht der Anschläge den Safety Check benutzen konnten, ist ein Novum. Facebook hat die Funktion bisher nur bei Naturkatastrophen aktiviert. Das Unternehmen machte sie nun aber noch in der Nacht der Anschläge für Nutzer verfügbar, von denen sein Algorithmus annahm, dass sie sich in Paris aufhielten. Ein Video zeigt, wie es funktioniert:

Screenshot Angela

So sieht Safety Check aus.

(Foto: Angela Gruber)

Die Anschläge in Paris waren der erste Fall, bei dem das Feature für eine menschengemachte Notfallsituation freigeschaltet wurde - ein "human disaster", wie Zuckerberg schreibt. Mit dieser Entscheidung begibt sich Facebook in eine moralische Grauzone. Denn jetzt stellt sich die Frage: Für welches Ereignis wird das Feature freigeschaltet und welcher Anschlag ist noch nicht schlimm genug, um den Betroffenen die Funktion bereitzustellen? Steht dem Unternehmen eine Bewertung von Massakern zu? Und: Misst das Unternehmen Menschenleben mit zweierlei Maß?

Facebook will den Safety Check künftig öfter einsetzen

Arabische Blogger bemängelten nach den Pariser Anschlägen eine Doppelmoral Facebooks. Das Netzwerk habe den Safety Check zwar für Paris aktiviert, beim jüngsten Bombenanschlag in Beirut aber nicht gehandelt. So schrieb der 26-jährige Beiruter Arzt Elie Fares in einem tausendfach geteilten Blogeintrag, dass Terroropfer in arabischen Ländern ignoriert würden, und ging explizit auch auf Facebook ein. "Nicht einmal Facebook hielt es für nötig, dass meine Leute sich als 'sicher' markieren konnten", schreibt Fares in seinem Text, den wir mit seiner Erlaubnis auf Deutsch übersetzt und veröffentlicht haben.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg reagierte in einem Facebook-Kommentar auf die Kritik. Er versprach, den Safety Check künftig öfter einzusetzen. "Viele Menschen haben berechtigterweise gefragt, wieso wir den Safety Check für Paris eingeschaltet haben, aber nicht für die Bombenanschläge in Beirut und an anderen Orten. Bis gestern war es unsere Linie, den Safety Check nur bei Naturkatastrophen zu aktivieren. Wir haben das gerade eben geändert und planen künftig, den Safety Check öfter bei von Menschen verursachten Katastrophen zu verwenden."

Zuckerberg verwies außerdem auf einen gesonderten Post, in dem Facebook über Hintergründe für seine Entscheidung spricht. "Es muss immer ein erstes Mal geben, um etwas Neues auszuprobieren, sogar in komplexen und heiklen Zeiten. Für uns war dieser Moment Paris", heißt es dort. Bei Naturkatastrophen entscheide man abhängig von Größenordnung und Auswirkungen, ob der Safety Check aktiviert werde oder nicht. Andere Krisen wie Kriege oder Epidemien hätten keinen klaren Start- und Endpunkt, der Safety Check sei dort weniger hilfreich.

Das Feature macht es auch möglich, Facebook-Freunde als "in Sicherheit" zu markieren. Unter einem Link können sich Nutzer außerdem eine Überblicksseite für ihren Freundeskreis anzeigen lassen. Die Funktion ist besonders dann hilfreich, wenn das Mobilfunknetz zusammenbricht, aber Wlan noch verfügbar ist. Um Verletzte oder gar Tote zu suchen, taugt die für Paris mittlerweile wieder deaktivierte Funktion aber nicht, außerdem wird eine Facebook-Mitgliedschaft vorausgesetzt.

Die Idee für den Safety Check kam nach dem Tsunami in Japan 2011 auf. Für Naturkatastrophen wurde das Feature 2015 bereits fünf Mal aktiviert. Es kam nach dem Erdbeben in Nepal im April zum Einsatz, genauso wie bei Erdbeben in Afghanistan und Chile. Auch der Wirbelsturm "Pam" über dem Südpazifik und der Taifun "Ruby" auf den Philippinen waren Anlässe für den Sicherheitscheck.

Auf Twitter werden Suchaufrufe hundertfach geteilt

Facebook war nicht das einzige Netzwerk, das nach den Anschlägen zur wichtigen Plattform für Betroffene auf der Suche nach Informationen wurde: Auch auf Twitter suchten Nutzer mit Bildern und Namen nach ihren Freunden und Verwandten, von denen sie seit Freitag nichts gehört haben. Unter dem Hashtag #RechercheParis und #RechercheBataclan werden auch 48 Stunden nach den Attentaten noch Dutzende Fotos von vermissten Personen gepostet.

Andere Nutzer teilen diese Bilder hundertfach. Dadurch erfährt eine breite Öffentlichkeit, dass jemand vermisst wird. Und kann eventuell helfen, die Person zu finden - oder die traurige Botschaft überbringen, dass eine Freund, Verwandter und geliebter Mensch nicht mehr lebt.

Wie im Fall von Marie. Eine Freundin teilte ihr Foto. Fast 1000 Menschen verbreiteten es weiter. Die traurige Nachricht kam einen Tag später: Marie ist bei dem Terrorangriff gestorben. "Ruhe in Frieden. Mein Beileid gilt der Familie", schrieb ihre Freundin.

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