Zuwanderung:Migranten helfen ihren Verwandten - und deutschen Kassen

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Warten auf die Registrierung: Menschen in einem Flüchtlingscamp in Preševo ganz im Süden Serbiens an der Grenze zu Mazedonien. (Foto: Djorde Savic/dpa)
  • Arbeitende Migranten können durch ihre Beiträge die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen erheblich stabilisieren.
  • Auch die Situation Verwandter in den Heimatländern kann sich einer Studie zufolge durch die Erwerbstätigkeit der Zuwanderer verbessern.

Analyse von Claus Hulverscheidt, New York

Die Koalition wankt, Behörden kapitulieren, die Menschen sorgen sich: Selten hat ein Ereignis die Deutschen vor so gewaltige Herausforderungen gestellt wie der seit Wochen anhaltende Zuzug von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. Was dabei im allgemeinen Chaos und Gerede untergeht, ist die Frage, welche langfristigen ökonomischen Folgen Migration hat. Eine Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt nun: Wird Zuwanderung richtig gemanagt, können neben den Betroffenen auch die Ziel- und die Herkunftsländer der Menschen von ihr profitieren.

Seit 1960 hat sich die Zahl der Migranten weltweit verdreifacht. Im Jahr 2013 lebten gut 230 Millionen Menschen in einem anderen als ihrem Heimatland. Das entspricht etwa drei Prozent der Weltbevölkerung. Die meisten Menschen wandern aus, weil sie sich im Zielland höhere Löhne, mehr Teilhabe und bessere wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten erhoffen. Der Anteil der Kriegs- und Notstandsflüchtlinge an der Gesamtzahl der Migranten ist dagegen im langjährigen Durchschnitt mit gerade einmal fünf Prozent gering. Allerdings schwankt ihre Zahl sehr stark, wie die jüngste Entwicklung zeigt.

Kinder und Senioren sind selten- die meisten Migranten sind arbeitsfähig

In seinem Zielland verursacht ein Migrant oft erst einmal Kosten: Der Neuankömmling benötigt eine Wohnung und etwas zu essen, er hat womöglich seine Familie mitgebracht und Anspruch auf Sozialleistungen. Hinzu kommen Kurse für Sprache, Eingewöhnung und Umschulungen. Besonders hoch sind die Aufwendungen für den Staat, wenn es sich um Menschen handelt, die ihr Land wegen eines Krieges oder einer Naturkatastrophe überstürzt, ohne ausreichende Vorplanung und mit nur wenig Geld verlassen mussten.

Die Perspektive ändert sich in dem Moment grundlegend, in dem ein Migrant im Zielland eine bezahlte Arbeit aufnimmt - und zwar nicht nur für ihn selbst, sondern auch für alle anderen Beteiligten.

Rund 80 Prozent aller Migranten weltweit sind zwischen 15 und 64 Jahre alt und damit prinzipiell arbeitsfähig, Kinder und Senioren sind deutlich unterrepräsentiert. Meist kommen die Auswanderer aus Ländern mit einer vergleichsweise jungen Bevölkerung, in denen es für die Vielzahl an Menschen schlicht zu wenige Arbeitsplätze gibt. Entsprechend hoch ist die strukturelle Erwerbslosigkeit. In den Zielländern ist die Situation oft genau umgekehrt: Die Bevölkerungen sind überaltert, es mangelt an jungen, gut ausgebildeten Fachkräften.

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Gelingt es, die Zuwanderer rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, können sie in genau diese Lücke stoßen und einen signifikanten Beitrag zum Abbau des Fachkräftemangels sowie zur Linderung demografischer Probleme leisten. Nicht nur der Migrant profitiert finanziell, sondern auch sein Gast- oder neues Heimatland: So zahlen Zuwanderer etwa in Deutschland nicht nur Steuern, sondern auch Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Sie stabilisieren damit just jene Bereiche des Sozialstaats, die am meisten mit der immer größer werdenden Lücke zwischen Einzahlern und Anspruchsberechtigten zu kämpfen haben.

"Brain drain" in Herkunftsländern

Die Sorge vieler Menschen in den aufnehmenden Ländern, dass Immigration das Lohnniveau drückt, halten die IWF-Experten insgesamt für unbegründet. Zwar seien negative Auswirkungen in einigen wenigen, durch besonders einfache Arbeiten gekennzeichneten Wirtschaftsbereichen nicht ausgeschlossen. Für einen allgemeinen Lohnverfall gebe es aber in der Vergangenheit keine Belege. Im Gegenteil: Gesamtwirtschaftlich gesehen erhöht eine gut gemanagte Zuwanderung die Beschäftigungsquote, was wiederum den Konsum und das Wachstumspotenzial steigert.

Umgekehrt kann Migration auch einen positiven Effekt auf die Länder haben, in denen die Menschen ursprünglich zu Hause waren. Zwar führt Auswanderung zu Steuerausfällen und zu einem volkswirtschaftlich schädlichen Verlust an Wissen, im Englischen "brain drain" genannt. Zugleich sinkt jedoch der Druck auf die Arbeitsmärkte der Herkunftsländer und damit auf die Löhne derer, die zurückbleiben.

Verwandte profitieren von Überweisungen der Auswanderer

Hinzu kommt, dass Auswanderer oft einen erheblichen Teil ihres deutlich höheren Verdiensts im Ausland an Verwandte in der alten Heimat überweisen. Für die Empfänger bedeuten die Zahlungen meist eine erhebliche Verbesserung ihrer persönlichen Situation, zugleich steigen, gesamtwirtschaftlich gesehen, die Konsumbereitschaft, die Sparquote und die Kreditwürdigkeit der Bevölkerung. Es gibt sogar Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen den Zahlungen und der Zahl der Mädchen sehen, die eine Schule besuchen.

Allein 2014 summierten sich diese Überweisungen weltweit auf 436 Milliarden Dollar. Das war mehr als das Dreifache dessen, was die Industrieländer an Entwicklungshilfe für die Empfängerländer aufbrachten, und über die Hälfte der Summe an ausländischen Direktinvestitionen. In einer Reihe kleiner Staaten wie Tadschikistan, Nepal und Moldawien beliefen sich die Zahlungen ausgewanderter Bürger auf bis zu 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem, so der IWF, kann Migration auch den Handel zwischen der alten und der neuen Heimat von Auswanderern erhöhen.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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