SZ-Wirtschaftsgipfel:Faymann: "Flüchtlinge sind Opfer, nicht Täter"

SZ-Wirtschaftsgipfel: Eröffnungsredner beim SZ-Wirtschaftsgipfel im Berliner Hotel Adlon: Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann.

Eröffnungsredner beim SZ-Wirtschaftsgipfel im Berliner Hotel Adlon: Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann wendet sich auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel gegen die Ausgrenzung von Migranten und das Aussperren von Flüchtlingen.
  • Gerade nach dem Terror von Paris könne die Antwort "doch nur ein Zusammenrücken sein" und nicht ein "Wettbewerb um den höchsten Zaun".

Von Stephan Radomsky, Berlin

Ghettos als Nährboden des Terrorismus

Die Anschläge von Paris haben eine Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingen entfacht, die derzeit die EU erreichen. Einfache Antworten, vor allem solche, die eine Lösung der Probleme durch mehr Begrenzung, Abweisung und Trennung der Menschen rufen, seien aber falsch - und gefährlich, sagte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann zur Eröffnung des SZ-Wirtschaftsgipfels in Berlin. "Flüchtlinge sind Opfer, nicht Täter."

Sie zu kriminalisieren und zu ghettoisieren spiele Extremisten und Gewalttätern in die Hände. Diese könnten unter den Ausgegrenzten schnell und einfach neue Helfer und Anhänger rekrutieren. Solchen Menschenfängern den Nährboden zu entziehen, sei eine wichtige Aufgabe der Politik.

Lösungen nicht durch Nationalstaaten

"Die Gemeinschaft ist also gefordert, in vielerlei Hinsicht", sagte Faymann. Die Antwort auf Ereignisse wie die Terrorserie von Paris am vergangenen Freitag könne daher "doch nur ein Zusammenrücken sein". Gemeinsam müsse der Kampf aufgenommen werden "zur Verteidigung der Demokratie und der Freiheit". Nun sei die Frage, wie das gehen könne. Wie einerseits die Sicherheitskräfte auch über Grenzen hinweg besser zusammenarbeiten und zugleich Freiheit und Offenheit Europas bewahrt werden könnten.

Abschottung könne keine Lösung sein. Auch deshalb hätten Deutschland und Österreich Anfang September miteinander abgestimmt, die Grenze zu Ungarn für die Flüchtlinge zu öffnen. Die Menschen damals nicht hineinzulassen, "das hätte, zu Ende gedacht, eine humanitäre Katastrophe ausgelöst", so Faymann.

Wie also ließen sich Menschlichkeit und die nötige Ordnung in Einklang bringen? "Da sehe ich die Lösung weder an der deutschen noch an der österreichischen Grenze", sagte Faymann - auch wenn manche Politiker das der Bevölkerung weismachen wollten.

Natürlich seien Grenzkontrollen und die Erfassung der Flüchtlinge nötig, eine Lösung des Flüchtlingszustroms sei das aber nicht. Die politische Begrenzung der Zuwanderung in einzelnen Ländern sei aussichtslos. "Das sollte uns nicht den Blick trüben: Das bedeutet keinen Flüchtling weniger."

"Wettbewerb um den höchsten Zaun"

Trotzdem starte in einigen Hauptstädten Europas derzeit ein "Wettbewerb, wer den höchsten Zaun baut", so Faymann. Dabei habe schon das Beispiel Ungarn klar gezeigt, dass solche Sperranlagen erst dann funktionieren, wenn sie auf ganzer Länge geschlossen sind. "Wenn man das überhaupt als sinnvolles Funktionieren betrachten kann."

"Wir verlagern unsere Kreativität darauf, wer die höchsten Zäune baut und wer sie am besten bewacht", warnte Faymann. Dabei gebe es wohl kein einziges politisches Thema, wo diejenigen recht behalten, "die auf hohe Mauern um das eigene Land setzen". Politiker bräuchten deshalb den Mut, auszusprechen, "dass sie mit nationalen Lösungen gegen den Nachbarn keine Chance haben".

Hilfe in der Region

Sinnvolle Hilfe müsse daher in der Region ansetzen, etwa in den Flüchtlingscamps in der Türkei. "Es sind Millionen, die dort leben, aber nicht das Nötige zum Überleben finden." Deshalb habe die EU zusätzliche Hilfen bereitgestellt, etwa um Kindern dort eine Schulausbildung zu ermöglichen oder die Versorgung zu verbessern, "vielleicht zögerlich und zu langsam - wie auch in anderen Bereichen", räumt er ein.

"Hier können wir nicht sagen, das soll die Türkei alleine machen", forderte Faymann. Auch europäische Länder wie Griechenland oder Italien dürften mit den vielen Menschen nicht alleingelassen werden.

Die Lösung könne ein gemeinsames Asylrecht mit verbindlichen Verteilungsquoten sein. Auch das sei eine große Aufgabe: "Die ist nur lösbar, wenn wir als Europäische Union das gemeinsam organisieren und finanzieren."

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