Frankreich:Paris warnt vor Angriff mit Chemiewaffen

Das Militär soll das Gegengift Atropin verteilen. Der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge ist bei einer Razzia getötet worden.

Von C. Wernicke, Paris

Frankreichs Regierung warnt vor möglichen Anschlägen islamistischer Terroristen in Europa mit Massenvernichtungswaffen wie Giftgas. "Es gibt das Risiko chemischer und bakteriologischer Waffen", sagte Premierminister Manuel Valls am Donnerstag während der Parlamentsdebatte um eine dreimonatige Verlängerung des Ausnahmezustands in Frankreich. Am Nachmittag stimmte die Nationalversammlung dem verschärften Notstandsgesetz zu, das Ausgangssperren sowie Hausdurchsuchungen und Hausarreste ohne richterliche Prüfung erlaubt. Unter dem Beifall der Abgeordneten gab Valls bekannt, der IS-Terrorist Abdelhamid Abaaoud - mutmaßlicher Drahtzieher der blutigen Attentate - zähle zu den Toten der Polizeirazzia am Mittwoch im Pariser Vorort Saint-Denis.

Aus Sorge vor Anschlägen etwa mit tödlichen Nerven-Kampfstoffen ordneten die Behörden am Tag nach den Attentaten an, in großen Mengen Atropin anzukaufen und zu lagern. Atropin gilt als Gegenmittel bei Angriffen mit neurotoxischen Kampfstoffen wie etwa dem unsichtbaren Sarin oder anderen Giftgasen auf der Basis von Phosphorester. Die Armee wurde angewiesen, das Atropin vorsorglich an medizinische Notfallzentren zu verteilen. Offenbar soll dies vor allem dem Schutz der UN-Klimakonferenz dienen, die Ende November in Paris beginnt. An der Tagung werden mehr als 20 000 Delegierte und bis zu 200 Staats- und Regierungschefs teilnehmen.

Mit überwältigender Mehrheit (551 Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen) billigte die Nationalversammlung die Verlängerung des seit Samstag geltenden Notstandes um drei Monate. Das Gesetz ermächtigt die Behörden, Verdächtige schneller als bisher zu isolieren: Wer aufgrund von "Verhalten, Kontakten, Äußerungen oder Plänen" den Behörden auffällt, kann ohne richterliche Anordnung unter Hausarrest gestellt werden. Den Verdächtigen wird jeder Kontakt mit anderen Festgesetzten untersagt. Bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmte Computer oder Handys dürfen Polizei und Geheimdienste sofort auswerten. Eine andere Bestimmung erleichtert es dem Staat, Vereinigungen oder auch Trägervereine von Moscheen zu verbieten. Valls kündigte an, man wolle so "binnen weniger Tage" salafistische Gebetshäuser schließen können. Vorbestrafte Terrorverdächtige sollen elektronische Fesseln tragen.

Weniger als drei Wochen vor den Regionalwahlen drängte die konservative Opposition auf eine sechsmonatige Verlängerung des Notstands und noch schärfere Maßnahmen. Republikanische Abgeordnete verlangten, alle in vertraulichen Geheimdienstakten registrierten Ausländer müssten ausgewiesen werden. Innenminister Bernard Cazeneuve warnte, die Informationen seien Indizien und nicht vor Gericht verwertbar. Zudem würden Verdächtige so gewarnt, dass sie überwacht werden. Bei Razzien im Zusammenhang mit den Terroranschlägen sind in Belgien neun Personen festgenommen worden. Insgesamt habe es Zugriffe an neun Orten gegeben, sagte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft. Zwei der Festnahmen standen demnach in direktem Zusammenhang mit den Pariser Anschlägen.

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